Zur Eröffnung der Berlin Biennale am Oranienplatz erschienen im Umfeld Plakate mit dem Konterfei der Kuratorin Kathrin Rhomberg und dem Zusatz „Ich bin eine Gentrifi ziererin“. Wenige Tage später eröffnete Nicolas Berggruen in der Kottbusser Straße sein neu renoviertes Gewerbeobjekt mit dem Künstlerhaus Bethanien als Ankermieter. Dadurch wurde die seit längerem im Bezirk tobende Diskussion um Stadtentwicklung und Verdrängung schlagartig auf die Kunstvermittler als Antriebskraft der Prozesse geworfen. Weil ein zunächst vorgesehenes Gespräch der verschiedenen Aktiven bisher nicht stattfand, bat der Stachel Friedrichshain-Kreuzberg um Meinungsbeiträge. Christine Cornelius von der Gruppe Steigende Mieten Stoppen (sms) und Leonie Baumann von der seit langem im Kiez beheimateten Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) haben sich beteiligt. Wir betrachten dies als den Beginn einer Diskussion.

WiderstandsART

„Guten Tag, ich bin die Gentrifi ziererin“. Mit diesen Worten grüßten die Konterfeis der Verantwortlichen der 6. Berlin Biennale auf Plakaten ihre Mitmenschen. Plakatiert worden war in der Nacht vor der Eröff nung zur diesjährigen bb6 vor allem an den Standorten in Kreuzberg, die zum ersten Mal von der zweijährig in Berlin stattfi ndenden Ausstellung bespielt wurden. Als ich dann im Ausstellungs-Haus am Oranienplatz gefragt wurde: „Und – gehört Ihr jetzt auch zu den Gentrifi zierern?“, war das eine merkwürdige Situation. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) betreibt seit 25 Jahren ihren Ausstellungsraum in Kreuzberg.

Als in den 1990er Jahren Mitte und Prenzlauer Berg die angesagten Quartiere wurden, sind wir als eine der wenigen Kunstinstitutionen geblieben. Das war eine bewusste Standortentscheidung für die „Kreuzberger Mischung“.

Dieser urbane Stadteil und unser an sozialen und politischen Fragestellungen orientiertes Programm passen einfach gut zusammen. Die erneute Orientierung nach Kreuzberg erfolgte nicht erst mit der bb6. Seit ca. 10 Jahren sind zahlreiche Galerien und andere kulturelle Institutionen wieder zurückgekommen. Unabhängig von den Wanderungs- und Standortentscheidungen der Galerien hat sich die eigentliche Veränderung Kreuzbergs aber bereits seit den späten 1980er Jahren vollzogen. Erste Umstrukturierungen begannen mit den Aktivitäten der Internationalen Bauausstellung, der Umwandlung von vernachlässigten Arealen in Stadteilparks und setzten sich fort in der Verdrängung alt eingesessener Gewerbebetriebe und mit den Genehmigungen zur Umwandlung von leer stehenden Gewerbearealen in Loftwohnungen, unter Missachtung der umgebenden Sozialstruktur. Kunst und Kultur, vor allem wenn es gemeinnützige Vereine, öffentliche Institutionen oder selbstorganisierte, künstlerische Projekte sind, waren und sind auf preiswerte Aktionsräume angewiesen und besiedeln gerne ungewöhnliche Orte. Werden diese Räume von zahlungskräftigen Mietern übernommen, sind sie immer die Verlierer in diesem Prozess. In Mitte gibt es seit Jahren mehr Restaurantplätze als Einwohner und auch in Kreuzberg wird jedes frei werdende Geschäft von einem Restaurant oder Café übernommen. Die Mischung von Wohnen, Gewerbe und Kultur droht dabei verloren zu gehen.

Ein Kritiker hat in der Süddeutschen Zeitung vor einigen Wochen den Berlinern und vor allem den Kreuzbergern vorgehalten, hier dominiere traditionell eher die „muffi ge Seite“ der Bewegung gegen Stadterneuerung und erinnerte an den Protest gegen die Öff nung der Oberbaumbrücke.

