Die Schule wird das erste internationale Flüchtlingszentrum


Monika Herrmann ist seit einem Jahr Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg. In dieser Zeit hatte sie einige Herausforderungen zu meistern. Im Gespräch mit dem Stachel erklärt sie die Situation in der Gerhardt-Hauptmann-Schule (GHS) und den Polizeieinsatz.

Stachel: Der Polizeieinsatz in der Ohlauerstraße in Kreuzberg war erst vor einigen Wochen. Solidaritätsaktionen der Nachbarschaft, heftige Debatten über Flüchtlingspolitik und der Umgang des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg mit der Polizei wurden kontrovers diskutiert. Wie geht es heute den Bewohnerinnen und Bewohnern der GHS?

Monika Herrmann: Den BewohnerInnen der GHS geht es mit Sicherheit nicht besonders gut. Einerseits wissen sie, dass der jetzige Zustand keine Dauerlösung ist. Andererseits sind sie ihren politischen Forderungen nach § 23 noch nicht wirklich näher gekommen. Der Innensenator verweigert sich auch nur darüber zu diskutieren, dass die Flüchtlinge vom O-Platz und der GHS eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Dies macht die Lage der Menschen sehr schwierig, weil die Zukunftsaussichten zur Zeit nicht besonders positiv aussehen. Der Bezirk selber kommt jetzt an seine finanziellen Grenzen – was die Situation eindeutig erschwert. Wir können die  asylpolitischen Forderungen als Bezirk nicht erfüllen – also keinen Aufenthalt gewähren und keine Pässe ausstellen und wir können die Betriebskosten und die Sicherung der Schule und den Unterhalt für 30 Flüchtlinge auch nur noch einen sehr begrenzten Zeitraum finanzieren. Das Bezirksamt sucht intensiv nach Lösungen, hat aber zum jetzigen Zeitpunkt noch keine gefunden.

Stachel:  Wie soll es weitergehen mit der refugee-school in Kreuzberg?

M.H.: Wir haben bereits vor Monaten den Vorschlag gemacht, dass die Schule in ein Internationales Flüchtlingszentrum transferiert werden soll. In Berlin gibt es im Grunde keine wirklich vernetzte Struktur, auf die Menschen zurückgreifen können, die in die Stadt kommen. Das Land ist komplett mit der Situation überfordert, wenn Menschen kommen und sich nicht im rechtlich vorgegeben Rahmen bewegen. Sie haben keine neutrale zentrale Anlaufstelle, sie können nirgendwo für einen gewissen Zeitraum schlafen, sie können sich nicht medizinisch versorgen lassen. Es gibt verschiedene Beratungsstellen, die viel ehrenamtliche Arbeit leisten und die Versorgung der Menschen läuft fast ausschließlich über Spenden. Nun kann man argumentieren, dass sich die Menschen „illegal“ in Berlin aufhalten und darum ist der Staat nicht verpflichtet sich darum zu kümmern oder aber die Landesregierung nimmt endlich zur Kenntnis, dass Menschen nach Berlin kommen und hier in fatalen Verhältnissen leben, die wir nicht akzeptieren wollen.

 

Stachel:  Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der Erteilung des Räumungsauftrags an die Polizei. Wie stellt es sich aus Deiner Sicht dar?

M.H.: Es ist zu unterscheiden, zwischen dem Amtshilfeersuchen, welches der Bezirk an die Polizei gestellt hat, um den Umzug zu ermöglichen und dem Räumungsersuchen des Baustadtrats. Wir hatten am O-Platz die Erfahrung machen müssen, dass diejenigen, die umziehen wollten dies nicht ungehindert konnten und es auch Versuche von Nachbesetzungen gab. Daher haben wir die Polizei um Amtshilfe gebeten, den Umzug aus der GHS zu begleiten, damit diejenigen, die umziehen wollten es auch ungehindert tun konnten und gleichzeitig keine Neubesetzung der Schule mehr möglich war.

Eine Bewertung zum Räumungsersuchen neun Tage später fällt im Rückblick schwer. Damit meine ich die Einteilung in Richtig oder Falsch. Der Baustadtrat hatte im Vorfeld des Umzuges viele Monate mehrmals in der Woche mit den Protagonisten verhandelt und war einem Ergebnis nicht wirklich näher gekommen.

