Kleine Anfrage der Abgeordneten Clara Herrmann und Bilkay Öney (Bündnis 90/Die Grünen) vom 22. August 2007 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. August 2007) und Antwort (Drucksache 16/11145)

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

1. Wie bewertet der Senat den Umstand, dass die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt hat?

Zu 1: Die Steigerungen der Fallzahlen korrespondieren mit der verstärkten öffentlichen Präsenz der Rechtsextremisten im Wahljahr 2006. Die öffentliche Diskussion über einen erstarkenden Rechtsextremismus führte zu einem Teil vermutlich auch zu einer höheren Sensibilität der Bevölkerung und zu mehr Anzeige-bereitschaft. Der Anstieg der Gewalttaten verteilte sich gleichmäßig auf fremdenfeindliche Gewalt (von 18 auf 49 Delikte) und auf den Bereich der Rechts-Links-Auseinandersetzungen (von 20 auf 48 Delikte).

Rechtsextremistische Gewalttaten sind aufgrund ihrer Begehungsweise und der Art der Auswahl der Geschädigten als besonders verwerflich zu bewerten. Sie stellen einen Angriff auf die Grundwerte des gesellschaftlichen Zusammenlebens dar. Der Berliner Senat verurteilt daher jede einzelne rechtsextremistisch motivierte Gewalttat.

2. Welche Konsequenz zieht der Senat aus diesen besorgniserregenden Zahlen?

Zu 2: Der Bereich der rechtsextremistischen Gewalt- taten wird durch die Sicherheitsbehörden sehr aufmerksam beobachtet. Ihre Bekämpfung ist ein Schwerpunkt polizeilicher Arbeit in Berlin.

3. Wie viele Übergriffe mit rechtsextremen Hintergrund hat es seit 1.1.2006 gegen UnternehmerInnen in Berlin gegeben? (Bitte mit Adresse chronologisch auflisten und nach Art des Gewerbes, sowie Herkunft bzw. Glauben des/r InhaberIn untergliedern).

Zu 3: Übergriffe mit rechtsextremen Hintergrund ausschließlich gegen Unternehmer/innen werden statis-tisch nicht gesondert erfasst.

Bei der polizeilichen Statistik für politisch motivierte Kriminalität, der Kriminalpolizeiliche Meldedienst – politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK), handelt es sich um einen Meldedienst, der statistische Angaben nicht in jedweder Detailtiefe und zu jedem denkbaren Abfragegegenstand ermöglicht.

„Gewerbetreibende“, „Gewerbe“ oder „UnternehmerInnen“ werden darin nicht erfasst.

Die gewünschte Darstellung wäre nur mit einem nicht zu vertretenden personellen Verwaltungsaufwand zu leisten, weshalb von diesen Detailinformationen abgesehen wird. Davon abgesehen dürfte die Beantwortung dieser Frage datenschutzrechtliche Probleme aufwerfen.

4. Wie viele Gewerbetreibende davon waren mehrfach Opfer rechtsextremer Übergriffe, und wenn ja, wie oft? (Bitte mit Adresse chronologisch auflisten und nach Art des Gewerbes, sowie Herkunft bzw. Glauben des/r InhaberIn untergliedern)

5. Wie viele der Gewerbetreibenden haben ihr Geschäft als Konsequenz auf die rechtsextremen Übergriffe seit 2006 geschlossen? Haben davon Gewerbetreibende in anderen Stadtteilen ähnliche Unternehmen wiedereröffnet? Wenn ja, wie viele?

Zu 4 und 5: Siehe Antwort zu Frage 3.

6. Welche Maßnahmen ergreift der Senat zum Schutz der meist migrantischen Gewerbetreibenden vor rechtsextremen Übergriffen?

