Frauen aus aller Welt gründen im Graefekiez eine Weltküche

In der Kreuzberger Werner-Düttmann-Siedlung haben sich vor eineinhalb Jahren langzeitarbeitslose MigrantInnen aus neun Nationen mit anderen BewohnerInnen des Kiezes zu einer Initiative zusammengeschlossen, um ein soziales Unternehmen zu gründen. Ihr Ziel: sich selbst dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen und von Transferleistungen unabhängig zu werden.

Neue Ideen statt einer Maßnahme nach der anderen „Eine Gruppe von MigrantInnen, die sehr gut kochen, backen und nähen kann, hatte die Nase voll von weiteren Beschäftigungsmaßnahmen und ergriff die Initiative, ihre Fähigkeiten zu erproben und sich professionelle Unternehmensberater zu suchen“, berichtet Annette Jankowski von der Graefewirtschaft. Was lag für die Frauen näher, als zu fragen: Was können wir? Und was können wir daraus machen? Seit Anfang dieses Jahres betreiben die Frauen gemeinsam mit der Positiven Aktion die Weltküche im Kreuzberger Graefekiez. Vorerst mit Unterstützung des JobCenters.

Traditionelle Kochkünste aus Sri Lanka oder Ecuador

In der Weltküche kochen die Frauen aus beiden Projekten nun gemeinsam leckere und gesunde Speisen aus ihren Herkunftsländern. Die Kunden sind KiezbewohnerInnen mit oft geringem Einkommen oder benachbarte Kleingewerbetreibende.

Zusätzlich betreibt die Kiezküche ein interkulturelles Catering, das kulinarische Angebote für Veranstaltungen von Stiftungen, Organisationen oder Institutionen anbietet. Maria Mendoza de Krug, die an der Küste Ecuadors aufgewachsen ist, schwärmt von Fischgerichten, für die sie freilich keine Rezepte benötigt: „Was ich koche, koche ich aus dem Kopf.“ Sie empfindet ihre jetzige Tätigkeit als Erfüllung eines lang gehegten Traums. „Kein Chef, kein Maßnahmeprojektleiter hinter mir! Ich gebe alles, damit wir in zwei Jahren ganz auf eigenen Füßen stehen.“

Sevgi Bayram aus der Türkei sieht es ähnlich: „Ich liebe es, wenn ich die Gäste um mich habe. Hier können wir mitentscheiden, was für uns gut ist.“ Sie war bereits als ehrenamtliche Stadtteilmanagerin, später in einer ABM als Kiezlotsin in der Düttmann-Siedlung tätig, die im Graefekiez zwischen Urbanstraße und Hasenheide liegt. In der Arbeit mit ihren NachbarInnen hat sie viel darüber erfahren, wie ein Leben mit wenig Anerkennung und ohne Job verlaufen kann.

Die Weltküche versteht sich als soziales Unternehmen: Einnahmen können nicht privat verwendet werden, sondern dienen nur den gemeinnützigen Vereinszielen sowie der beruflichen und sozialen Integration der Engagierten. Die Idee zu einem sozialen Unternehmen entstand in einem Integrations- und Gesundheitskurs in der Düttmann-Siedlung, einem der ärmsten Regionen im Bezirk.

Förderung für soziale Unternehmen existiert bisher nicht

Die Berliner Entwicklungsagentur für soziale Unternehmen und Stadtteilökonomie (BEST) begleitet in ehrenamtlichem Engagement den Aufbau des Projekts, was freilich bedeutet, sich auf einen steinigen Weg zu begeben. Denn in Deutschland gibt es für soziale Unternehmen keine geeigneten Förderinstrumente und Gelder. Wirtschaftsförderung und Existenzgründungszuschüsse greifen auch nicht, weil ein soziales Unternehmen gemeinnützig agiert und keine Gewinne anpeilt. Und die Frauen aus der Weltküche, allesamt Hartz IV-EmpfängerInnen, verfügen weder über Kapital noch können sie eigene Kredite aufnehmen.

BEST ist es bisher gelungen, Know-how und Kapital von privaten SpenderInnen, AnwohnerInnen und Stiftungen für dringende Investitionen aufzubringen. Existenziell wichtig war die Befürwortung des Projekts durch das Bezirksamt von Friedrichshain-Kreuzberg, das JobCenter und den Integrationsbeauftragten des Senats, Günter Piening.

Als Leuchtturmprojekt unterstützt das JobCenter dieses beispielhafte interkulturelle Projekt, weil es einen innovativen Ansatz bietet, um langzeitarbeitslosen MigrantInnen eine nachhaltige Beschäftigung und damit wirtschaftliche Teilhabe zu sichern. Zurzeit werden sechs Frauen mit Lohnkostenzuschüssen gefördert. Sie entwickeln nunmehr neben der Weltküche weitere Tätigkeitsbereiche. Etwa eine Nähwerkstatt, die just Gardinen für die soziale Einrichtung Bethesda näht oder Konferenztaschen aus Stoff für Bildungsvereine und Veranstalter herstellt.

„Wenn wir auf der Straße, im Bus oder in einer Modezeitschrift eine interessante Tasche sehen, stellen wir eine Nachbildung aus Reststoffen her“, erzählt die syrische Schneiderin, die ihren Namen lieber für sich behält. So entsteht ein Grundstock an Modellen, die moderne Schnitte mit importierten traditionellen Stoffen und Mustern verbinden.

Projektunterstützung notwendig

Soziale Unternehmen können – und sollen – in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Allerdings konnte bisher noch nicht für alle Mitglieder der Initiative aus der Düttmann-Siedlung ein Arbeitsplatz eingerichtet werden. Das Leuchtturmprojekt steht leider noch nicht auf einem wetterfesten Fundament. Ohne eine Anschubphase mit Beschäftigungsförderung geht es nicht, wenn Frauen oder Männer ohne Kapital selbstorganisiert und sozial wirtschaften wollen. Weitere Unterstützung durch das JobCenter ist also nötig. Die Weltküche ist ein Pionier für interkulturelle soziale Unternehmen und das Vorgehen der Graefewirtschaft ist modellhaft. Wir Grüne werden uns auch in Zukunft für derartige Initiativen engagieren.

Wolfgang Lenk, Bezirksverordneter