Als die Polizei ihr Ultimatum stellte und in den folgenden Stunden auch noch verstärkte, gab es bei ihm wohl eine Art Déjà-vu. Seine Idee war, dass er eine Situation schaffen wollte, die Bewegung in die Gespräche bringt. Hier muss man wissen, dass die Flüchtlingsgruppe im Haus neun Tage lang mit der Verhandlungskommission des Bezirksamtes unter Leitung des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Dr. Peter Beckers (SPD) nicht gesprochen hat. Es wurden Pässe und Aufenthalt verlangt, vorher gäbe es keine Gespräche.

Eine Räumung jedoch wurde nicht nur von mir, sondern selbst von der Polizei als sehr gefährlich eingeschätzt. Die Gefahr, dass ein Flüchtling oder ein Polizist bei der Räumung des Daches zu Tode kommt war sehr hoch.

Durch das Ultimatum der Polizei erhöhte sich der Handlungsdruck jedoch ins Unerträgliche. Ich selber hatte am Morgen per SMS über die Verbindungsperson zwischen Bezirksamt und Flüchtlingen die Dringlichkeit und Notwendigkeit miteinander ins Gespräch zu kommen ins Haus gesendet. So kam auch die erste 10-Punkte-Liste zustande, die wir auch im Bezirksamt diskutiert hatten. Sicherlich waren nicht alle Punkte vom Bezirksamt zu erfüllen aber für eine Gesprächsgrundlage war der Anfang gemacht. Der Baustadtrat verstand die 10 Punkte jedoch als Gesamtpaket – im Sinne von Alles oder Nichts. Aus diesem Grund stellte er sein Räumungsersuchen. Ob die dann folgenden Verhandlungen auch ohne sein Räumungsersuchen möglich gewesen wären oder nicht, kann im Rückblick nicht mehr festgestellt werden.

 

Stachel:  Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen? Hat der Bezirk die Situation richtig eingeschätzt?

M. H.: In den Vorplanungen zum Umzug sind wir sehr wohl davon ausgegangen, dass möglicherweise nicht alle BewohnerInnen der GHS das Gelände verlassen wollen. Der Baustadtrat hat aus diesem Grund bereits Tage vorher zum einen in der Schule den BewohnerInnen mitgeteilt, dass die Verhandlungen mit dem Senat für eine Alternativunterkunft in eine positive Richtung gehen und somit der Umzug kurz bevor stünde und er hat gleichzeitig auch die Möglichkeit eröffnet, dass bis 45 Personen auf dem Gelände bleiben könnten – allerdings nicht im Haupthaus, was für die Umbauarbeiten frei gezogen werden sollte – sondern im Pavillon.

Den Umzugstag hatte nicht der Bezirk festgelegt, sondern er wurde vom Senat vorgegeben. Mit dem Senatsbeschluss musste unverzüglich der Umzug stattfinden. Als das Bezirksamt morgens in die Schule kam, um über den Umzug zu informieren, saßen einige BewohnerInnen bereits auf ihren gepackten Koffern und warteten auf die Busse.

Die Zugänge zum Dach waren mit Stahltüren am Morgen noch gesichert. Verabredet war keine Polizeipräsenz im Haus, so dass die Türen nicht zusätzlich gesichert waren. Im Laufe des Tages wurden die Türen aus dem Mauerwerk geschlagen und mehrere Personen gelangten auf das Dach. Weiterhin wurde Benzin verschüttet und mit Behältern gewunken, die angeblich Bomben und Molotowcocktails darstellen sollten. Es wurde von verschiedenen Personen damit gedroht, dass sie sich vom Dach stürzen wollten und von anderen, dass sie alles in Brand stecken würden bzw. die Bombe zünden.

Dadurch war in der Tat eine Situation eingetreten, die uns maßlos überfordert hat. Wir sind alle keine Profis für derartige Ausnahmesituationen. Emotional war das für uns alle ein absoluter Ausnahmezustand. Uns war allen klar, eine falsche Entscheidung zum falschen Zeitpunkt würde zu einer unvorstellbaren Katastrophe führen – nicht nur für die Menschen auf dem Schulgelände, sondern auch für die unmittelbare Nachbarschaft. Niemand – auch nicht die Polizei – konnte zu diesem Zeitpunkt einschätzen, ob es sich um leere Drohgebärden handelte oder ob jemand im Haus davon tatsächlich was in die Tat umsetzen würden.

