SA/229/III

Schriftliche Anfrage

Sehr geehrter Herr Lenk,

Ihre Anfrage beantworten wir schriftlich wie folgt:

Zu 1.

Wie und wo hat das BA die Zuständigkeiten und Ziele der Jugendarbeit in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (im Folgenden: GMF) wie Rassismus, Antisemitismus, Homophobie definiert?

Die Kinder- und Jugendarbeit definiert die allgemeinen Ziele der Jugendarbeit in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie Rassismus, Antisemitismus, Homophobie über die im Bezirk Friedrichshain- Kreuzberg erarbeiteten Positionen zum Bildungsauftrag der Kinder- und Jugendarbeit.

Dazu heißt es im Punkt 5. Die Jugendarbeit hat in der Jugendhilfe einen eindeutig formulierten Bildungsauftrag. Jugendarbeit folgt keinem Erziehungs- und auch keinem Präventionsauftrag. Die Angebote der Jugendarbeit haben persönlichkeitsbildende, erzieherische und präventive Wirkung. wie folgt: „…….. Grundlagen des Handelns sind die UN-Menschenrechtserklärung und die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Ziel ist es, Diskrepanzen in den Wertvorstellungen zum Gegenstand von Auseinandersetzungen zu machen und somit für die Entwicklung einer eigenen Werteorientierung der Kinder und Jugendlichen zu nutzen.“

Für das Themenfeld gibt es keine personifizierte Zuständigkeit im Jugendamt. Die Verantwortung beim Umgang mit Rechtsextremismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit liegt bei den Leitungen der Einrichtungen bzw. natürlich bei allen Mitarbeiter/ innen.

Darüber hinaus existiert eine Querschnittsaufgabe im Jugendamt der fachlichen Koordinierung im Sachgebiet der politischen Bildungsarbeit, zu dem neben anderen inhaltlichen Themen auch die nachgefragte Thematik gehört. In diesem Zusammenhang, also unseren Bemühungen jedweder menschenverachtenden Haltung entschieden entgegenzutreten, arbeitet das Jugendamt seit der Erstellung der Studie “ Demokratiegefährdende Phänomene in Friedrichshain- Kreuzberg und Möglichkeiten der Intervention“ im Jahr 2003 durch den Verein für Demokratische Kultur e.V. mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (mbr) eng zusammen.

Zu 2.

Formuliert und aktualisiert das BA exemplarische Handlungsempfehlungen für MitarbeiterInnen von Jugendfreizeiteinrichtungen zum Umgang mit rechtsextrem, rassistisch, antisemitisch oder homophob orientierten Jugendlichen?

Durch das Jugendamt wurde im Jahr 2006 eine intensive und weitreichende Fortbildungsreihe für Jugendarbeiter/innen in Friedrichshain-Kreuzberg zum pädagogischen Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus und Hierarchisierung von Ethnizität in Zusammenarbeit mit dem Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB) und der mbr organisiert und durchgeführt. In der 7 Module umfassenden Fortbildungsreihe wurden auch Handlungsstrategien für den Umgang mit rassistischen, rechtsextremen und antisemitischen Äußerungen und Erscheinungsformen entwickelt.

Ausgangspunkt für die Entwicklung der Handlungsstrategien waren die Erfahrungen und Bedarfslagen im Berufsalltag der Teilnehmenden. In Übungen und Simulationen wurden situative Gesprächstechniken erprobt und anschließend ausgewertet.

Darüber hinaus konnten die Teilnehmenden Übungen für den Einsatz in Jugendgruppen kennen lernen und Erfahrungen in kollegialer Beratung sammeln. Für die teilnehmenden Jugendarbeiter/innen sind Handreichungen zum Thema erarbeitet und ausgegeben worden.

Eine Aktualisierung der Handlungsstrategien und Handlungsempfehlungen erfolgt situationsbedingt und wird je nach Ausgangslage in regionalen (z.B. Regional AG oder Sozialraum AG nach § 78 KJHG / SGB VIII) oder in fachlichen Arbeitsgemeinschaften der Kinder und Jugendarbeit (z.B. Fachgruppe Jugend) vorgenommen.

Zu 3.

