Gegen die Instrumentalisierung des Mordes an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink protestieren die Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu, Cem Özdemir und Ekin Deligöz. Sie appellieren an das türkische Parlament, den Hatzparagraphen 301 des türkischen Strafgesetzbuches ersatzlos zu streichen.

Wir sind alle Hrant Dink! Wir sind alle Armenier! Mit diesen Sätzen wurde der türkisch-armenische Intellektuelle und Chefredakteur der zweisprachigen Zeitung AGOS Hrant Dink am 19. Januar dieses Jahres von über Hunderttausend Menschen auf seinem letzten Weg begleitet. Sein letztes Bild ist so in unsere Wohnzimmer gelangt, wie es an alle internationalen Presseagenturen geschickt worden war: Sein toter Körper, mit Zeitungen bedeckt, bäuchlings auf offener Straße vor seinem Büro in Istanbul. Der Trauerzug verwandelte sich in eine friedliche Demonstration, die die Empörung gegen einen Mordanschlag auf den Mann ausdrückte, welcher sein Leben der Aufarbeitung der Vergangenheit der Türkei und der Versöhnung von Armeniern und Türken gewidmet hatte.

Die zweisprachigen Websites der im Artikel erwähnten Migrantenorganisationen: Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg, Türkische Gemeinde zu Berlin, Türkische Sozialdemokraten in Berlin, Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion

Der Paragraph 301 dient den Zwecken des „Tiefen Staates“

Hinter dem kurz nach der Tat festgenommenen arbeitslosen Teenager aus Trabzon steckt ein Gebilde mafiöser, nationalistischer Strukturen, das seit langem vor den Augen der Polizei gewachsen ist. Trotz der massiven Bedrohung und der Belege für einen geplanten Mordanschlag auf Dink, hatte die Polizei es versäumt, gegen die Verdächtigen vorzugehen. Dink hatte keinen Personenschutz erhalten, obwohl die Staatsanwaltschaft hiervon unterrichtet worden war. Vieles spricht dafür, dass der Mord an Dink dem „tiefen Staat“, dem Machtdreieck aus einem Teil der Sicherheitskräften, Politikern und mafiösen Gruppen in der Türkei zuzurechnen ist.

Eine Mitschuld für den Mord an Dink trägt jedoch gewiss auch der Paragraph 301 des Strafgesetzbuches. Paragraph 301 legt fest, dass die Verunglimpfung bzw. Herabsetzung des Türkentums, der Republik oder des Parlaments mit einer Haftstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren bestraft werden kann. Nachdem Dink aufgrund von Paragraph 301 angeklagt und verurteilt worden war, war er von Nationalisten aus dem rechten und linken Spektrum dämonisiert worden. Auch der armenische Patriarch und die armenischen Nationalisten, insbesondere in der Diaspora, haben ihn einen Störenfried genannt. Nachdem Frankreich die Unterstrafestellung der Leugnung des Genozids beschlossen hatte, fragte Dink: „Wie können wir in Zukunft gegen Gesetze argumentieren, die verbieten, über den Völkermord zu sprechen, wenn Frankreich umgekehrt das Gleiche macht?“

Aufruf türkischstämmiger Grüner-Abgeordneter

Die türkischstämmigen Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu, Cem Özdemir, Ekin Deligöz, Bilkay Öney, Filiz Kolat und Nebahat Güçlü haben einen Appell an die türkische Regierung gerichtet, der dazu aufruft, den Paragraph 301 aus dem türkischen Strafgesetzbuch zu streichen. Der Paragraph war zunehmend dazu benutzt worden, nationalistische und rassistische Angriffe gegen andersdenkende Intellektuelle und Journalisten in der Türkei zu rechtfertigen. Viele anderen türkischstämmigen Abgeordneten in Deutschland sowie in der Schweiz und Niederlande haben diesen Appell unterschrieben.

Der Aufarbeitungsbedarf der Vergangenheit Die Migrantenorganisationen wie „Türkischer Bund in Berlin-Brandenburg“ (TBB) und „Initiative türkischer Organisationen“ der u.a. die Türkische Gemeinde zu Berlin (TGB), die Türkischen Sozialdemokraten in Berlin (TSD) und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) angehören, haben den Mordanschlag verurteilt. Von diesen Organisationen sind weitere konkrete Schritte wie Seminare und Konferenzen gefordert worden, um den Austausch von Armeniern und Türken und somit die Aufarbeitung der Vergangenheit zu fördern. Besonders die ideologisch verblendete Haltung gegenüber den Ereignissen im Osmanischen Reich 1915/16 unter den türkischstämmigen Jugendlichen in Berlin ist nicht zu brechen, solange es an demokratischer Streitkultur in der türkischen Community fehlt.

Solidarität mit den Demokraten in der Türkei Letztlich sollten wir uns den pro-demokratischen Intellektuellen in der Türkei solidarisch zeigen und es nicht zulassen, dass die Ermordung von Dink nun von manchen als Argumentationshilfe dafür benutzt wird, um zu beweisen, dass die Türkei eben doch nicht nach Europa gehört. Denn die Demokratiebewegung in der Türkei braucht gerade in diesen Tagen die Unterstützung der demokratischen Kräfte im übrigen Europa.

Autorin: Mehtap Söyler