Christian Ströbele im Gespräch über seine Arbeit im Bundestag, den Wahlkampf und seine Pläne für die Zukunft.
Stachel:
Die Folgen der Finanzkrise werden wahrscheinlich erst im Herbst richtig deutlich. Die Rechnung dafür wird den Wählerinnen und Wählern erst nach der Wahl präsentiert. Was wirst du tun?
Ich will zunächst mal Transparenz geschaffen. Welche Banken bekommen wie viel von den Hunderten von Milliarden und unter welchen Bedingungen ? Ich habe immer wieder mit parlamentarischen Anfragen bei der Bundesregierung nachgefragt, doch ich bekomme keine oder unvollständige Antworten. Der Bundestag ist völlig außen vor, hat nichts zu entscheiden, kriegt nicht mal Informationen. So kann das nicht weitergehen. Ich prüfe, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Und dann stelle ich fest, dass dieselben Manager, die die Katastrophe im Finanzmarkt mit verursacht haben, jetzt als große Krisenberater fungieren. Vor allem zocken und spekulieren die Banken munter weiter, jetzt allerdings mit unser aller Geld aus dem Stabilisierungsfond und Bürgschaften des Staates, Manager streichen weiterhin „Erfolgs“-Prämien und Abfindungen in Millionenhöhe ein. Die Finanzmärkte müssen dringend „entwaffnet“ werden. Transparenz muss her und staatliche Kontrolle der Banken, die unsere Steuermilliarden bekommen. Der Kreislauf aus Spekulieren, Scheitern und Sanieren mit öffentlichen Geldern muss durchbrochen werden.
Stachel: Afghanistan – Deutsche Panzer rollen wieder. Ist das noch Friedenspolitik?
Die militärische Eskalation ist das Gegenteil von Friedenspolitik, sie treibt die Spirale der Gewalt weiter an. Die Offensivstrategie mit den vielen zivilen Opfern schürt den Hass und macht die Taliban stärker. Der Krieg ist militärisch nicht zu gewinnen, das sagen inzwischen auch viele Militärs. Deshalb muss die Beendigung des Krieges und der Abzug der Bundeswehr in verantwortungsvoller Weise vorbereitet werden. Die derzeitige militärische Großoffensive ist gescheitert. Die Taliban rücken in die Gebiete wieder ein und üben die Kontrolle aus, hat der US-Kommandeur soeben erklärt. Danach ist ein „Weiter so“ unverantwortlich. Jede neue Offensive bedeutet Tod und Verletzung für viele Menschen und stärkt den Widerstand. Auswege aus diesem Dilemma müssen aber versucht werden. Deshalb haben wir eine Unterschriftenaktion gestartet zur Beendigung des Krieges. Die übergroße Mehrheit der Menschen auch in Deutschland will diesen Krieg nicht.
Stachel: Christian, Du hast mehr als drei Jahre im BND – Untersuchungsausschuss zugebracht. Was ist – in aller Kürze – dabei rausgekommen?
Die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes war tatsächlich skandalös. Die Bundesregierung hat bis heute nichts gegen Flüge des US-Geheimdienstes CIA über Deutschland unternommen, mit denen Gefangene in Foltergefängnisse verschleppt werden. Deutsche BND-Spione haben während des Irakkrieges kriegswichtige Informationen aus Bagdad geliefert, die an das US-Oberkommando weitergegeben wurden. Und der Bremer Bürger Kurnaz durfte nicht aus Guantanamo freikommen und nach Deutschland einreisen, obwohl von ihm keine Gefahr für die Sicherheit ausging. Vieles war also bei diesem Geheimdienst außer Kontrolle geraten. Die Aufsicht durch das Kanzleramt hat versagt.
Stachel: In den USA beginnt gerade eine Aufklärungswelle zu den schweren Verfehlungen der Bush-Regierung. Sind da nicht Erkenntnisse zu erwarten, die für uns wichtig sind? Und was bedeutet die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes?
Sicherlich können wir auch von der Aufklärung in den USA profitieren. Einiges haben wir schon im Ausschuss verwertet. So haben ehemalige US-Generäle betont, wie wichtig für ihre Kriegsführung die Meldungen der deutschen Agenten aus Bagdad waren. Deshalb haben diese auch US-Orden für ihre Hilfe erhalten. Das Gerichtsurteil gibt uns recht. Wir hatten geklagt, weil die Regierung uns wichtige Akten und Aussagegenehmigungen nicht gegeben hatte. Nun steht fest: Das waren Verstöße gegen die Verfassung. Die Abgeordneten der großen Koalition im Ausschuss haben diese Grundgesetzverletzungen gedeckt. Hochmütig haben sie ihre Zweidrittelmehrheit missbraucht und die wichtigen Rechte des Parlaments auf Einsicht in die Unterlagen und Kontrolle der Regierung aufgegeben. Das war verfassungswidrig. Ich hoffe, sie lernen daraus und opfern nie wieder Parlamentsrechte nur um des Koalitionsfriedens willen.
