Zunehmend wird wichtiges Kleingewerbe und sozio-kulturelle Infrastruktur durch hohe Mieterwartungen aus den Innenstadt-Kiezen vertrieben. Das Gewerbemietrecht bietet den Geschäften und Einrichtungen kaum Schutz. Das muss sich ändern. Ein Kommentar von Christian Ströbele.
Die Bäckerei Filou in Kreuzberg hatte es erwischt: Der Gewerbemietvertrag lief aus. Jetzt bald, im Juni. Die neuen Eigentümer hatten gekündigt. Sogar von einer Pachterhöhung um mehrere 100 Prozent war zeitweise die Rede.
Die Gentrifizierung, die Welle der Vertreibung in Friedrichshain-Kreuzberg, erfasst immer mehr auch die Kleingewerbe. Viele Buchhandlungen, Gemüsehändler, Bäcker oder Gemischtwarenläden, Kitas, betreutes Wohnen oder andere soziale wie kulturelle Einrichtungen und Treffpunkte sind bedroht. Die Verträge laufen aus. Die Mieterhöhungen sind für sie unbezahlbar. Und gesetzlicher Mieterschutz fehlt für Gewerbemieten. Was Friedrichshain-Kreuzberg lebenswert macht, ist in Gefahr.
Einige wenige der betroffenen Gewerbemieter konnten durch immer mehr Solidarität und Protest der Anwohner gerettet werden. Wie das „Filou“ erhielten sie neue Mietverträge. In den meisten Fällen gelingt dies aber nicht. Mit Ende der Laufzeit – meist ein bis fünf Jahre – sind die Mietverträge zu Ende. Im Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es dann keine Begrenzung für Mietpreissteigerungen.
Die Vermieter haben freie Hand. So können neue Eigentümer – meist Investorengesellschaften – ohne Einschränkung mit anderen, solventeren Mietern zu beliebig hohen Mieten neue Verträge schließen. Verlangt werden kann, was der Markt hergibt. Die neuen Gewerbe gehören eher zur touristischen Infrastruktur: Cocktail-Bars, Kneipen, Imbisse, Restaurants, Partylocations oder Beherbergungsbetriebe. Die Bevölkerung, die in den Kiezen lebt, verliert. Alles wird darauf ausgerichtet, an den Touristenströmen und der Party mitzuverdienen.
Das darf so nicht weitergehen. Was unsere Wohngegenden so attraktiv macht, ist die Kleinteiligkeit und das multikulturelle Leben vor der Haustür. Dass man alles fußläufig erreichen und besorgen kann. Dass die Inhaber ihre Nachbarn und die Nachbarn untereinander sich kennen und in den Läden treffen. Die besondere Lebensqualität steht und fällt mit der sozialen und kulturellen Infrastruktur, die durch diese Entwicklung massiv bedroht ist.
Deshalb fordern die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg schon länger ein sozialeres Gewerbemietrecht, das einen besseren Schutz für Kleingewerbe und sozio-kulturelle Infrastruktur ermöglicht, die im Kiez so wichtig sind. Milieuschutz soll auch auf Gewerberäume ausgedehnt werden können. Darüber hinaus wird ein Gewerbemietspiegel und Kündigungsschutz benötigt sowie Möglichkeiten, Mietsteigerungen zu begrenzen.
Die Macht zwischen Vermietern und Mietern im Gewerbemietverhältnis ist sehr einseitig zugunsten der Vermieter verteilt. Für die Bäckerei Filou im Reichenberger-Kiez haben die neuen Eigentümer nach intensiven und sehr kontroversen Gesprächen dann angeboten, in einem neuen Mietvertrag den Kündigungsschutz und eine drastische Begrenzung von Mieterhöhungen beispielhaft vertraglich zu regeln. Der Vertrag könnte Schule machen, für die Vereinbarung neuer, fairerer Mietverhältnisse, wo immer die Bereitschaft der Vermieter besteht – wie bei denen des „Filou“.
Um flächendeckende Verbesserungen zu erreichen, muss aber das Bundesrecht geändert werden. Rot-rot-grün in Berlin arbeitet derzeit an einer Initiative, um solche Verbesserungen in den Bundesrat einzubringen, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.
Wenn das besondere Flair und die Art, wie wir heute in unseren Kiezen leben, erhalten bleiben sollen, muss das Gewerbemietrecht grundlegend verändert werden. Sozialer Austausch, kurze Wege und eine funktionierende Nahversorgung. Platz für alternative Kunst und Kultur, für Kinder und alte Menschen, für Leute ohne viel Geld sowie soziale Randgruppen. Und Läden, die auch von ärmeren Bewohnern genutzt werden können – Das alles müssen wir schützen! Sonst wird die Berliner Innenstadt werden wie die Londoner City oder die Innenstadt von Paris: Kälter, unpersönlicher, eintönig, grauer und vor allem… sehr, sehr teuer.
Solidarität und gemeinsamer Einsatz von Bevölkerung und Politik tun Not.
Hans-Christian Ströbele