Ewa Maria Slaska, Vorsitzende des Vereins "WIR" zur Förderung der Deutsch-Polnischen Literatur

Margarete Kubicka war eine talentierte Malerin mit anarchistischen Tendenzen, die lange Jahre in der berühmten Hufeisensiedlung in Berlin-Britz gelebt hat. […] 1984 starb die Künstlerin, die als Kunstlehrerin Generationen von Berliner Kindern in die Kunst des Malens und Zeichnens eingeführt hatte. […] Weil sie gut war und weil sie eine Frau war, ist sie heutzutage nicht so berühmt wie ihr Haus und sein Architekt, sondern so gut wie vergessen. Auch ihr Ehemann, der polnische Maler und Lyriker Stanislaw Kubicki, war eine faszinierende Persönlichkeit. 1933 war er nach Polen ins Exil gegangen, ab 1939 hatte er gegen die deutsche Besatzung gekämpft, 1943 wurde er von der Gestapo ermordet. Auch über Stanislaw Kubicki war lange nur wenig bekannt. Dass sich das mal ändern würde, ist Lidia Gluchowska zu verdanken. Ferner dem in Kreuzberg ansässigen Verein zur Förderung der Deutsch-Polnischen Literatur WIR, der neben zahlreichen anderen Werken auch Bücher über Stanislaw Kubicki herausgegeben hat. Es ist ein strahlender Frühlingstag, als Ewa Maria Slaska, die Vorsitzende von WIR, mich in den Räumen des Vereins empfängt.[…] Ewa Maria erinnert daran, dass wir uns schon einmal über den Weg gelaufen sind und zwar auf einer ihrer zahlreichen Lesungen. Ich erinnere mich gut, denn mit der Frage: „Möchten Sie ewig leben oder lieber sterben?“ war sie vor fast zehn Jahren wie eine Bombe über ein Publikum gekommen, das bis zu diesem Zeitpunkt noch mit einem ruhigen Abend gerechnet hatte. Ewa Maria Slaska hat uns damals alle beeindruckt. […] Sie sprach über Melancholie, Depression und über polnische Bigos. […] Nun erzählt sie mir: Sieben Frauen seien sie zunächst gewesen. Ihr Plan, die Anwesenheit schreibender Polinnen in Berlin durch eine Broschüre einer mehr oder weniger staunenden Öffentlichkeit kundzutun. (Schreiben? Nicht putzen?) Eines war ihnen klar: Wer in Deutschland einen Gartenzaun streichen möchte oder ein Gerümpelturnier organisieren oder eine Broschüre herausgeben, der kommt um eine Vereinsgründung nicht herum. Dass ihnen ein Mann mit in die Gründungsversammlung gerutscht war, ließ sich nicht ändern. […] Was als Frauengruppe angedacht war, wurde deshalb kurzerhand in Literaturverein umbenannt, in den Literaturverein WIR. […] WIR hatte dann, erzählt Ewa Maria weiter, mindestens drei klar voneinander unterscheidbare Phasen: In der ersten, sie nennt sie „die klassische“, die von 1994 bis 1998 dauerte, ging es getragen zu: Schwere Themen, ernste Themen wie der II. Weltkrieg, vergessene DichterInnen, Identitäten … bestimmten die Aktivitäten, die sich in der Herausgabe einer Reihe von Büchern niederschlugen, die von Ewa Maria als „die schwarzen Bücher“ bezeichnet werden. Unter maßgeblicher Beteiligung von Jacek, das ist ihr Sohn, konzentrierten sich die WIR-Leute in der zweiten Phase auf die Durchführung von Workshops (Schreiben, Übersetzen), in denen sich insbesondere junge Leute tummelten, deren Produkte sich in den so genannten „weißen Büchern“ wieder fanden. „Es ging in dieser Zeit also stark um Förderung von jungen Leuten“, sagt Ewa Maria, „2003 aber, mit der jungen Architektin und Künstlerin Anna Krenz, begann die dritte Phase von WIR …“ Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man sich bei Ewa Maria zu Hause getroffen. Doch nun gesellt sich der Autorin, Herausgeberin, Leiterin und Organisatorin eine zweite Frau zur Seite: Auf Anregung von Anna Krenz und trotz unsicherer Finanzierung eröffnet WIR das Zero, eine Galerie in der Köpenicker Straße 4 in Kreuzberg, wo zwar auch geschrieben, in erster Linie aber ausgestellt wird. Apropos unsichere Finanzierung … Eine