Die Geschichte unserer Stadt ist über Jahrhunderte von Einwanderung geprägt. So auch heute: Allein im Jahr 2015 werden rund 20.000 Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, bei uns Schutz und Unterstützung suchen. Es ist unsere Aufgabe, sie willkommen zu heißen.

Die Krisen und Kriege haben weltweit zu einer neuen Migrationsbewegung geführt, die Europa und Deutschland vor neue Fragen und Herausforderungen stellt. Und insbesondere in Berlin manifestiert sich der politische Protest der Geflüchteten gegen Missstände in der Gesetzgebung und gegen konkrete Missstände in der Unterbringung. Wir sehen für die Berliner Politik eine herausgehobene Verantwortung und wollen dieser auch gerecht werden.

 

Menschenwürdige Unterbringung ermöglichen

 

Zurzeit werden in immer neuen Maßnahmen kurzfristig Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen, die oftmals die Mindeststandards menschenwürdiger Unterbringung nicht erfüllen. Ein gesamtstädtisches Unterbringungskonzept unter Einbeziehung landeseigener Immobilien steht bis heute aus. Unser Ziel ist es, Flüchtlinge vorrangig in Wohnungen unterzubringen. Hierfür müssen alle Möglichkeiten genutzt werden. Als Sofortmaßnahmen müssen die Mietgarantiescheine verbessert, Wohnberechtigungsscheine für Geflüchtete ausgegeben und die Zwischennutzung von leer stehenden landeseigenen Wohnungen bzw. Gebäuden für Geflüchtete ermöglicht werden. Vorrangig wollen wir von den Ad-Hoc-Maßnahmen wie Turnhallenunterbringung u.Ä. wegkommen. Hierbei sehen wir die gemeinnützigen Träger als Partner, mit denen eine Unterbringung unter anderen Bedingungen möglich gemacht werden kann. Hierzu haben wir bereits Konzepte erarbeitet. Bei der Einrichtung und dem Betrieb von Flüchtlingsunterkünften muss die Mitbestimmung der Geflüchteten, der Zugang von Ehrenamtlichen und die notwendige Ausstattung mit Personal und Mitteln zur Einhaltung der Mindeststandards gewährleistet sein.

 

Dialog vor Ort stärken

 

Mangelnde Information, das Beschlagnahmen von Turnhallen und der Aufbau von Containern haben bei der Berliner Bevölkerung zu Verunsicherung geführt. Dabei ist die Hilfsbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner sehr hoch, zahlreiche Initiativen unterstützen vor Ort die Aktivitäten. Das darf nicht durch planloses Senatshandeln aufs Spiel gesetzt werden. Daher ist es wichtig, dass alle demokratischen Kräfte ihre Verantwortung wahrnehmen, um der Stimmungsmache der NPD und anderer rechtsextremer Kräfte gegen die Geflüchteten deutlich entgegenzutreten. Wir begrüßen die Einrichtung des Landesbeirats und die Mitwirkung von Wolfgang Wieland in diesem Gremium.

 

Gesundheitskarte statt Minimalversorgung

 

Flüchtlinge haben ein Recht auf Gesundheitsversorgung. Wir halten das Asylbewerberleistungsgesetz für falsch und setzen uns für die ersatzlose Streichung des Gesetzes ein. Dabei ist es das Ziel, dass es keine Sonderregelungen für Geflüchtete gibt. Vielmehr sollen sie ganz selbstverständlich in die Regelsysteme eingegliedert werden. Hier sehen wir die Gesundheitskarte als ein wesentliches Instrument. Das Ziel muss es aber sein, dass mit der Gesundheitskarte auch tatsächlich die gleichen Leistungen für Geflüchtete einher gehen, wie für alle gesetzlich Versicherten. Wir brauchen daneben auch eine Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere durch einen anonymen Krankenschein. Viele der ankommenden Geflüchteten sind durch ihre Erlebnisse traumatisiert. Daher muss die psychosoziale Versorgung dieser Menschen gewährleistet sein.

 

Perspektiven durch Ausbildung und Arbeit

 

Die Lockerung des strikten Arbeitsverbotes für Flüchtlinge durch den Bundesrat war ein richtiger  erster Schritt. Darüber hinaus gilt aber noch immer, dass viele bestehende Regeln eine unüberschaubare und unüberwindbare Hürde für Flüchtlinge und Bleibeberechtigte darstellen. Solche externen Hürden gibt es auch auf Landesebene, dazu gehört der Umgang mit der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Integration fußt auch auf Chancengleichheit und Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt. Diese Chancengleichheit muss aktiv hergestellt werden. Oft stellen wir fest, dass Flüchtlinge ausgeprägte Kompetenzen und eine hohe Motivation sowie hochwertige Berufs- und Hochschulabschlüsse mitbringen. Es sind also häufig nicht mangelnde berufliche Qualifikationen, sondern mangelnde Deutschkenntnisse das Hindernis. Daher ist der frühe Zugang zu Sprachkursen mit der Möglichkeit von fachspezifischer Gewichtung erforderlich. Wir sehen die Wirtschaft als Partner, wenn es darum geht, ein Bleiberecht durch Arbeit und Ausbildung zu ermöglichen.

