“Wir haben auch Fehler gemacht.“


In Zusammenhang mit der Schule, dem massiven Polizeiaufgebot und der zeitweiligen Möglichkeit einer gewaltsamen Räumung ist unser grüner Stadtrat Hans Panhoff in die Kritik geraten, auch in den eigenen Reihen. Auslöser war sein Hilfeersuchen an die Polizei. Tim Lüddemann und Henry Arnold haben Hans Panhoff für den Stachel zu seinen Erfahrungen mit der Schule und den Refugees, seinen Beweggründen und seinen Plänen für die Zukunft der Schule befragt.

Henry Arnold (ha):Wie ist der Stand im Augenblick?

 

Hans Panhoff (hp): Im Moment fahren wir zweigleisig. Einerseits müssen wir konkrete Probleme mit den Bewohner*innen klären und lösen, andererseits geht es um die Perspektiven für die Zukunft. Da stehen im August die nächsten Gespräche an mit Diakonie und dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband wegen des geplanten Flüchtlingszentrums. Im Augenblick geht es um ganz profane Dinge, wie die Entrümpelung und die Müllbeseitigung. Da gab es auch Auseinandersetzungen zwischen der Container-Firma und den Bewohner*innen, deswegen geht das alles nicht immer so schnell wie wir alle uns das wünschen würden. Mit dem Einbau der Duschen lag die Sache ähnlich. Aber mittlerweile entspannt sich die Situation und es baut sich eine konstruktive Zusammenarbeit auf zwischen unseren Vertretern und Natasha Kelly, die von den Bewohner*innen als Vertreterin der Geflüchteten ausgesucht wurde.

 

ha: Wie geht es den Bewohner*innen jetzt, nach Deiner Kenntnis?

 

hp: Die 45 Bewohner*innen, die jetzt noch in der Schule wohnen, und die unsere Partner sind in der getroffenen Vereinbarung, die wollen nicht, dass weitere Personen einziehen. Wir brauchen daher rasche Klärung, was Hausausweise und Besucherausweise angeht. Das entspricht genau dem, was auch der Bezirk will, wir wollen in keinem Fall eine Situation, wie es vorher war, das war am Ende vollkommen unbeherrschbar. Und wir haben es immerhin hinbekommen, 270 Leute, 230 Flüchtlinge und 40 Roma eine wirkliche Alternative zu bieten! Und ich betrachte das wirklich als großen Erfolg, dass uns das gemeinsam gelungen ist.

 

ha: Was weißt Du von diesen 270?

 

hp: Da gibt es vor allem große Probleme, was den Status und die Papiere betrifft. Das ist nicht klar, und hier ist der Senat gefordert. Da müssen wir politischen Druck aufbauen.

 

Tim Lüddemann (tl): Ich möchte aber doch noch ein wenig zurück schauen: Nachdem Franz Schulz aus dem Amt geschieden war, hast du ja fast ein Jahr lang alleine die Verantwortung für die Schule innegehabt. Wäre es besser gewesen, die Verantwortung zu teilen, vielleicht ein ganzes Gremium einzusetzen, damit sich der Druck auf mehrere Personen verteilt?

 

hp: Das zielt auf die Frage, ob wir das richtig eingeschätzt haben, als Problem. Da haben die Fehler schon angefangen. Wir haben auch Fehler gemacht, das sage ich ganz offen. Aber andererseits ist das nun einmal auch ein Vorgang, für den es keine Vorbilder gibt. Im Nachhinein sage ich, wir hätten die Kontrolle früher übernehmen müssen. Begonnen hat das alles im dem extrem kalten Winter 2012/13. Es ging nur um die 30 Personen vom Oranienplatz, Franz Schulz hat damals aus humanitären Gründen möglich gemacht, dass sie die Schule als Winterquartier nutzen. Vereinbart war von Beginn an eine Eingangskontrolle, das sollten die Flüchtlinge selbst übernehmen. Ich denke, spätestens im Frühjahr 2013 hätten wir einen Wachschutz organisieren sollen, der diese Eingangskontrolle übernimmt. Stattdessen wohnten plötzlich über 250 Personen im Haus. Das ist uns einfach entglitten, und dann sind Zustände eingetreten, die nicht mehr lösbar waren. Wir haben auch zu spät realisiert, dass sich das so verbreitet hat, auch über facebook. Viele Flüchtlinge haben gehört, da gibt es einen Ort, wo man unterschlüpfen kann, und die sind dann auch gekommen. Das hat sich sehr dynamisch entwickelt, und wir haben dafür keine Antworten mehr gehabt.

