Seit 1996 werden alle Kinder in Berliner Schulen und Kitas in zwei Kategorien eingeteilt: Entweder sie sind deutscher oder nichtdeutscher Herkunftssprache (ndH). Seit Langem zeigt sich, dass diese Kategorisierung an der Realität des kindlichen Sprachlernens vorbeischrammt.

Die ndH-Markierungen in Schulen und Kitas können schon auf Grund ihrer Pauschalität und Ungenauigkeit nicht als ein sinnvolles Instrument der Bildungsförderung gelten. Sie tragen in der Öffentlichkeit mitunter zu grotesk falschen Annahmen über die Qualität einer Schule bei und befestigen diskriminierende Praktiken.

Die Schulstufenverordnung des Senats macht es sich zu einfach: „Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache sind ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Kinder, deren Kommunikationssprache innerhalb der Familie nicht Deutsch ist.“ Weiter heißt es, dass es sich in einem solchen Fall um die „überwiegend“ in einer Familie gesprochenen Sprache handelt, auch wenn im Alltag mehrere Sprachen gesprochen werden. Welchen Einfluss die Mehrsprachigkeit in einer Familie auf das jeweilige Kind und seine Deutschkenntnisse hat, bleibt unbelichtet. Die „Herkunftssprache“ gibt darüber keine zureichende Auskunft. Auch ist es üblich, dass die für den DaZ-Unterricht (Deutsch als Zweitsprache) vorgesehenen Mittel nicht eins zu eins in den DaZ-Unterricht, sondern z.B. in Vertretungsstunden fließen.

Sprachförderkonzept Deutsch

Wir Grüne setzen uns daher bei der Senatsverwaltung für Bildung dafür ein, die ndH-Markierungen abzuschaffen und durch eine Benennung der Sprache(n) zu ersetzen, die die jeweiligen Kinder im Alltag sprechen. Darüber hinaus wird das Bezirksamt beauftragt, sich bei der Senatsverwaltung für Bildung stark zu machen, dass alle Schüler*innen unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Fähigkeiten in Kitas und Schulen des Bedarfs entsprechend in der deutschen Sprache gefördert werden. Der Sinn einer Angabe über den Gebrauch der Sprache von Kindern bei der Einschulung kann einzig darin bestehen, festzustellen, welchen Förderbedarf ein Kind hat. Dann kann beschlossen werden, ob die Schule oder Kita dafür entsprechendes Personal und Zuweisungen erhält – unabhängig davon, ob es sich um ein deutschsprachiges oder mehrsprachiges Kind handelt. Es gibt auch Schüler*innen, die ausschließlich deutsch sprechen und dennoch nicht den (impliziten) schulischen Erwartungen im Hinblick ihrer Deutschkenntnisse entsprechen. Ihr Bedarf an sprachlicher Förderung wird bisher nicht in den Blick genommen. Sprachförderung kindgerechter zu gestalten, bedeutet genauer hinzuschauen. Dazu soll die Bildungsverwaltung ein „Sprachförderkonzept Deutsch“ entwickeln und kontrollieren, ob die hierfür vorgesehenen Zuwendungen für die Schulen ausschließlich für die Stunden zur Deutschförderung eingesetzt werden.

Reformbedarf

Es ist doch sehr schön, dass in Familien mit Einwanderungsgeschichte oft mehrere Sprachen gesprochen werden, zumal viele dieser Kinder in Berlin geboren sind und bereits mehrsprachig aufwachsen. Das Sprachverhalten verändert sich mit den nachwachsenden Generationen und Mehrsprachigkeit trägt zum Reichtum unseres Bildungssystems bei. Die Schulforschung hat aber gezeigt: Es kommt immer noch vor, dass aufgrund von diskriminierenden Zuschreibungspraktiken Schüler*innen der Kategorie ndH zugeordnet werden – unabhängig ihres tatsächlichen sprachlichen Vermögens im Deutschen — allein basierend auf Namen, familiärer Migrationsgeschichte oder einer Mutter, die kein Deutsch spricht. Einige Bedingungen dafür, dies zu ändern, sind vorhanden: Sowohl die Sprachlerntagebücher der Kitas wie die Einschulungsuntersuchungen dokumentieren den individuellen Sprachstand und die Schulreife der Kinder. Ihre Ergebnisse müssen bei Schulbeginn sorgfältig in die Einstufung einfließen.

Wir haben also Reformbedarf!

Weil Schule Erwartungen an Schüler*innen stellt, ist es unter dem Gesichtspunkt der Bildungsgerechtigkeit notwendig, dass Schüler*innen eine besser an ihren individuellen Bedürfnissen orientierte Förderung in der deutschen Sprache erfahren – ohne diskriminierende Zuschreibungen.

Filiz Kekülluoğlu und Wolfgang Lenk, Bezirksverordnete für den Stachel Mai 2019