 

Bildung

 

Der Anspruch auf Bildung von der Kita bis zur Schule muss durchgesetzt werden. Jedes Kind hat das Recht auf einen Kita-Platz. Die Zuständigkeitsregelung im Land Berlin erschwert die Umsetzung des Rechtsanspruchs. Daher regen wir ein von den beteiligten Akteuren zu erarbeitendes Gesamtkonzept an mit dem Ziel, dass der Bezirk zuständig wird, in dem das Kind bzw. seine Eltern wohnen.

 

Schule ist der Ort, an dem Kinder sich von ihrer Fluchterfahrung erholen und mit den anderen Kindern auf andere Gedanken kommen können. Daher lehnen wir Unterricht bzw. Schule in Flüchtlingsunterkünften ab. Wir wollen, dass die Kinder in die bestehenden Regelschulen gehen. Hierbei können sog. Willkommens-Klassen einen Einstieg erleichtern. Für die Kinder zuständig sollte der Bezirk sein, in dem die Kinder auch tatsächlich wohnen. Das hilft den Kindern, ihren Eltern und auch den Behörden. Andernfalls haben wir die Situation, dass für ein Kind in Steglitz-Zehlendorf der Bezirk Pankow zuständig ist.

 

Wir fordern die Abschaffung des Studierverbots und setzen uns für die Ausbildungs- und Studienförderung für Geflüchtete ein sowie für die Möglichkeit, Praktika und ein freiwilliges soziales Jahr zu absolvieren.

 

behördliche Ermessensspielräume nutzen

 

Ein Umdenken hin zu einer echten Willkommenskultur wollen wir auch in den zuständigen Behörden fördern, damit die Spielräume auf Bundes- und Landesebene für ein Bleiberecht erkannt und genutzt werden. Seit langem fordern wir, die Ausländerbehörde der Integrationsverwaltung zu unterstellen und interkulturell zu öffnen. Ebenso soll die Härtefallkommission, die eine wichtige Arbeit, leistet in ihren Befugnissen gestärkt werden. Besonderen Respekt bringen wir der Arbeit der Berliner Kirchen wie auch der kirchlichen Einrichtungen in Berlin entgegen, die sich um Lösungen für Flüchtlinge bemühen. Das Kirchenasyl ist eine legitime Form des zivilen Ungehorsams.

 

Partizipation und Engagement stärken

 

Geflüchtete haben ein Recht auf Gleichbehandlung und Partizipation. Daher wollen wir die Rechte von Geflüchteten in das Partizipations- und Integrationsgesetz aufnehmen sowie die Antidiskriminierungs-Instrumente für Geflüchtete öffnen. Wir wollen eine Debatte darüber führen, was es für uns bedeutet, wenn immer mehr Menschen hier leben, die an den demokratischen Entscheidungen und Prozessen nicht beteiligt sind. Berlin ist die Hauptstadt der Kultur. Daher wollen wir die Kunst- und Kulturprojekte sowie Sportprojekte von und mit Geflüchteten fördern.

 

In der ganzen Stadt haben sich viele Willkommens-Initiativen gebildet. Wir begrüßen dies ausdrücklich und wollen diese Initiativen unterstützen. Viel Menschen bringen sich ehrenamtlich ein, und auch von Geflüchteten wird immer wieder der Wunsch nach der Möglichkeit für bürgerschaftliches Engagement an uns herangetragen. Wir wollen das bürgerschaftliche Engagement der Berliner_innen wertschätzen und unterstützen sowie das bürgerschaftliche Engagement von Geflüchteten ermöglichen und stärken.

 

Abschiebehaft abschaffen

 

Die Freiheit von Geflüchteten wird durch die Abschiebehaft und das Flughafenasylverfahren eingeschränkt. Wir sind gegen die Abschiebehaft und den Abschiebeknast in Köpenick. Wir wollen den mit einer Million Euro überdimensionierten Bau abreißen und auf dem Grunstück des ehemaligen Frauengefängnisses der DDR die in Berlin dringend benötigten Wohnungen bauen lassen. Auch wenn unklar ist, wann der BER als Flughafen eröffnet werden soll, ist bis heute das einzige fertiggestellt Gebäude das Abschiebegefängnis. Wir sind gegen den sog. Flughafengewahrsam und wollen diesen auch am Standort BER verhindern.

 

 

Für eine andere Flüchtlingspolitik in Deutschland

 

Aber auch die bundesgesetzlichen Grundlagen, die noch immer stark von Restriktionen geprägt sind, die in zu vielen Fällen geflüchtete Menschen kriminalisieren, wollen wir mit dem Ziel einer menschenrechtskonformen Flüchtlingspolitik verändern. Wir unterstützen die Initiativen der grünen Bundestagsfraktion für einen erleichterten Zugang von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt, für die Abschaffung der Residenzpflicht und des Asylbewerberleistungsgesetzes.

 

Canan Bayram, MdA, Sprecherin für Integration, Migration und Flüchtlinge