Wie werden darin, falls vorhanden, die unterschiedlichen Merkmale von Einstellungen GMF erläutert?

In einem Modul der Fortbildungsreihe mit dem Thema – „Aktivist oder Mitläufer? – Jugendliche differenziert einschätzen“ Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit mit rechtsextremorientierten Jugendlichen – war der Ausgangspunkt, dass mit rechtsextrem-orientierten Jugendlichen anders umgegangen werden kann und muss als mit eindeutig Rechtsextremen. Hier wurden die Unterschiede zwischen Kader/Aktivisten/Funktionären/ und Mitläufern/Sympathisanten herausgearbeitet sowie zielgruppen-orientierte Handlungsoptionen aufgezeigt.

Die mbr hat in längerfristigen Beratungsprozessen mit Jugendarbeiter/innen und Lehrer/innen aus verschiedenen Bezirken Analyseinstrumente und Handreichungen entwickelt, mit deren Hilfe sie u.a. genauer einschätzen können, wie weit Jugendliche in die rechtsextreme Szene eingebunden sind. In diesem Workshop wurden diese und weitere wichtige Entscheidungshilfen dargestellt.

Im Weiteren wurde dann auch ein Überblick über zielgruppenspezifische Handlungsstrategien gegeben und diskutiert.

Im Kontext der relativ intensiven Zusammenarbeit mit der mbr ist das Projekt „amira“ – Antisemitismus im Kontext von Migration und Rassismus – entstanden. Ziel des Projektes amira ist es, Wege für die offene Jugendarbeit insbesondere im Ortsteil Kreuzberg zu finden, kritisch mit Antisemitismus unter Jugendlichen mit Migrationhintergrund umzugehen, ohne sich dabei stigmatisierender Klischees über Migrant/innen zu bedienen. Das Projekt wurde ebenfalls entwickelt, um den Bedarf der Jugendarbeiter/innen an pädagogischen Methoden und Konzepten zum Umgang mit dieser Problematik zu entsprechen.

Zu 4.

Sind die Merkmale und Kriterien für einen glaubhaften Ablösungsprozess aus der rechtsextremen Szene geklärt und werden diese an die JugendarbeiterInnen kommuniziert?

Wie bereits in der Frage 1 grundsätzlich formuliert, schließt unser Wertekanon aus, jungen Menschen, die ein geschlossenes rechtes Weltbild vertreten (organisierte Rechtextremisten), Zugang zu den Freizeiteinrichtungen zu gewähren.

Da im Bezirk auch nicht der Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit vertreten wird (siehe 6.) werden in den bezirklichen bzw. bezirklich geförderten Freizeiteinrichtungen keine Ablösungsprozesse aus der „Szene“ begleitet. In evtl. zukünftig noch entstehenden Situationen, Fragen, Lagen oder Ausnahmefällen zum Gesagten würde hier sofort die Zusammenarbeit mit der mbr greifen.

Zu 5.

Hat das BA Standards zum Umgang und Strategien der pädagogischen Arbeit mit rechts orientierten Sympathisanten, Mitläufern und Ambivalenten formuliert, die sich in der Praxis bewähren?

Im Punkt 3. wurde bereits erläutert, dass durch die Fortbildungsreihe Standards zum Umgang und Strategien der pädagogischen Arbeit mit rechtsorientierten Sympathisanten, Mitläufern und Ambivalenten formuliert und eingeübt wurden. Diese eingeübte Praxis hat sich laut Aussagen der Mitarbeiter/innen in den Jugendfreizeiteinrichtungen bewährt, wenngleich es dazu leider keine statistischen Erhebungen oder Dokumentationen gibt.

Zu 6.

Gibt es eine Festlegung, wonach Formen akzeptierender Jugendarbeit mit rechtsextrem oder anders GMF-orientierten Jugendlichen im Bezirk prinzipiell ausgeschlossen sind? Schriftliche Festlegungen, wonach Formen akzeptierender Jugendarbeit mit rechtsextrem oder anders GMF-orientierten Jugendlichen im Bezirk prinzipiell ausgeschlossen sind, gibt es im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nicht.