 

ha: Unabhängig von dem konkreten Fall, was wäre denn Deine Vision von einer humanen Flüchtlingspolitik? Denn ich denke, was hier passiert ist, ist das letzte Glied in einer Kette von Fehlentwicklungen, deren Ursachen ganz woanders und viel tiefer liegen.

 

hp: Das ist extrem vielschichtig. Das fängt schon bei der Entwicklungspolitik an, da werden noch nicht einmal die 0,7% vom BIP, die da mal in Stockholm vereinbart wurden, eingehalten. Grundsätzlich müssen die Ursachen von Flucht – gerade wenn sie armuts- und wirtschaftsbedingt sind – abgebaut werden.

 

ha: Das meinte ich.

 

hp: Das wird aber alleine nicht reichen. Der zweite Aspekt ist: Unsere Einwanderungspolitik versagt. Was die Grünen schon seit Langem gefordert haben, nämlich eine Einwanderungsquote festzulegen, ist nie geschehen. Dabei würde es auch darum gehen, die Menschen, die hierher kommen, auszubilden, damit sie dann mit ihrem hier erworbenen Wissen in ihre Heimatländer zurückkehren können. Denn eines ist klar: Viele sind nicht aus politischen Gründen hier, sondern würden gerne als Migranten kommen, aber das einzige Einfallstor ist nun einmal Flucht.

 

ha: Wobei das letztlich auch politische Gründe sind, denn diese Art von Wirtschaftspolitik wird schließlich gezielt eingesetzt, und Verarmung und Verelendung sind kein Zufall.

 

hp: Wenn Du den Grund für Flucht bekämpfen willst, musst Du aber zunächst auch eine geordnete Migration zulassen. Und auch Doppel-Staatsangehörigkeit. Und dann wirst Du immer noch Flüchtende haben, weil sie politisch verfolgt werden, oder wegen ihrer sexuellen Orientierung. Aber wir müssen das Thema einer offenen Migration angehen. Das ist mein Grundverständnis. Das war auch in der Schule so. Es gibt eben die unterschiedlichsten Gründe für Flucht. Da sind keineswegs alle traumatisiert. Da gibt es auch viele, die sind sehr genau sortiert im Kopf und haben ein ganz klare Strategie.

 

ha: Es gibt beides.

 

hp: Klar, es gibt auch Traumatisierte, es gibt auch Schwerst-Traumatisierte. Das ging so weit, dass andere Bewohner*innen diese Leute los werden wollten, und sogar die Polizei gerufen haben, mit der Bitte, holt uns diese Leute weg, die machen alles kaputt. Man muss da wirklich sehr differenziert hinschauen.

 

tl: Es gab harte Vorwürfe gegenüber dem Bezirksamt und der grünen Partei, sie hätten sich zu wenig für die Refugees und deren Forderungen eingesetzt. Wie habt ihr ihnen Gehör verschafft?

 

hp: Sehr viel über die Pressearbeit, in zahllosen Interviews.

 

tl: Und in die Bundespartei hinein?

 

hp: Wir sind immer ganz konkret an die zuständigen Stellen heran gegangen, zum Beispiel die Behörde von Frau Kolat (Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, SPD). Einen großen politischen Aufriss Richtung Bundespartei hat es im vergangenen Jahr aber nicht gegeben.

 

tl: Noch eine konkrete Frage, und zwar zu den Duschen. Die Diakonie hat 2013 eine Dusche eingebaut, der Bezirk hat in der ganzen Zeit vor der jetzigen Einigung nichts unternommen.

