Jeden Monat eine neue Hiobsbotschaft: Friedrichshain-Kreuzberg so teuer wie Grunewald. Wohnungen in Innenstadtbezirken werden knapp. Drastische Mietsteigerungen von bis zu 50 Prozent. Bezirksbürgermeister Franz Schulz fordert neue Strategien im sozialen Wohnungsbau
Viele der Bewohnerinnen und Bewohner der Kreuzberger Fanny-Hensel-Siedlung werden wohl ihre Wohnung aufgeben und den Bezirk wohlmöglich verlassen müssen. Das ist ein Skandal. Nach der Beendigung der Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau hatte der private Eigentümer die Miete auf 7,03 Euro (zuvor 5,33 Euro) pro Quadratmeter erhöht. Die meisten Mieterinnen und Mieter der betroffenen 44 Wohnungen an der Schöneberger Straße können das nicht zahlen und haben in diesem Frühjahr Kündigungen erhalten. Ohne Unterstützung durch den Senat, müssen die Mieter in spätestens 12 Wochen ihre Wohnungen verlassen haben. Im schlimmsten Fall droht ihnen sogar die Obdachlosigkeit.
Die Mieterinnen und Mieter in der Fanny-Hensel-Siedlung sind nur die Spitze des Eisbergs. Vom Wegfall der Anschlussförderung für den ehemaligen sozialen Wohnungsbau sind in Friedrichshain-Kreuzberg mehr als 2.000 Wohnungen betroffen, davon rund 600 ganz aktuell. In ganz Berlin sind es sogar 28.000 Wohnungen, denen das Land Berlin den Status der subventionierten Sozialwohnung im Jahr 2003 gestrichen hat.
Junge-Reyer (SPD) verweigerte den Mietausgleich
Als Bezirksbürgermeister habe ich mich persönlich beim Senat und in einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus dafür eigesetzt, dass die Betroffenen einen Mietausgleich für mindestens sechs Monate bekommen. Dann bliebe mehr Zeit, nach einer bezahlbaren Wohnung in der Nähe von Schule, Kita oder Nachbarschaft zu suchen. In Einzelfällen ist ein solcher Mietausgleich durch das Land Berlin rechtlich durchaus möglich. Aber die zuständige Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) verweigerte den Mietausgleich. Sie
Weil die Mieten auf dem normalen (freifinanzierten) Wohnungsmarkt, die Mieten in ehemaligen Sozialwohnungen und bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften stark steigen, wird bezahlbarer Wohnraum in den Innenstadtbezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg immer seltener. Weil aber viele Bewohnerinnen und Bewohner geringe Einkommen haben, müssen viele schon 30 Prozent oder mehr für ihre Wohnkosten bezahlen. Einzelne Betroffene haben mir von Mietsteigerungen von 50 Prozent berichtet.
Was langfristig droht: Gentrifizierung und Segregation
Daher ist selbst der von mir geforderte Mietausgleich für einige Monateist keine langfristige Lösung, um Gentrifizierung und Verdrängung einkommensarmer Personen aus den Innenstadtbezirken zu verhindern. Das ist völlig klar. Was langfristig droht, beschreiben Stadtsoziologen unter den Begriffen Gentrifizierung und Segregation. In der Innenstadt nur noch teurer Wohnraum, in den Außenbezirken sammeln sich die Menschen mit geringen Einkommen. Neue soziale Stadtentwicklungspolitik gefordert Auch damit wir hier nicht die Probleme der Pariser Vorstädte bekommen, ist eine neue soziale Stadtentwicklungspolitik nötiger denn je. Meine Vorschläge als Bezirksbürgermeister und Grünen-Mitglied:
1. Wir brauchen wieder einen sozialen Wohnungsbau. Der Ausstieg aus dem damaligen Programm im Jahr 2003 war richtig, weil die Wohnobjekte mit ihren garantierten Kostenmieten eher als Steuersparmodell für westdeutsche Zahnärzte diente als der armen Bevölkerung. Statt einer Objektförderung müssen wir die Subjektförderung in Form von Wohngeld verstärken. Damit können wir eine Verdrängung einkommensschwacher Menschen aus der Innenstadt verhindern.
2. Außerdem brauchen wir wieder städtische Wohnungsbaugesellschaften, die ihrem ursprünglichen Auftrag gerecht werden: Einkommensarme Menschen mit günstigem Wohnraum zu versorgen. Aktuell stehen 300.000 städtische Wohnungen in Berlin 800.000 einkommensschwachen Haushalten gegenüber. Das reicht nicht aus. Der Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSW war nicht nur ein fataler Fehler. Weitere Wohnungszukäufe in den Innenstadtkiezen sind dringend notwendig.
Dr. Franz Schulz, Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg