Initiativen gegen Rechts werden finanziell ausgetrocknet während die Braunen sich immer weiter ausbreiten und gerade auch in unserem Bezirk verstärkt zuschlagen

Die Anzahl rechtsextremer Jugendlicher ist erschreckend hoch: 4,9 Prozent der 15-jährigen Jungen sind Mitglied in einer rechtsextremistischen Gruppe. Jeder fünfte Junge und jedes zehnte Mädchen in der neunten Klasse sind als „sehr ausländerfeindlich“ einzustufen. Die Bundesregierung kürzt trotzdem seit Jahren Mittel für zivilgesellschaftliche Programme.

Mitte März diesen Jahres erschien die Studie „Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt“. Das Kriminologische Institut Niedersachsen befragte zwischen 2007 und 2008 44.610 SchülerInnen aus 61 repräsentativ ausgewählten Landkreisen (Durchschnittsalter 15). Ein Ergebnis war: der Rechtsextremismus wird immer bedrohlicher. In Berlin ist 2008 die Zahl rassistisch motivierter Angriffe um 40 Prozent gestiegen. Die Berliner Opferberatungsstelle „Reach Out“ registrierte insgesamt 148 rechte, rassistisch, antisemitisch und homophob motivierte Übergriffe – davon ist Friedrichshain mit 30 trauriger Spitzenreiter begangen.

Innenminister Schäuble zeigte sich erschrocken über den Rechtsruck. Es sei inakzeptabel, dass mancherorts Rechtsextremisten die besten Freizeitangebote bieten. Ein Hohn, denn die große Koalition ist maßgeblich an der drastischen Kürzung von Jugend- und Freizeitangeboten beteiligt. Sie diskutierte sogar die Abschaffung der Anti-Rechts-Bundesprogramme, verharmloste Nazis als Ostproblem und ließ antifaschistische Symbole strafrechtlich verfolgen. Die neu aufkeimende Diskussion um ein NPD-Verbot ist dabei überhaupt nicht zielführend, sondern eine Scheindebatte, die von den eigentlichen Problemen ablenkt. Auch härtere Strafen können nur eine nachträgliche Maßnahme sein.

Schäuble scheinheilig

Zwar wurden die Bundesprogramme nicht abgeschafft (v.a. aufgrund massiver öffentlicher Proteste), aber beständig und strukturell zurückgefahren sowie finanziell massiv gekürzt. So wurde eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Problem erschwert. Durch die unter Rot-Grün begonnene Bundesförderung lokaler Projekte sind sehr professionelle Strukturen entstanden. Infolge des Regierungswechsels wurde jedoch das bewährte Konzept entscheidend verändert: viele kleine Träger verloren durch die nun geforderte hohe Kofinanzierung jede Chance auf Bundesgeld und mussten schließen. Die ausufernde Antragsbürokratie geht zu Lasten der Inhalte. Langfristige, präventive Ansätze werden durch kurzfristige Kriseninterventionen abgelöst.

Zudem können sich Initiativen nicht mehr selbst um längerfristige Förderung bewerben. Nur Kommunen und Landkreise dürfen noch Anträge stellen. Was aber, wenn der Bürgermeister selbst Teil des Problems ist? Das Förderprogramm muss deshalb umstrukturiert werden. Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Verwaltung ist strukturelle Gleichberechtigung. Die große Koalition als Programminitiator trägt hier besondere Verantwortung. Prävention und Intervention müssen zusammenwirken, um die Demokratie langfristig zu stärken sowie unsere Gesellschaft gegen Nazi-Ideologien zu wappnen.

Rechte wollen sozial punkten

Was aber macht Nazis in Deutschland stark? In sozial schwachen Gebieten, in denen die demokratischen Parteien zu wenig präsent sind, kümmern sich Rechtsextreme um die praktischen Probleme der Bevölkerung. Aber auch im bürgerlichen Milieu punkten Rechtsextreme mit Antisemitismus und mit der kulturellen Abwertung Andersdenkender.

Eine gesellschaftliche Offensive zur Vermittlung von Mitgefühl, Toleranz, Dialogfähigkeit und Freude an Vielfalt ist vonnöten – von der Kindheit bis ins hohe Alter. Wir müssen eine dauerhafte Auseinandersetzung mit allen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus führen. Doch sogar spezifische Opferberatungsstellen oder Aussteigerinitiativen wie EXIT sind immer wieder in ihrer Existenz gefährdet. Die Politik ist aufgerufen, hier endlich die nötige Kontinuität zu schaffen.

Katrin Schmidberger