Wir haben in unserer Not bei der Polizei nach psychologischen Spezialkräften nachgefragt, die in vergleichbaren Situationen die Verhandlungen führen – also Profis für Verhandlungen – diese wurden uns verweigert. Uns wurde gesagt, dass diese Fachleute erst zur Verfügung stehen würden, wenn wir das Räumungsersuchen stellen. Von der Polizei selber wurde die Gefahrenlage als sehr hoch eingeschätzt. In den vielen Diskussionen mit der Polizei, die wir als Bezirksamt in den ganzen neun Tagen führten, schwankte diese selber zwischen Räumung und Nichträumung. An einem Abend wurde uns die Entscheidungskompetenz entzogen und mitgeteilt, dass die Gefahr für den Kiez so groß sei, dass man nach Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz nun selber entscheiden würde und am nächsten Tag wurde dies teilweise wieder zurückgezogen. Es wurden ständig neue Ultimaten formuliert und es wurde Druck gemacht, von der Polizei, von der Straße und von der Presse. Es war für uns alle ein unvorstellbarer Nervenkrieg.

Stachel:  Welche Reaktionen gingen während und nach dem Polizeieinsatz bei Dir ein und von wem?

M. H.: Am meisten hat die Menschen das Abriegeln des Kiezes bewegt. Das unglaublich große Polizeiaufgebot, die Bewaffnung mit Maschinengewehren und das zum Teil harte Vorgehen gegen Sitzblockaden. Die Polizei überhaupt um Amtshilfe zu bitten ist schon an der Grenzen des Akzeptierten gewesen – das war mir klar. Ohne wäre es allerdings nicht zum Umzug gekommen und in der Schulen würden weiterhin 250 Menschen unter inakzeptablen Umständen leben. Neun Tage Polizeisperren allerdings war zu viel.

 

Die Beschwerden die kamen, richteten sich zu 80% gegen diesen Polizeieinsatz. Als der Baustadtrat sein Räumungsersuchen gestellt hatte, wurde von sehr vielen die sofortige Rücknahme gefordert. Auch die Gewerbetreibenden zeigten ihren Verdienstausfall an. Allerdings gab es auch Reaktionen, die von uns verlangten die Schule um jeden Preis zu räumen.

 

Stachel:  Du wurdest während der Polizeiaktion persönlich bedroht und hattest einige Zeit Polizeischutz. Verändert eine solche Erfahrung die Perspektive auf Politik?

M. H.: Ja. Ich gehe Konflikten ganz sicher nicht aus dem Weg. Ich bin streitbar, keine Frage. Ich setze mich mit Worten auseinander und lehne aus einer tiefen Grundüberzeugung tätliche Angriffe auf Personen ab. Wenn über Tage drei Personenschützer um dich herum sind und du keinen Weg mehr alleine machst, wenn deine Privatadresse von der Berliner Zeitung getwittert wird und du nicht mehr zu Hause wohnen kannst, dann stellst du dir natürlich die Frage, ob es das wert ist.

Mein Ziel war, dass ich dafür streite, dass der Senat von Berlin die Menschen vom O-Platz und aus der GHS zur Kenntnis nimmt. Ich wollte, dass sie nicht weiter im Dreck leben müssen und ich wollte, dass sie in Berlin wenigstens eine Chance für eine bessere Zukunft bekommen. Ich habe es zumindest erreicht, dass 570 Menschen in Betten schlafen können und regelmäßig was zu essen haben. Ich habe allerdings auch den Zusagen von Dilek Kolat und Klaus Wowereit geglaubt, dass allen die Möglichkeit eines fairen Verfahrens und die zugesagte Unterstützung gewährt werden.

Dass der Senat seine Zusagen gebrochen hat, erschüttert mich ehrlich gesagt noch viel mehr als die Drohungen gegen meine Person. Wenn niemand sich mehr auf die Zusagen der Berliner Regierung verlassen kann, was ist denn dann noch unsere Demokratie wert?

 

(Redaktion: Canan Bayram)