Stachel: Weshalb machst Du Dich weiterhin für die doppelte Staatsbürgerschaft stark?
Nun, weil eine richtige Forderung auch nach Jahren noch immer richtig ist. Unter Rot-Grün hat es zwar einige Verbesserungen im Staatsangehörigkeitsrecht gegeben, aber in einigen Punkten konnten wir Grüne uns nicht durchsetzen. Außerdem sind jetzt unerträgliche Folgen von Kompromissen deutlich geworden. So führt die Annahme einer anderen Staatsbürgerschaft automatisch zum Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft. Zudem vermute ich, dass heute die Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft größer ist als vor 10 Jahren.
Stachel: In Deinem Wahlkreis leben die aktivsten, aber auch anspruchsvollsten Menschen Deutschlands. Schwierig oder schön?
Ganz überwiegend schön. Es gibt Personen mit unglaublichem Engagement, die sich einmischen, sich nicht alles bieten lassen. Und es gibt viele mit sehr hervorragenden Kenntnissen und mit vielen neuen Ideen. Die tun sich zusammen und schaffen Neues bei der Sanierung von Häusern, der Erhaltung und Gestaltung des Spreeufers oder von Grünanlagen, in der Kultur oder in Bildungseinrichtungen. Ich habe solche Inis immer gern unterstützt. Zuweilen gibt es aber auch Probleme, wenn unterschiedliche oder gegenläufige Interessen aufeinanderstoßen, wie z.B. bei der Einrichtung von Druckräumen oder beim nächtlichen Treiben auf der Admiralbrücke. Dann muss miteinander gesprochen werden. Allen alles recht zu machen geht nicht immer. Es geht dann um vernünftige Kompromisse.
Stachel: Man sieht Dich immer wieder auf den Demonstrationen gegen rechte Gewalt im Bezirk. Gibt es dafür eine persönliche Motivation?
Ja auch. Schließlich war ich davon auf der Brücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain schon mal sehr schmerzhaft getroffen. Ein Rechtsradikaler hat mich von hinten beleidigt und in den Nacken geschlagen. Er wurde dafür verurteilt. Inzwischen ist die Situation nicht besser, sondern schlechter geworden. Die Gewalttaten sind häufiger und brutaler geworden. Das darf so nicht weitergehen. Deshalb müssen wir immer wieder auf die Straße, Gesicht zeigen und demonstrieren, dass die Straßen und Plätze nicht den rechten Gewalttätern überlassen werden. Wir sind schon viele mehr geworden, aber es reicht noch nicht. Deshalb versuche ich, stets dabei zu sein.
Stachel: Im Internetwahlkampf wabern auch Gerüchte und Falschmeldungen durchs Netz. Über Dich wird in Umlauf gesetzt, Du beabsichtigst, nicht die ganze Legislaturperiode zu machen. Gibt es jetzt mehr Foulspiel im Wahlkampf, wie gehst Du damit um?
Es gab auch schon einen Twitter unter meinem Namen, den ich nicht kenne. Manchmal ärgern mich solche Gerüchte, meist nehme ich sie mit Achselzucken zur Kenntnis. Wenn ich sage, ich kandidiere für eine Legislaturperiode, dann tue ich das auch. Ich pflege mein Wort zu halten. Aber offensichtlich werden solche Gerüchte bemüht, wenn politische Argumente fehlen. Vielleicht klaue ich auch die Idee der Media-Spree-Gegner und stelle alle Gerüchte auf meine Website unter dem Motto: die neuesten Gerüchte und schönsten Lügen!
Stachel: Was ist Dein Wunsch für die kommende Legislaturperiode?
Der Untersuchungsausschuss hat mich sehr in Beschlag genommen. An den Donnerstagen konnte ich meistens das Plenum nicht verfolgen, nur für einige namentliche Abstimmungen wurde unterbrochen. In der nächsten Wahlperiode möchte ich mich wieder stärker den brisanten Themen widmen können: Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, Krieg und Frieden, globale, auch soziale Gerechtigkeit.
Stachel: Vielen Dank für das Gespräch