Sache ist es, dass es immer schwierig ist, Räume für kulturelle bzw. künstlerische Aktivitäten zu unterhalten, eine andere ist es, seine Miete zu bezahlen. Als Schriftstellerin. Als Malerin. Als Fotografin. Als Künstlerin welcher Art auch immer. Ich wünsche mir schon lange, mal eine kennen zu lernen, die das schafft. Und Ewa Maria versteht, was ich meine. Das gibt mir die Gelegenheit, unser Gespräch von WIR weg hin zu ihr zu lenken, zur Chefin selbst, die nach widerständlerischen Aktivitäten in Polen im Jahr 1985 nach Westberlin kam. Als gelernte Archäologin konnte sie die deutsche Sprache noch nicht sprechen, aber lesen. Doch bereits 1988/89 schrieb sie ihre Geschichten nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch. Ich möchte aber noch mal drauf zurückkommen, wovon sie denn nun lebt. Als Künstlerin. „Nun, ich bin nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Übersetzerin für diese drei Sprachen, Polnisch, Deutsch, Englisch. „Mein Brotberuf ist der einer Projektleiterin bei der Kreuzberger Musikalischen Aktion, aber das hat ein Ende … Deshalb überlege ich bereits, wie man die verschiedenen Bereiche miteinander verbinden könnte.“ Geld verdienen, auf dieses Phänomen stoße ich immer wieder bei Frauen, scheint ihnen überhaupt nicht wichtig zu sein. Es geht ihnen immer um die wichtigen Dinge im Leben. Glücklich möchten sie sein, und Freude an der Arbeit haben. Auch Ewa Maria legt Wert darauf, sich den Strängen widmen zu können, die sich durch ihr bisheriges Leben gezogen haben. Kunst ist ihr wichtig. „Dazu kommt das soziale Engagement, das mir zeit meines Lebens am Herzen lag. Und, das ist der dritte wichtige Strang, ich brauche das Gespräch, den zwischenmenschlichen Kontakt. Es wäre fantastisch, wenn man das alles verbinden könnte und daraus etwas entwickeln … Je älter ich werde, desto mehr möchte ich meine eigene Chefin sein. Desto schwieriger ist es, sich irgendwo einzufügen …“ Ewa Maria Slaska ist Jahrgang 1949, also kein Küken mehr. Keine Ahnung, was Claudia Schiffer so macht, wir anderen aber unterliegen den Naturgesetzen. Wir altern. Ewa Maria Slaska tut dies auf eine äußerst attraktive Art und Weise. Und ist der Optimismus in Person, wenn sie schnaubt: „Diskriminierung? Das sehe ich anders. Die haben doch so langsam kapiert: WIR sind die Golden Girls!!! Man MUSS uns gut behandeln, sonst kommt hier niemand weiter. Ohne uns geht’s nicht mehr!“ Wer auf jeden Fall weiter kommen wird, ist das Mulitalent Ewa Maria selbst. Da steht noch so einiges an. In Polen ist sie Dozentin für Frühgeschichte gewesen, Redakteurin und Pressesprecherin, in Deutschland Sozialbetreuerin, Projektkoordinatorin und -leiterin. Mit Stipendien war sie in Italien, Griechenland und Schweden. Sich selbst bezeichnet sie als Schriftstellerin, Übersetzerin, Projektmanagerin und Redakteurin und kann auf zahlreiche Aktivitäten zurückblicken. Was bei einer Schriftstellerin ja immer Veröffentlichungen sind: Über 600 waren es allein zwischen 1976 und 1985 in Polen, davon sind rund 150 unter Pseudonym erschienen, weil illegal, weil Solidarnosc. Für die Berliner Zeit zähle ich allein 15 WIR-Bände, die Ewa Maria (mit)herausgegeben hat, zahlreiche Erzählungen und Artikel für Zeitschriften wie Poglad, Archipelag und Slowo. Das klingt Polnisch. Und sie arbeitete für Multikulti. Das wiederum klingt typisch Deutsch. Ganz aktuell ist der Roman Piekne dni w Visby, Schöne Tage in Visby also. In Polen ist er schon erschienen, ins Deutsche bislang nur übersetzt. Während ich diese Zeilen schreibe, harrt er noch seiner Entdeckung durch die bundesdeutsche Öffentlichkeit. Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist er sicherlich schon ausverkauft.

Birgit Schmidt in „ChefinnenSache“