Schwerpunktthema: Integration

Seit Kinder mit schweren Behinderungen – ob nun körperlich, geistig oder schwermehrfach behindert – in Berlin integrativ beschult werden, arbeiten SchulhelferInnen auch in Regelschulen. Das Gelingen der Kooperation zwischen ihnen und den LehrerInnen hängt natürlich von den Kompetenzen und dem Engagement der beteiligten Personen ab, aber genauso entscheidend für das Gelingen und Misslingen sind die systemisch bedingten Rahmenvorgaben. Die „Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (2009) gibt uns allen neue Impulse unsere Bemühungen für ein leistungsfähiges, inklusives Schulsystem zu verstärken. Dabei geht es nicht allein um Kinder mit ausgewiesenen Behinderungen, sondern auch um die vielen armen, benachteiligten Kinder. Unser Blick auf die Institution Schule wird sich verändern müssen: Nicht mehr das einzelne, zu integrierende Kind steht im Mittelpunkt, sondern die Schule. Die „nur“ integrative Schule wird erst zur inklusiven Schule, wenn sie in der Lage ist, allen Kindern – ohne Ausnahme – gerecht zu werden. Über wirkungsvolle Unterstützungssysteme- ob nun wie in Berlin die Schulhelfer oder wie anderswo die Schulassistenten- muss neu nachgedacht werden. Ist die inklusive Schule unter den derzeitigen personellen Bedingungen machbar?

Seit den Anfängen des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Kindern ist die Personaldecke von ausgebildeten LehrerInnen und SonderpädagogInnen in den Grundschulen immer dünner geworden. Die Berliner Sparpolitik hat in den letzten 15 Jahren spür- und sichtbare „Bremsspuren“ in unseren Grundschulen hinterlassen. Vor zwanzig Jahren konnte man in der Schulanfangsphase mit hohen Anteilen von Kindern mit Behinderungen oder in Klassen mit vielen Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, von einem Zweipädagogensystem ausgehen. Und das war gut so! War ein geistig behindertes oder schwerbehindertes Kind in einer Lerngruppe, war sogar zeitweise eine dritte Pädagogin dabei. In den ersten Schulversuchsklassen waren 18 Kinder ohne und zwei Kinder mit ausgewiesenem sonderpädagogischen Förderbedarf.

Noch im letzten Jahr lagen die Frequenzen von ersten Klassen bei bis zu 28 Kindern, das „Bandbreitenmodell“ ist längst abgeschaff t und die sonderpädagogischen Förderstunden sind auf ein unzumutbares Minimum gekürzt. Die Berliner Grundschulen brauchen vordringlich mehr Personal und verlässliche Unterstützungssysteme, um alle Kinder, die es in großer Zahl in der Stadt gibt, fördern zu können beziehungsweise allen gerecht zu werden.

Gibt es an den Schulen bereits ein gut funktionierendes Unterstützungssystem? Bei der Betrachtung des Tätigkeitsfeldes der SchulhelferInnen fällt zunächst die Diskrepanz zwischen ihrer Aufgabenbeschreibung und dem auf, was bei der Begleitung eines Kindes mit hohem Förderbedarf in einer Schule notwendig ist. Pfl egerische, betreuende Aufgaben und die Einzelzuwendung überwiegen in den Aufl istungen. Die Komplexität der vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen zur Kompensation der Schwierigkeiten beim Lernen und im Verhalten, bei der Kommunikation oder ganz allgemein bei der Alltagsbewältigung in heterogenen Lerngruppen wird unterschätzt. Auch wenn die Gesamtverantwortung für das Lernen bei den LehrerInnen liegt, übernehmen die SchulhelferInnen immer auch pädagogisch- unterrichtsbezogene Tätigkeiten und müssen didaktisch-methodisch begründete Entscheidungen treffen können. Dies führt zu einem Dilemma: Nur wenige SchulhelferInnen haben eine entsprechende Vorbildung. Die geringe Entlohnung macht den Job unattraktiv für gut ausgebildete Fachkräfte.

Reicht die vorhandene Zeit zur guten Teamarbeit aus? LehrerInnen wünschen sich oft mehr Unterstützung und besser qualifi zierte SchulhelferInnen. Das Anleiten der Kinder im sozialen Kontext, die Arbeit mit deren Eltern, das Eingreifen in kritischen Gruppensituationen, die Flexibilität beim Anpassen von geeigneten, individuellen Lernmaterialien, die Analyse von Lernsituationen oder das Handling von technischen Hilfsgeräten stellen hohe Anforderungen an Schulhelfer/ innen.

Konflikte entstehen immer dann, wenn LehrerInnen – in der Hoff nung auf tatkräftige Unterstützung und auch Entlastung – zu hohe Erwartungen an die Selbständigkeit der SchulhelferInnen stellen. Oft beklagen die Schulhelfer- Innen, dass sie zu wenig Anleitung von den LehrerInnen erhalten. Statt guter Absprachen gelingen im Alltag oft nur Tür- und Angelgespräche. Die fehlende kontinuierliche Teilnahme am Unterricht und dadurch bedingt der fehlende Überblick über die Entwicklung des Geschehens zwischendurch werden ebenso bemängelt. Unzureichende Stundenzuweisungen – die Schulhelferstunden sind in der Region gedeckelt- erschweren den an den Bedürfnissen der Kinder ausgerichteten Einsatz der SchulhelferInnen im Stundenplan. Was braucht die inklusive Grundschule?

1. Geistig und schwermehrfach behinderte Kinder benötigen eine schul- und unterrichtsbezogene Assistenz, die nur von Personen mit Professionalität – vergleichbar mit den Pädagogischen Unterrichtshilfen in Berlin – getätigt werden sollte.

2. Schulen brauchen mehrjährige Sicherheit, wieviel Schulassistenz fest eingeplant werden kann. Für die betroff enen Kinder muss ein häufi ger Wechsel von Erwachsenen während des Schultages, aber auch von Schuljahr zu Schuljahr vermieden werden. Der bürokratische Aufwand bei der Antragstellung muss erheblich reduziert werden.

3. Regelmäßige Planungs- und Nachbereitungssitzungen sind unerlässlich für die Kooperation von LehrerInnen, ErzieherInnen und SchulhelferInnen in den Ganztagsgrundschulen. Dafür müssen bei allen Beteiligten ausgewiesene Zeitkontingente zur Verfügung stehen. KlassenlehrerInnen brauchen eine in der Arbeitszeit verankerte Unterrichtsentlastung, um alle erforderlichen komplexen Zusammenhangsarbeiten – wie z. B. die Teamleitung – überhaupt bewältigen zu können.

4. Kinder mit zusätzlichem Förder- und Unterstützungsbedarf brauchen geeignete Rückzugsräume um in Kleingruppen arbeiten und lernen zu können. Es ist eine Schande, wenn individuelle Förderung auf Schulfl uren stattfi nden muss.

Inge Hirschmann, Schulleiterin der Heinrich-Zille-Schule, Vorsitzende des Grundschulverbandes, Landesgruppe Berlin