Diese und andere Protestaktionen haben aber off ensichtlich dazu beigetragen, dass sich der Gentrifi zierungsprozess in Kreuzberg langsamer vollzog als im Prenzlauer Berg. Den dortigen AnwohnerInnen hielten Journalisten vor, sie seien zu „brav“. Solange es jedoch keine wirksamen politischen Steuerungsinstrumente gegen steigende Mietpreise, gegen die Vertreibung von einkommensschwachen Bevölkerungsschichten, für eine ausgewogene Ansiedlung von Gastronomie unter Berücksichtigung von BewohnerInnen- Interessen gibt, ist Protest und Widerstand gegen Umstrukturierungen die einzige Chance, die unaufhaltsame Entwicklung zumindest zu verzögern. Das Beispiel „Gängeviertel“ in Hamburg hat gezeigt, was KünstlerInnen und Kulturschaffende im Schulterschluss mit den AnwohnerInnen gemeinsam erreichen können. Das macht Mut und befl ügelt die Fantasie – hier und auch anderswo! Leonie Baumann, Geschäftsführerin Neue Gesellschaft für Bildende Kunst

Pippi Lotti Rist sucht ihr Auto

Kann man eigentlich ein Projekt leiten, das zum Th ema „Überleben“ ausgeschrieben wurde und gleichzeitig in einer Baugruppe ein Grundstück kaufen und darauf ein Haus bauen, um seinen Alterssitz zu sichern? Warum nicht, wenn man ein Leben lang fl eißig gearbeitet hat oder aus einer Familie kommt, die schon immer fl eißig gearbeitet hat. Soweit so gut. Aber was ist, wenn man auf dem Grundstück eine Gruppe verdrängen muss, um seine Interessen durchzusetzen?

Na, dann hat die Gruppe hier vielleicht nichts zu suchen. Die hätte es auch kaufen können oder arbeiten die nicht so fl eißig? Sah jetzt auch eher unordentlich aus. Wir kommen jetzt und machen das schön, so schön wie alles in Mitte. Den ganzen Tag beschäftige ich mich mit Überlebensprojekten, berufl ich – künstlerisch.

Schon in Kassel zur Documenta habe ich dafür gesorgt, dass alte Arbeiten zur Stadt wieder herausgeholt wurden. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich das Wort „Gentrifi zierung“ benutze.

So ähnlich könnte ein Dialog gewesen sein, wenn er dann hätte stattfi nden können. Er fand aber nicht statt. Während dessen haben die Bienen eine Chance, in dem Projekt „Überleben“ ihr Th ema transportiert zu wissen. In diesem Artikel werden die Tabus diskutiert, die man gern unter den Tisch kehrt oder für selbstverständlich hält. Wer darüber redet, gehört nicht zu uns. Richtig.

Kunst bleibt ELITE Da wird in Kästen, hinter Glas, schön und dezent arrangiert jedes Th ema ausgestellt. Man kann sich pudelwohl fühlen, einen Schauer auf dem Rücken empfi nden, wenn eine junge Frau die Straße entlang geht und auf Autos schlägt, das es kracht und scheppert. Der Raum ist abgedunkelt, man rekelt sich auf einer Liegefl äche. „Ach, was hälst du von ner Latte Schatz?“ sagte sie zu ihm gelangweilt.

Kunst zeigt uns die WUT UND OHNMACHT Und das ist inspirierend. Wie er damals die Wände in Manhattan einriss, weil aus seinem schönen Kiez die Makler eine Topadresse machten. Wuchtvoll, würdevoll – ein Kunstwerk. So wird es aussehen, wenn die Massen die Geschichte in die Hand nehmen.

STOP, soweit darf es niemals kommen, denn wir leben auch gut, wenn wir es einmal geschafft haben und können uns einen Alterssitz in Mitte leisten, nennen wir dann Baugruppe, hört sich solidarisch an, natürlich mit unsereiner und unserem Geld, dafür verdienen wir mit Kunst. Wird zwar auch immer teurer und schwieriger. Aber dafür haben wir ja Praktikanten. Die glauben doch tatsächlich, dass sie irgendwann auch einmal Geld verdienen. Soweit kommt es noch, da reicht es doch irgendwann für mich nicht mehr. ach und was ist nun mit dem Linienhof? Pippi lotti rist IST IN DER STADT UND SUCHT IHR aUTO

Christine Cornelius, Steigende Mieten Stoppen

PS: Dieser Artikel ist als Diskussionsangebot gedacht, befreit die Th emen der Kunst aus ihren Glaskästen und redet mit denen über deren Leben, das ihr kuratiert. Kapitalismus ist ein Organisationsprinzip, das funktioniert, weil man wegschaut. Eine solidarische Stadt ist möglich, wenn wir beginnen, miteinander zu reden.