Dennoch ist durch Diskussionen zu fachlichen Standards mit den Jugendfreizeiteinrichtungen klar geregelt, dass die akzeptierende Jugendarbeit mit organisierten Rechtsextremen nicht zu den Handlungsstrategien der bezirklich geförderten Jugendarbeit zählt.

Zu 7.

Ist beabsichtigt, an allen Schulen des Bezirks auf die Nominierung eines/r Rechtsextremismusbeauftragten zu dringen?

Nach Rücksprache mit der Außenstelle SenBWF wurde der Abteilung mitgeteilt, dass nicht beabsichtigt ist, auf eine Nominierung eines/r Rechtsextremismusbeauftragten zu dringen.

Die Auseinandersetzung mit dem Extremismus von Links und von Rechts ist Bestandteil des Unterrichts in der Berliner Schule in verschiedenen Fächern. Die Nominierung von Beauftragten könnte dazu führen, dass die allgemeine Verantwortlichkeit für dieses Thema delegiert werden kann.

Zu 8.

Wie befördert das BA die Fortbildungsmotivationen der JugendarbeiterInnen?

Die Fortbildungsmotivation der Jugendarbeiter/innen wird auf verschiedene Weise befördert. In den verschiedenen Facharbeitsgemeinschaften wird regelmäßig der Bedarf an Fortbildung eruiert und es werden beispielsweise und je nach Möglichkeiten von den Facharbeitgemeinschaften entsprechende eigene Fortbildungsveranstaltungen organisiert.

Darüber hinaus werden die Fortbildungsangebote / Fachtagungen u.ä. unterschiedlicher Anbieter an die Kolleg/innen sehr aktiv weitergeleitet und auf Fachartikel in Publikationen aufmerksam gemacht.

Des Weiteren werden die Kolleg/innen einmal jährlich aufgefordert, ihren Bedarf für die Sozialpädagogische Fortbildungsstätte Berlin-Brandenburg (SFBB) in Berlin- Glienicke zu benennen und können so die Angebotsstruktur dieser Fortbildungsstätte mitbestimmen.

Die Jugendarbeiter/innen werden auch aufgefordert bestimmte Fortbildungen wahrzunehmen, so wurden beispielsweise Diversity – Schulungen für die kommunalen Mitarbeiter/innen zur Pflicht gemacht und diese offen und gut angenommen.

Zu 9.

Wie befördert das BA den Kenntnisstand der JugendarbeiterInnen über die Veränderungen und Schwerpunktunterschiede in den Milieus mit GMF?

Der Fachbereich der Kinder- und Jugendarbeit im Jugendamt organisiert über verschiedene Facharbeitsgemeinschaften den Fachaustausch der Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen. Im Rahmen dieser Facharbeitsgemeinschaften werden gemeinsam mit den JugendarbeiKleine Anfrage Antwort vom 23.06.2009 ter/innen die zu besprechenden fachlichen Themen ausgehandelt. Für diese Themen werden Fachleute eingeladen, die zu den neuesten Entwicklungen/Erkenntnissen referieren und in den Erfahrungsaustausch mit den Mitarbeiter/innen der Freizeiteinrichtungen treten. So wird insbesondere in der Fachgruppe Jugend regelmäßig das Thema GMF behandelt. Die Fachgruppe hatte sich im Mai 2009 mit dem Stand und der Weiterentwicklung des Projektes amira (siehe 3.) beschäftigt.

Zu 10.

Könnte die Formulierung eines Sets von Standards, Kriterien und aktuellen Handlungsempfehlungen für die Jugendarbeit in der Auseinandersetzung mit GMF ein Beitrag dazu sein, die professionellen Verständigungsprozesse von JugendarbeiterInnen zu unterstützen?

In der Beantwortung der vorhergehenden Fragen, Frage 1. und insbesondere 3., wurde dargestellt, dass Standards, Kriterien und aktuelle Handlungsempfehlungen für die Jugendarbeit in der Auseinandersetzung mit GMF vorhanden sind und durch die verschiedenen Facharbeitgruppen und -gemeinschaften der professionelle Verständigungsprozess zwischen den Jugendarbeiter/ innen des Bezirkes unseres Erachtens sichergestellt ist.

Mit freundlichem Gruß

Monika Herrmann

Bezirksstadträtin

für Jugend, Familie und Schule