Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an das Abgeordnetenhaus Berlin (Drucksache 16/0567).

Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen:

… Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin

Vom …

Das Abgeordnetenhaus hat unter Beachtung von Artikel 100 der Verfassung von Berlin das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel I

Die Verfassung von Berlin vom 23. November 1995 (GVBl. S. 779), zuletzt geändert durch Gesetz vom … , wird wie folgt geändert:

Artikel 13 wird wie folgt geändert:

a) Es werden folgende Absätze 1 bis 3 eingefügt:

(1) Jedes Kind hat ein Recht auf Achtung seiner Würde als eigenständige Persönlichkeit und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft. Diese achten und sichern deren Rechte, tragen für altersgerechte Lebensbedingungen Sorge und fördern deren Anlagen und Fähigkeiten.

(2) Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt und Vernachlässigung. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt.

(3) Alle Kinder haben ein Recht auf Schulbesuch. Allen Jugendlichen ist die Möglichkeit zur Berufsausbildung und Berufsausübung umfassend zu gewährleisten.

b) Der bisherige Absatz 1 wird zu Absatz 4.

Artikel II

Dieses Gesetz tritt am Tage nach Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin in Kraft.

Begründung:

Internationale Vergleichsstudien wie zuletzt die Unicef-Kinderstudie stellen Deutschland in puncto Kinderfreundlichkeit ein schlechtes Zeugnis aus. Im Vergleich der Bundesländer belegt Berlin einen hinteren Platz. Hier leben überdurchschnittlich viele Kinder in armen Familien, Kinder mit Migrationshintergrund werden unzureichend gefördert und Eltern kommunizieren zu wenig mit ihren Kindern.

Kinder finden in der gesellschaftlichen Wertschätzung als eigenständige Persönlichkeiten keine hinreichende Anerkennung. Nicht nur Gewalt gegen und Vernachlässigung von Kindern, sondern auch unzureichende praktische Entfaltungs- und Beteiligungsmöglichkeiten lassen erkennen, dass die Achtung vor dem Kind im gesellschaftlichen Bewusstsein nicht ausreichend verankert ist. Weder das Grundgesetz noch die Berliner Verfassung normieren ausdrücklich Rechte des Kindes. Die Chance, durch eine klarstellende Regelung in der Verfassung die Rechte des Kindes besser zur Geltung zu bringen, gilt es zu nutzen.

Die Ergänzung der Berliner Verfassung um die Aufnahme eines Rechts des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit sowie auf gewaltfreie Erziehung bringt die rechtliche Stellung des Kindes als grundsätzliche gesellschaftliche Wertentscheidung klar zum Ausdruck und verpflichtet Staat und Gesellschaft auf die Berücksichtigung der Belange der Kinder in allen Lebensbereichen. Rechtlich und politisch bedeutet dies eine Stärkung der Interessen der nachwachsenden Generation – die Begründung und Durchsetzung konkreter Verbesserungen erhält einen verbindlichen verfassungsrechtlichen Bezug.

Mit der Verankerung von Kinderrechten in der Berliner Verfassung soll auch das so genannte Wächteramt des Staates noch konkreter und deutlicher zum Ausdruck kommen. Der Staat muss stärker in die Pflicht genommen werden, wenn es um die Verdeutlichung seiner Verantwortung für kindgerechte Lebensverhältnisse und gleiche Entwicklungsbedingungen und -chancen für alle Kinder und Jugendlichen geht. Die verfassungsrechtliche Sicherung des Kindeswohls wird gegenwärtig durch Auslegung des Art. 6 in Verbindung mit Art. 1 und 2 des Grundgesetzes erreicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das Erziehungsrecht der Eltern als „Elternverantwortung“ dem Kindeswohl verpflichtet. Der Staat darf sich bei seinem Wächteramt über die Elternverantwortung nicht auf rein defensive Maßnahmen beschränken. Vielmehr hat er zur Verwirklichung der aus den Art. 1 und 2 Grundgesetz abgeleiteten Persönlichkeitsrechte durch Abwehr drohender Beeinträchtigungen und durch Sicherstellung der Grundanforderungen an die kindliche Entwicklung aktiv beizutragen.

Das Grundgesetz und die Berliner Verfassung bleiben in ihrem Wortlaut hinter dem Stand der Rechtsprechung zurück. Es ist deshalb geboten, die Berliner Verfassung durch Aufnahme eines Rechts des Kindes auf Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit sowie auf gewaltfreie Erziehung zu ergänzen, um dadurch der gesellschaftlichen Stellung des Kindes Rechnung zu tragen.

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht auch durch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, das nach seinem Inkrafttreten am 5. April 1992 auch das Land bindet. Art. 4 des Übereinkommens verpflichtet die Vertragsstaaten, alle erforderlichen – auch gesetzgeberischen – Maßnahmen zur Verwirklichung der Rechte des Kindes zu treffen.

Berlin, 17. Mai 2007

Eichstädt-Bohlig Ratzmann Herrmann Jantzen Pop und die übrigen Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen