In einem Artikel in der Berliner Morgenpost vom 13.08.07 fordert Heidi Kosche Aufklärung über die Vorgänge im Sankt-Hedwig-Krankenhaus.
Knie-Operation: Leiden einer Patientin
Von Tanja Laninger
Die Vorgänge im Sankt-Hedwig-Krankenhaus haben nach der Sommerpause ein politisches Nachspiel im Abgeordnetenhaus. Das kündigt Heidi Kosche an, die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Kosche: „Ich bin entsetzt darüber, dass von März bis August die Öffentlichkeit nicht informiert wurde und will wissen, wann genau die Patienten Anrufe von der Klinik erhielten.“ Die Bewertung des zuständigen Staatssekretärs, dass das Vorgehen der Klinik lehrbuchhaft sei, teile sie nicht. Überhaupt frage sie sich, warum die Senatsverwaltung für Gesundheit, die die Nachricht vom Klinikum erhalten hatte, den zuständigen Ausschuss nicht informiert habe.
Die Senatsverwaltung wurde erst vergangene Woche darüber in Kenntnis gesetzt, dass im Sankt-Hedwig-Klinikum in Mitte 47 Patienten Knieprothesen falsch implantiert worden waren, sagt eine Kliniksprecherin. Als die Klinikleitung im März 2007 die Fehler bemerkte, informierte sie zuerst ihre Patienten und riet ihnen zu einer Folgeoperation. Die Kosten trägt das Haus, in dem zurzeit drei Betroffene versorgt werden. „Es ging mir immer schlechter“
Bereits in einer Rehabilitationsklinik befindet sich Anneliese Tiedt. Die 84-Jährige war am 22. Juni 2006 im Sankt-Hedwig-Krankenhaus am linken Knie operiert worden. „Danach ging es mir zuerst nicht richtig schlecht, aber auch nicht richtig gut“, sagt die Seniorin der Berliner Morgenpost. Doch dann habe sich ihr Zustand zunehmend verschlechtert. „Das hat mich schon sehr gewundert.“
Zum Jahreswechsel suchte sie die Vertretung ihres Operateurs auf, der in Urlaub war: In der Praxis wird ihr Knie geröntgt. „Der Arzt sagte, meine Kniescheibe sei nicht in Ordnung, aber das könne man nicht operieren.“ Wenig später geht sie, die Schmerzen bleiben, zu ihrem Operateur. „Der wiederum sagte, dass er die Kniescheibe operieren könne.“ Verunsichert holt sie in einer Klinik eine dritte Meinung ein. Doch bevor es dort zu einer Operation kommt, erhält sie einen Anruf aus dem Sankt-Hedwig-Krankenhaus. „Der Doktor erklärte mir, was schiefgelaufen ist und empfahl mir eine neue Operation.“
Tiedt willigt ein und legt sich am 23. Juli zum zweiten Mal in Mitte unters Messer. Seit anderthalb Wochen befindet sie sich in der „Reha“ und sagt: „Es geht mir jetzt besser.“ Inzwischen informiert sie sich über ihren Anspruch auf Schmerzensgeld. Im Klinikum habe ein Arzt ihr lapidar gesagt, sie könne 3000 Euro erhalten, solle aber nie unterschreiben, dass sie auf weitere Ansprüche verzichte.
Offiziell nennt das Haus, das alle Patienten auf die Ansprüche hingewiesen hat, keine Summen. Das sei Aufgabe der Haftpflichtversicherung. „Der Versicherer wurde informiert und wird mit jedem Patienten seinen Einzelfall prüfen“, erklärt eine Sprecherin.
Gesundheitspolitikerin Kosche will es dabei nicht bewenden lassen. „Die Leute brauchen eine neutrale Beratung. Dafür wäre die Patientenbeauftragte im Land Berlin zuständig.“ Zu klären sei, ob die Patientenbeauftragte informiert wurde und falls ja, was sie zur Unterstützung der Patienten bislang unternommen habe. Berlins Patientenbeauftragte Karin Stötzner war am Wochenende nicht zu erreichen.
Wie die Klärung von Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüchen verläuft, beschreibt der Frankfurter Franz Michael Petry, Prokurist der Gesellschaft für Risiko-Beratung, eine Tochter des Versicherungsmaklers Ecclesia, über den etwa die Hälfte der deutschen Kliniken versichert ist: „Der Haftpflichtversicherer selbst wird sich schon des guten Tones wegen nach einer so klaren Lage zügig mit den Patienten in Verbindung setzen und jeden Fall prüfen.“ Anhand von Schmerzensgeldtabellen, die der ADAC zusammenstellt, werde eine Summe festgelegt. Wenn der Patient mit der Höhe nicht einverstanden sei, könne er sich juristisch beraten lassen und zivilrechtlich vorgehen. Die Dauer schätzt Petry „kürzer als üblicherweise bis zu einem Jahr“ ein, weil die Klinik die Operationen mit falschen Prothesen publik machte. „Zur endgültigen Abwicklung muss man aber wissen, wie die Patienten die Korrekturoperationen überstehen.“
„Korrektur-OP ist Körperverletzung“
In diesem Zusammenhang bewertet Kosche die Notwendigkeit eines zusätzlichen medizinischen Eingriffs „nicht nur als Tragödie, sondern als Körperverletzung“. Die Abgeordnete fordert, dass alle Patienten langfristig von einer neutralen Instanz begleitet werden sollen. Stefanie Winde, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, verweist auf die jeweilige Krankenkasse, die Verbraucherzentrale sowie unabhängige Patientenverbände.
Winde bezeichnet die 47 OP-Pannen als „dicken Hund“ und „tragische Häufung“. Selbst wenn das Aufklärungsmanagement des Sankt-Hedwig-Krankenhauses vorbildlich sei, müssten die „riesigen Fehler“ im Qualitätsmanagement behoben werden – was die Klinik bereits eingeleitet hat.
„Am meisten erschüttert mich, dass der Vertreter des Prothesenherstellers nicht einmal gemerkt hat, dass die Beschriftung der Implantate fehlerhaft war“, so Winde. „So viel Englisch muss im medizinischen Alltag bekannt sein.“ In der deutschen Dependance des US-Lieferanten war am Wochenende niemand zu erreichen.
Wind moniert auch, dass in der Klinik ein Kontrollmechanismus gefehlt habe. „Da sortiert jemand etwas falsch in ein Regal – und keiner guckt mehr genau hin.“
Aus der Berliner Morgenpost vom 13. August 2007