 

hp:Die Verabredung war, dass die Duschen erst eingebaut werden, wenn ein Vertrag geschlossen ist. Ob das richtig war, sei dahin gestellt. Aber eines möchte ich hier einmal klar stellen: Bei der Messerstecherei, bei der der Marokkaner ums Leben gekommen ist, ging es nicht um fehlende Duschen. Da ging es um eine Auseinandersetzung, die weit vorher begonnen hatte. Der Marokkaner wollte gar nicht duschen. Das wird immer und überall falsch dargestellt. Es gab in der Schule außerdem Spannungen zwischen den Arabern und den Schwarzafrikanern, und deshalb wurde dort immer wieder die Polizei gerufen. Das darf man aber kaum laut sagen, als weißer Deutscher, denn dann heißt es sofort, ich würde versuchen, die Leute zu spalten oder aufeinander zu hetzen. Das ist alles verdammt knifflig. Zum anderen muss man auch die Rolle der Unterstützer hinterfragen. Lange Zeit wurde unsere Idee, Hausausweise einzuführen, von ihnen vehement bekämpft, jetzt kann es ihnen für die verbliebenen 45 Bewohner*innen nicht schnell genug gehen.

 

tl: Da schließt meine nächste Frage direkt an, nämlich zur Informationspolitik. Warum wurde vom Bezirk, der schließlich grün regiert wird, so wenig informiert und aufgeklärt, auch nicht in die eigene Partei hinein?

 

hp:Die Art und Weise des Informierens ist nicht gut gelaufen, da gebe ich Dir Recht. Mit der Fraktion hat es zwar viele Gespräche gegeben, aber das wurde dann auch nicht in die Partei weiter getragen, und wir als Bezirksamt haben es auch versäumt, offensiver zu informieren. Wir hätten sicher auch deutlicher machen müssen, was der Bezirk kann, und was er nicht kann. Das Wesentliche liegt außerhalb seiner Zuständigkeit. Wir brauchen, als grüne Partei, ein Krisenmanagement, vor allem im kommunikativen Bereich. Das habe ich jetzt wiederholt zum Ausdruck gebracht.

 

tl:Könntest Du Dir ein Szenario vorstellen, bei dem der jetzige Stand, rein über Verhandlungen zwischen Refugees, Unterstützern, Bezirk und Senat, auch ohne den Polizeieinsatz hätte erreicht werden können?

 

hp:Das halte ich für unrealistisch. Ohne Zugangskontrolle, also Kontrolle über die Türe geht es nicht. Die Unterstützer haben aber die Hausausweise über lange Zeit als „Lagersystem“ diskreditiert. Zweitens: Räume leer zu ziehen und dann abzusperren und leer stehen zu lassen, das wäre auch nicht möglich gewesen. Das hat schon bei den Roma nicht geklappt. Die haben die Plätze teilweise vertickt. Wir hatten uns ja selbst der Illusion hingegeben, dass ein sukzessiver Auszug der Bewohner*innen möglich wäre. Zum Glück ist es dann zu diesem einen Umzugs-Tag gekommen.

 

ha:Aber da gab es eben auch diesen massiven Polizei-Einsatz.

 

hp:In dieser Massivität war das nie geplant, auch nicht bestellt, und deswegen werden wir das auch nicht bezahlen.Hier sind wir aber an dem kritischen Punkt. Wäre die Polizei abgezogen, wäre das Haus gestürmt worden, und sofort wieder voll gewesen. Dann wäre das passiert, was wir unter allen Umständen vermeiden wollten.

 

ha:So kam es zu Deinem Räumungsersuchen?

 

hp:Ja, damit die endlich mal mit uns reden, denn es gab keine wirkliche Bereitschaft zu Verhandlungen. Es gab Maximalforderungen, eine möglichst allumfassende Lösung, über die wir als Bezirk gar nicht hätten entscheiden können. Asylrecht, was beim Bund liegt, die §§23 und 25, die das Land Berlin betreffen, bis hin zum Dublin-2-Abkommen auf der europäischen Ebene. Wir konnten nur über die Immobilie reden, und unsere Vorstellungen von einem Flüchtlingszentrum, das weit mehr sein soll als nur Schlafplatz, aber da sind wir nicht weiter gekommen. Unser Angebot vom April ist vollkommen ignoriert worden. Und vor diesem Hintergrund also habe ich damals das Räumungsersuchen gestellt.

 

ha:Das klingt so, als würdest Du heute genau so entscheiden.

