Der S-Bahnhof Neukölln entwickelt sich zu einem Drogenhotspot. Anwohner und Gewerbetreibende sind zunehmend besorgt über die Situation und berichten von offenem Konsum und Dealen rund um das Bahnhofsgelände. Es besteht dringender Handlungsbedarf, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.
Reflexhaft werden nun Rufe nach einer erhöhten Polizeipräsenz und härteren Strafen für Dealer laut. Solche Maßnahmen haben in der Vergangenheit jedoch nicht zu einer Auflösung der Szene, sondern zu deren Verlagerung geführt. Dieser als Ballon-Effekt beschriebene Vorgang spielt sich auch in Berlin ab; die Szene zog vom Bahnhof Zoo ans Kottbusser Tor, von dort an den Stuttgarter Platz, nun trifft sie sich in Neukölln.
Nach jahrelanger, erfolgloser repressiver Drogenpolitik muss ein Paradigmenwechsel vollzogen werden, um eine nachhaltige Lösung des Suchtproblems zu finden. Drogenpolitik sollte gesundheitsorientiert sein, sich auf Schadensminimierung fokussieren, nicht Konsumenten kriminalisieren. In Frankfurt und Zürich wurden konsumakzeptierende Suchthilfeangebote flächendeckend durchgeführt und haben insbesondere in Zürich die offene Drogenszene weitgehend verschwinden lassen. In Berlin gibt es bei geschätzten 7000 Heroinsüchtigen nur zwei Drogenkonsumräume und eine Praxis, welche eine heroingestützte Behandlung Süchtiger durchführt.
mehr Drogenkonsumräume
Drogenkonsumräume stellen ein wirksames ordnungspolitisches Instrument dar. Sie reduzieren den öffentlichen Konsum und entlasten damit den öffentlichen Raum. Zudem sind sie gesundheitspolitisch sinnvoll. Drogenabhängige können ihre mitgebrachten Substanzen unter der Aufsicht medizinisch geschulten Personals konsumieren, sodass im Notfall lebenswichtige Hilfe zur Stelle ist. Weiterhin bekommen Süchtige im Drogenkonsumraum saubere Spritzen und können unter hygienischen Bedingungen konsumieren, dadurch wird die Verbreitung von Krankheiten wie HIV und Hepatitis C vermieden. Ferner bekommen Sozialarbeiter in den Konsumräumen Zugang zu Menschen, die sonst keinen Kontakt mit dem Hilfesystem haben und können diesen Therapieangebote vermitteln.
Ärztliche Behandlung von Süchtigen
Komplementär zum Ausbau der Drogenkonsumräume muss das Angebot an heroingestützter ärztlicher Behandlung von Süchtigen ausgebaut werden. Eine ärztliche Versorgung von Schwerstabhängigen verhindert Beschaffungskriminalität, da sie die Betroffenen aus dem Hamsterrad von Konsum und der Finanzierung der nächsten Dosis befreit. Dadurch sind die Konsumenten wieder in der Lage einem geregelten Alltag nachzugehen und sich sozial zu reintegrieren. Zudem verringert sich ihr körperlicher Verfall, da sie nicht mehr auf das stark verunreinigte Heroin des Schwarzmarktes angewiesen sind. Zur Ausbau der ärztlichen Heroinvergabe müssen jedoch die hohen finanziellen und bürokratischen Hürden für behandlungswillige Ärzte abgebaut werden.
Der Betrieb von Konsumräumen sowie die heroingestützte Behandlung von Süchtigen sind nicht nur günstiger als Polizeieinsätze, sie verringern auch die negativen Begleiterscheinungen und langfristig Drogenkonsum. Um Suchtpolitik endlich erfolgreich zu gestalten, müssen konsequent neue Wege begangen werden, sonst wird sich die Situation in Neukölln bald an einem anderen Bahnhof wiederholen.
Marcel Schega, LAG Drogenpolitik