Ein Kiez und seine Gewerbetreibenden dürfen Opfer rechter Gewalt nicht alleine lassen. Clara Herrmann zur Offensive "Servicewüste für Nazis" in der Jungle World.
Der Stadtteil Friedrichshain ist über Berliner Grenzen hinaus bei Einheimischen und Touristinnen und Touristen für seine eher alternative Ausgeh-Szene bekannt. Umso überraschender ist es, dass ausgerechnet Friedrichshain seit Jahren die traurige Liste rechtsextremer und rassistischer Übergriffe der Opferberatungsstelle „Reachout“ in Berlin anführt. Kneipen und Imbisse stellen häufig die Ausgangspunkte rechtsextremer Taten dar. Die Initiative gegen Rechts hat mit ihrer Mappe „Servicewüste für Nazis“ eine Handreichung für Gewerbetreibende im Kiez konzipiert. Warum eigentlich und was soll das überhaupt bewirken?
Die Antwort ist simpel: Mit der Aktion sollen Gewerbetreibende über die Situation und die Zusammenhänge in Hinblick auf Rechtsextremismus aufgeklärt und es sollen ihnen Handlungsmöglichkeiten geboten werden, wie man seine Kneipe, sein Restaurant oder seinen Laden und dessen Besucherinnen und Besucher vor Nazis schützt und die braune Brut vom eigenen Gewerbe fernhält – gerade weil man Nazis im Jahr 2008 gar nicht mehr auf den ersten Blick erkennen kann. Sie tragen Che-Guevara-Shirts, Palitücher oder „Thor-Steinar“-Pullover und sind durchaus auch gepierced. Keineswegs der alte Einheitslook mit Glatze und Bomberjacke. Auch über solche neuen (Mode-)Entwicklungen und Erkennungszeichen in der rechtsextremen Szene klärt die Mappe auf. Im 21. Jahrhundert muss man mehrmals hinsehen, und unter Umständen kann man Rechtsextreme nur an versteckten Symbolen oder Zeichen erkennen. Aber auch genau darauf zu achten, welchen Inhalt die Veranstaltung hat, für die man seine Räumlichkeiten vermietet, ist ratsam. Handelt es sich wirklich um eine harmlose Geburtstagsfeier, oder trifft sich gerade eine Kameradschaft?
Zudem wissen viele Inhaberinnen und Inhaber von Gastronomiebetrieben nicht, dass sie sich per Hausordnung und beim Abschluss von Verträgen gegen Rechtsextreme schützen können. Niemand muss dulden, dass seine Kneipe oder sein Laden zum Treffpunkt für Rechte wird, die dort nicht erwünscht sind, andere Kundschaft vertreiben und dem Betrieb neben einem schlechten Image auch einen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Selbiges gilt auch für Täuschungen bei der Anmietung von Gewerberäumen – wie zum Beispiel geschehen bei den „Thor-Steinar“-Läden in Magdeburg und Berlin. Auch zu diesen Fragen gibt die Handreichung der Initiative gegen Rechts wertvolle Tipps.
Durch einen Aufkleber mit der Aufschrift „Für Nazis keine Happy Hour“ kann jeder Gewerbetreibende deutlich im Schaufenster Stellung beziehen und zeigen, dass Nazis hier keinen Platz finden. Wer geht schon gerne in eine Location, in der man offensichtlich nicht willkommen ist – bei Betreibenden und bei den anderen Gästen? Das ist ein wichtiges Zeichen für Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe oder ihrer offensichtlichen Zugehörigkeit zu einer Minderheit ganz besonders durch Rechtsextremismus bedroht sind. Hier gilt es, den Betroffenen Räume zu schaffen, in denen sie sich frei und ohne Angst aufhalten können. Ein Kiez und seine Gewerbetreibenden dürfen Opfer rechter Gewalt nicht alleine lassen. Dazu gehört auch: Sich einzumischen statt wegzuschauen, und weitere Informationen und Beratungshilfen aufzuzeigen.
Wenn Gastronomen und Händlerinnen und Händler in einem Kiez sich zusammenschließen und viele Gewerbetreibende einen Aufkleber im Fenster oder an der Tür haben, der zeigt, dass die Räumlichkeiten nazifrei sind, wird schnell ein Zeichen der Solidarität und der gemeinsamen Ablehnung von Menschenfeindlichkeit und Intoleranz gesetzt. So kann sich ein Stadtviertel oder gar ein ganzer Ort erfolgreich gegen die schleichende braune Invasion wehren und rückt zudem enger zusammen. Läden, Kneipen und Imbissbuden tragen entscheidend zum gesellschaftlichen Klima eines Viertels bei. Weltoffenheit und die Weigerung, mit Intoleranz Geschäfte zu machen, werten jeden Betrieb und jedes Viertel auf.
„Keinen Fußbreit den Faschisten“ – für ein offenes und freundliches Zusammenleben im Kiez, dazu können alle beitragen, auch Gewerbetreibende. Die Aktion „Servicewüste für Nazis“ schließt damit eine wichtige Lücke, denn auch Gastronomie und Gewerbe gehören zu einer aktiven, demokratischen Zivilgesellschaft und profitieren von einer nazifreien Umgebung, wirtschaftlich und inhaltlich.