Drs. Nr.: DS/1491/III

Drucksachen der Bezirksverordnetenversammlung

Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin

III. Wahlperiode

Ursprung: Resolution

Initiator: B’90 Die Grünen/SPD/DIE LINKE, Lenk, Dr. Wolfgang

Drs. Nr.: DS/1491/III

Betr.: Ein klares Nein zu Sarrazins Rassismus!

Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg ist empört und verurteilt die beleidigenden Äußerungen des ehemaligen Berliner Finanzsenators und immer noch amtierenden Vorstandsmitglieds der Deutschen Bundesbank Thilo Sarrazin über verschiedene MigrantInnengruppen. Sie sind diskriminierend, klar rassistisch und menschenverachtend. Wir begrüßen es, dass die Staatsanwaltschaft erste Schritte zur Eröffnung eines Verfahrens wegen Volksverhetzung eingeleitet hat.

Es ist nicht hinzunehmen, wie Sarrazin ganze Zuwanderergruppen in nützliche und überflüssige einteilt, in lernfähige und von vornherein hoffnungslose Fälle. Seine Ansicht, für diejenigen jungen Menschen, die in unserem Bildungssystem scheitern, gebe es schlicht keinerlei Möglichkeit der Teilhabe an Bildung und Ausbildung, ist völlig unbegründet. Eine solche Ansicht mißbilligt offensichtlich die vielfältigen Bemühungen auch in unserem Bezirk, die vom UN-Menschenrechtsbeauftragten Munoz bemängelten Benachteiligungseffekte des deutschen Bildungssystems gegenüber jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu beheben. Mit solchen Anstrengungen – ginge es nach Sarrazin – soll nun Schluss sein. Und Kinder sind in seinen Augen nicht länger willkommen, wenn sie von „der Unterschicht produziert“ werden.

Die schamlose Einschüchterung von BürgerInnen, die er als „Unterschicht“ bezeichnet, soll offensichtlich dazu beitragen, in der öffentlichen Meinung unter den schwierigen Bedingungen von anhaltender Wirtschaftskrise und verschärfter Krise der Staatsfinanzen eine Klassifizierung von MigrantInnengruppen nach Produktivität und IQ durchzusetzen, deren Ziel erklärtermaßen die Beschneidung von sozialen Teilhaberechten ist. Das ist schamloser Nützlichkeitsrassismus!

Erschreckend ist aber nicht allein die Einzelmeinung eines Bankmanagers und früheren Politikers, der seine Bekanntheit nicht zuletzt einer Vielzahl von verächtlichen Äußerungen über BürgerInnen verdankt, die von Armut betroffen sind . Erschreckend ist vielmehr die zum Teil wohlwollende Aufnahme seiner Polemik in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung. Eine Art klammheimlicher Freude kommt plötzlich zum Vorschein, dass hier ein Angehöriger der „Wirtschaftselite“ angebliche „Tabus“ gebrochen hat. Dabei handelt es sich nur um sattsam bekannte feindselige Einstellungen, die allerdings in einer Krisensituation wie der heutigen umso mehr nach Sündenböcken rufen.

Menschen mit rassistischen Vorurteilen zehren von Einzelwahrnehmungen und Projektionen gegenüber ‚Fremden’, denen sie kollektive ethnische, kulturelle oder religiöse Eigenschaften zuschreiben, um dann die konkreten Personen fortan durch die Brille dieser Zuschreibungen zu sehen. Darin besteht der Kern von Sarrazins Diffamierung bestimmter MigrantInnengruppen, vor allem derer türkischer und arabischer Herkunft. Die Folgen erleben wir vor Ort: Die Ängste und Einschüchterungen, die großen Verunsicherungen, die viele MigrantInnen empfinden, zerstören auch deren Vertrauen in die politische Kultur unseres Landes.

Wer am sozialen Zusammenhalt zündelt, will bewusst das Zutrauen beschädigen, dass wir gemeinsam auch unter schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen an einer lebendigen Stadt der Vielfalt weiter bauen können. Sarrazins Attacke torpediert offen das Berliner Integrationskonzept „Vielfalt fördern – Zusammenhalt stärken“, an dem sich unsere Bezirkspolitik orientiert. Die Bezirksverordneten von Friedrichshain-Kreuzberg sehen sich als Antwort darauf zu vermehrten Anstrengungen ermuntert, der widerwärtigen Mentalität des Nützlichkeitsrassismus öffentlich wirksam entgegen zu treten.

Ein Gemeinwesen, das seine Mitglieder ausschließlich nach ökonomischer Effizienz bewertet, ist kein Gemeinwesen mehr. Wehren wir den Anfängen: Erst sind es „die Kopftuchmädchen“. Welche Bevölkerungsgruppe mag der Bannstrahl in Zukunft treffen? Die BVV Friedrichshain-Kreuzberg verteidigt die kulturelle Vielfalt, denn sie gehört zum wirklichen Reichtum unseres Bezirks. Thilo Sarrazin darf keinesfalls Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank bleiben.

Friedrichshain-Kreuzberg, den 29.10.09

Vorsteherin Frau Burkert-Eulitz, Marianne