Umbenennungen bringen gerne Ärger – ein Kommentar.

Die Rudi-Dutschke-Straße hat die größte Hürde auf ihrem Weg genommen: eine Mehrheit der WählerInnen hat trotz verwirrender Fragestellung beim Bürgerentscheid für die Umbenennung gestimmt. Eine furiose Kampagne von TAZ, PDS und den Kreuzhainer Grünen ermöglichte dieses Ergebnis. Aber noch können die Schilder nicht angebracht werden. Erst muss das Gericht über eine Sammelklage unter Beteiligung des Axel-Springer-Verlages entscheiden. Was umso merkwürdiger ist, weil der Verlag seinerseits die gewollte Umbenennung zur Axel-Springer-Straße nur mit Hilfe Diepgens gegen den Willen von Bezirk, Anwohnern und den Schauspielern des vormaligen Teils der Lindenstraße durchsetzen konnte. Offensichtlich wird der Westen bei Umbenennungen immer rebellisch. Man hat sich an den alten Namen gewöhnt, gegen den neuen werden alle Vorurteile hervorgekramt. Auch sei die Neuanschaffung von Visitenkarten teuer und die Mitteilung der neuen Adresse nicht zumutbar. Eine Argumentation, der die Gerichte leider manchmal folgen. Ganz anders im Osten Berlins. Da wurden nach der Vereinigung mehr als 120 Straßen umbenannt und damit jede Erinnerung an die DDR. Entkommen sind der Umbenennungswut nur die beiden Karls, Marx und Liebknecht, weil sie lange Zeit vor der DDR gewirkt hatten. Keine Gnade gab es für die Dimitroffstraße, die zur Danziger wurde. Aus keinem der über 300 Anliegerhäusern kam Protest, der ja politisch auch nicht zeitgemäß gewesen wäre. Ein gleiches Schicksal ereilte Lenin in allen Formen: Platz, Straße und Allee, sowie die Herren Pieck, Grotewohl und viele vergessene Helden und Funktionäre eines untergegangenen Staates. Jetzt gibt es neuen Ärger: die Steglitzer Grünen stehen im Focus wegen der nicht erfolgten Umbenennung der Treitschkestraße. Die hätten sich die Grünen für „das Linsengericht“ Jugendförderung von der CDU beim Zustandekommen der gemeinsamen Zählgemeinschaft abkaufen lassen, schäumt die SPD. Selbige fährt damit aber eine durchsichtige Kampagne, denn eine Umbenennung ist wegen der Mehrheiten in der BVV ohnehin zur Zeit ausgeschlossen. Treitschke war in der Tat ein ultrakonservativer Historiker und Vorreiter des deutschen Nationalismus sowie Autor des Satzes: „Die Juden sind unser Unglück“. Allerdings kämpfte der Bismarckmitarbeiter, Reichstagsabgeordnete und spätere Professor mit wortgewaltigem Zorn auch gegen Sozialisten, Liberale und natürlich gegen England und Frankreich. Kurzum gegen alle, die sich seinem Ideal vom teutonisch-preußischen Nationalstaat widersetzten. Es gibt noch einige Berliner Straßen, die eine Umbenennung nötig hätten: den Erfinder des Völkermordes, einen Raubritter und einen russischen Spion. Also gut: Attila, Quitzow und Richard Sorge.

Autor: Wolfgang Gemünd