Zu 6: Eine Möglichkeit Schutz und Aufmerksamkeit für Gewerbetreibende in bestimmten Sozialräumen zu gewähren, ist – neben den polizeilichen Maßnahmen – die Mobilisierung der lokalen Öffentlichkeit. Diesen Ansatz verfolgt z. B. die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“. Eine besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die gemeinwesenorientierte Vernetzung lokaler Akteure aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die sich mit von rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt Betroffenen solidarisieren, diese in ihre Netzwerke einbinden und sie ihren Möglichkeiten entsprechend unterstützen. Die Betroffenen selbst gilt es dahingehend zu stärken, dass sie – u. a. durch die Einbindung in lokale Netzwerke – Handlungsfähigkeit erlangen und eigene Interessen vertreten. Selbstverständlich werden auch Berliner Gewerbetreibende, die Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Übergriffe geworden sind oder dies befürchten entsprechend unterstützt und beraten. Um eine Solidarisierung mit ihnen zu erreichen, werden unterschiedliche bezirkliche Akteure (Nachbarn, Bürgervereine, Initiativen, Polizei, Ämter etc.) angesprochen. Wenn unter diesen eine Zusammenarbeit entlang eines gemeinsam geteilten Problembewusstseins erarbeitet werden kann, stellt dies einen nicht unerheblichen Schutz für die Gewerbetreibenden dar. Das genannte Projekt „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“ wird seit 2003 aus Bundes- und aus Landesmitteln finanziell gefördert.

7. Welche Hilfen bietet der Senat diesen Opfern?

Zu 7: Gemäß dem Gesetz über die Entschädigung für die Opfer von Gewalttaten (OEG) hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer durch einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff an der Gesundheit geschädigt ist. Unter die Versorgung fallen beispielsweise Beschädigtenrenten und Leistungen der Heil- und Krankenbehandlung. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin – Versorgungsamt – informiert über eventuelle Ansprüche, hat einen mehrsprachigen Informations-Flyer zum OEG erstellt und nimmt entsprechende Anträge auf Entschädigung entgegen.

Darüber hinaus berät das Projekt „ReachOut – Opferberatung“ in der Trägerschaft des Vereins „ariba e. V.“ Opfer von rechtsextremistischen und rassistischen Übergriffen. Wenn ReachOut Kenntnis von Gewerbetreibenden mit oder ohne Migrationshintergrund erhält, die Opfer rassistisch motivierter Angriffe wurden, berät und unterstützt ReachOut diese Menschen, wie alle anderen Opfer auch. Häufig ist bei Gewerbetreibenden eine aufsuchende Beratung notwendig, weil sie aufgrund der Arbeitszeiten wenig Zeit haben, persönlich eine Beratungsstelle aufzusuchen. Die MitarbeiterInnen von ReachOut verschaffen sich in der Regel direkt vor Ort und durch Kontakte zur Polizei einen Eindruck über die Gefährdungslage und regen in Kooperation mit der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ Untertützungs- und Solidarisierungsmöglichkeiten im Umfeld der Läden, Imbisswagen etc. an.

8. Wie bewertet der Senat die Entwicklung der rechtsextremen Übergriffe auf Berliner Gewerbetreibende?

Zu 8: Die der Tagespresse zu entnehmenden Vorfälle sind ohne Frage rechtlich und ethisch auf das schärfste zu verurteilen. Ein Wirtschaftsstandort wie Berlin lebt von der Vielfalt und der Individualität seiner Akteurinnen und Akteure. Angriffe gegenüber Unternehmen sind auch immer Angriffe gegenüber den Menschen, die diese Unternehmen betreiben. Daher ist hier keine Unterscheidung möglich. Politisch motivierte gewalttätige wie auch verbale Übergriffe gegenüber Mitbürgerinnen und Mit-bürgern sind – auch im Hinblick auf eine leistungsstarke Wirtschaftslandschaft – nicht hinnehmbar, ihnen ist mit dem vorhandenen rechtsstaatlichem Instrumentarium zu begegnen.

9. Wie viele Täter konnten von der Berliner Polizei aus oben gefragten Tatbeständen festgenommen werden?

Zu 9: Siehe Antwort zu Frage 3.

10. Wie viele dieser Täter wurden zu welchen Strafen verurteilt?

Zu 10: Im Datenverarbeitungssystem der Staatsanwaltschaft (ASTA) wird keine gesonderte Auflistung der Opfer nach ihrer beruflichen Stellung vorgenommen, so dass keine Angaben darüber möglich sind, in wie vielen Verfahren Berliner Gewerbetreibende Opfer von rechtsextremen Übergriffen waren und zu welchen Strafen die Täter verurteilt worden sind.

Berlin, den 27. September 2007

Dr. Ehrhart Körting

Senator für Inneres und Sport

(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 15. Oktober 2007)