 

hp:Na ja. Es wäre sicher leichter für mich gewesen, einfach zurückzutreten und das Chaos hinter mir zu lassen. Aber das ist nicht meine Art. Ich bin dann lieber in Aktion getreten als die Klamotten einfach hinzuwerfen.

 

ha:Und auch die Angriffe aus der eigenen Partei auszuhalten …

 

hp:Das waren sicher die, die am meisten schmerzen. Ich weiß es nicht, wie ich heute reagieren würde.

 

ha: Wie gehst du heute – auch innerparteilich – mit dem Umstand um, dass Dein Räumungsersuchen offensichtlich dem mehrheitlichen Willen sowohl des Landesvorstandes als auch der Bezirksfraktion und widersprochen hat?

 

hp: Also so eindeutig, wie das jetzt hier in Deiner Frage erscheint, war das mit der Willensbildung nicht. Es gab ja auch teilweise deutliche Unterstützung für meine Position, und die Diskussion muss auch geführt werden, wer für Entscheidungen die Verantwortung trägt. Die Lage war extrem komplex und schwierig, und zudem in ständiger Bewegung, auch aus dem Haus heraus. Da gab es gab dann dieses 10-Punkte-Papier …

 

tl:Das war aber doch noch vorher…

 

hp:Ja, ungefähr 20 Minuten vorher. Aber auch dafür gab es im Haus in Wahrheit gar keine Mehrheit. Meine These ist weiterhin, dass ohne den Druck es nicht zu einer Einigung gekommen wäre. Unser Abkommen mit dem Senat, der auch die Kosten übernommen hat, betraf die damaligen Bewohner*innen. Wäre das Haus anschließend wieder voll gezogen worden, hätte der Senat – und zwar zu Recht –darin den Bruch der Verabredung gesehen, und dann wären auf den Bezirk Kosten von über 3,5 Mio Euro zugekommen. Außerdem hatte ich die Zusage des Polizeipräsidenten, dass er in jedem Fall in den folgenden zwei Tagen nicht räumen lassen würde, andererseits hat er mir aber als Bezirk die Möglichkeit gegeben, weiter zu verhandeln. Im Übrigen waren in dem 10-Punkte-Papier Forderungen an den Bezirk, die er nicht erfüllen kann und die dann abgeändert wurden. Mir ist aber völlig klar, dass sich das in der Außensicht anders dargestellt hat, und daher meine dringende Forderung nach einem Krisenmanagement und einer anderen Form der Kommunikation.

 

ha:Wozu dieses Gespräch und diese Ausgabe des Stachel beitragen soll. Zum Abschluss: Was wünschen wir uns, was erhoffen wir uns für die Situation in einem Jahr?

 

tl:Ich wünsche mir, dass sich all diese Fragen gar nicht mehr stellen, dass wir, so wie wir eine deutsche Freizügigkeit haben, dann eine globale Freizügigkeit haben, und dass wir alle auf eine solche Vision hinarbeiten. Und da habe ich eben meine Zweifel, ob solche Ziele, auch bei uns in der grünen Partei, in der politischen Alltagsarbeit nicht Gefahr laufen, unterzugehen.

 

hp:Auch wir Grüne sind in unterschiedlichen Rollen. Du entwirfst ein Weltbild, und es ist sicher schwierig, alle Menschen dafür zu gewinnen. Ich bin Amtsträger, und zwar Stadtrat für den Bezirk. Ich muss jeden Tag Entscheidungen treffen, die für viele Menschen gelten, weit über die grüne Partei hinaus. Realpolitisch für machbar halte ich jedoch, das Flüchtlingszentrum weiter zu verfolgen, auch wenn das in einem Jahr wohl noch nicht vollständig umgesetzt sein wird. Aber dafür arbeite ich.

 

Nachtrag: Ein Antrag zur Abwahl von Hans Panhoff wurde am 28. August in der BVV mit deutlicher Mehrheit zurückgewiesen. Das Gespräch wurde bereits Anfang August geführt und letztmalig überarbeitet am 23. August. Es konnte daher Entwicklungen, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, nicht mehr  berücksichtigen.

 

Redaktion: Henry Arnold