Eine Ausstellung der Amadeu Antonio Stiftung setzt sich mit dem oft tabuisiertem Thema des Antisemitismus in der DDR auseinander.

Das Wort Antisemitismus habe ich erst nach der Wende kennen gelernt. Für etwas, das es eigentlich nicht gibt, braucht es auch keine Wörter. Immerhin waren wir das antifaschistische Bollwerk schlechthin. Mit dem nationalsozialistischen Erbe hatte die DDR nichts zu tun, zumal die „Bösen“ sowieso alle in den Westen geflüchtet waren. Als 1990 Amadeu Antonio Kiowa, der Namensgeber der Stiftung, in einer brandenburgischen Kleinstadt von rechtsextremen Jugendlichen zu Tode geprügelt wurde, gab es schnell eine Schuldzuweisung an zugereiste Neonazis aus den alten Bundesländern. Doch diese Erklärung griff schon immer zu kurz. Im vergangenen Jahr haben 76 Jugendliche über mehrere Monate in acht ostdeutschen Städten zwischen Rostock und Jena nach den Spuren der jüdischen Vergangenheit geforscht. Im Ergebnis entstand eine Wanderausstellung aus 30 Stelltafeln. Themen sind unter anderem der Umgang mit jüdischen Friedhöfen, Antizionismus in den Medien, Gedenken und Erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus, Rechtextremismus und Antisemitismus in der DDR.

Die Nationalsozialistische Vergangenheit wurde in der DDR ausgeblendet. Eine Auseinandersetzung um historische Verantwortung und Schuld, so wie im Westen durch die Studentenbewegung ins Rollen gebracht, hat es im Osten Deutschlands nicht gegeben. Kaum jemand in Dessau weiß oder will wissen, dass von dort das Schädlingsvernichtungsmittel Zyklon B seinen tödlichen Weg in die deutschen Vernichtungslager nahm. 10 Jahre hat es gegen große politische Widerstände gebraucht, eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Zyklon B – Opfer zu errichten. Während meiner Studentenzeit in Zittau gab es 1980 im Studentenclub einen Vortrag zu Einstein. Als der Referent sich zum Engagement Einsteins für die Gründung des Staates Israel äußerte, erwachte der verantwortliche FDJ-Funktionär plötzlich aus seinem Wodka-Koma, beschimpfte den Referenten als Staatsfeind und erklärte die Veranstaltung als aufgelöst. Israel war für die DDR der Aggressor gegen Palästina, ein Werkzeug des internationalen Monopolkapitalismus. Zionismus wurde als Lehre, die sich gegen die arabischen Befreiungsbewegungen richtet, umdefiniert. Die Äußerung des Referenten war somit eine Provokation gegen den Sozialismus. Am nächsten Tag wurde ihm sein Honorarvertrag bei der Volkshochschule gekündigt. Auch später, Ende der 1980er Jahre als nach dem Rosa-Luxemburg-Film von Margaretha von Trotta eine Vielzahl von Hakenkreuzen auf den Fußweg hinter dem Kino Kosmos geschmiert waren, neonazistische Übergriffe sich häuften, wie zum Beispiel beim Punk-Konzert in der Gethsemane-Kirche, und Provokationen von Skinheads, insbesondere bei Fußballspielen, zunahmen, waren öffentliche Diskussionen tabu.

Alles, was sich außerhalb der FDJ als Subkultur entwickelte wie Grufties, Punks und Skinheads wurde unter dem Oberbegriff „negativ-dekadente Jugendliche“ durch die Staatssicherheit abgestempelt. Rechtsextreme Straftaten wurden in der DDR nicht als solche, sondern als Rowdytum oder aus dem Westen gesteuerte Provokationen verurteilt.

In den 1980er Jahren änderte die DDR durch die Aufnahme außenpolitischer Beziehungen zu den USA den Umgang mit den jüdischen Gemeinden. 1987 wurden zwei jüdische Friedhöfe und die Synagoge an der Oranienburger Straße an die Gemeinden rückübertragen und rekonstruiert. Die Rückgabe von Privateigentum und Entschädigungszahlungen wurden jedoch weiterhin abgelehnt. Aber nicht nur im Ausland lebende Juden wurden wie Feinde behandelt. Nach der Wende erfuhr ich, dass es in der SED eine extra Kartei für Juden gab und diese unter Druck gesetzt wurden, religiöse Reliquien zu „entsorgen“. Als 53 Künstler nach der Ausbürgerung Biermanns durch ihre Unterschriftenaktion eine Protestwelle entfachten, wurde das sofort als eine Verschwörung des Weltjudentums erkannt und aktenkundlich gemacht.

Die Ausstellung ist für viele eine Provokation. Selbst am Tag vor der Eröffnung bekam eine Organisatorin vom Taxi-Fahrer zu hören: „Das hat’s bei uns nicht gegeben.“ Die gleiche Antwort bekamen die Jugendlichen bei ihren Recherchen hunderte Male zu hören. Noch 1952, kurz vor seinem Tod, wollte Stalin die Endfrage der Juden in der Sowjetunion lösen. Die Sowjetunion war unser Bruderland. Weder dort noch in der DDR hat eine Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen und antisemitischen Entwicklungen stattgefunden. Und auch in Russland marschieren Neonazis. Das Tabu der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit muss in den neuen Bundesländern gebrochen werden. „Die Zukunft wird im Streit um die Vergangenheit entschieden.“ (Wolf Biermann) Elke Böttcher

Nähere Informationen sind zu finden unter

www.projektgegenpart.org

19.06. – 13.07.

Rathaus Treptow-Köpenick

Alt-Köpenick 21

12555 Berlin

Weitere Informationen:

www.amadeu-antonio-stiftung.de

www.projekte-gegen-antisemitismus.de

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de

www.projekte-gegen-antisemitismus.de (Dessau)

www.zyklon-b.info (Dessau)