Der innenpolitische Sprecher der Berliner FDP-Fraktion versucht sich als lupenreiner Demokrat

Dass das Führungspersonal der Berliner FDP meistens nur zwischen zwölf und Mittags zu intellektuellen Höhenflügen in der Lage ist, weiß man spätestens seit Martin Lindner. Da dieser aber seit den letzten Wahlen den Hinterbänkler im Bundestag gibt, hätte ja zumindest die Chance bestanden, die Berliner FDP zu einer politischen und liberalen Partei umzukrempeln.

Leider hat das niemand versucht und die Öffentlichkeit bekommt von dieser Partei eigentlich nicht viel mit. Was nun nicht das Schlechteste wäre, gäbe es da nicht Björn Jotzo, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus. Dieser tat sich in der Vergangenheit zwar nicht durch kompetente Oppositionspolitik hervor, dafür aber vor kurzem als Möchtegern-Dozent in Sachen Grund- und Bürgerrechte. Denn wenn die Berliner FDP schon keine politischen Akzente setzen kann, hängt sie sich eben das historisch glitzernde Mäntelchen echter Liberalität um, welches allerdings von Liberalen echten Formats gewebt wurde und nicht von Nachwuchskräften wie Jotzo, die immer „wir Liberale“ sagen, wenn sie „wir Klientelisten“ meinen. Und wenn nun solche Liberale liberal erscheinen wollen, reden sie von der Verfassung. Z. B. davon, dass das Demonstrationsrecht am 1. Mai auch für die Neonazis gelte und Aktionen des zivilen Ungehorsams wie friedliche Sitzblockaden gefährlich für die Demokratie seien. Dass Neonazis in Berlin marschieren dürfen, sei eine „entscheidende Stärke unserer Gesellschaft und unserer Demokratie“. Ja, hier hat Herr Jotzo Recht: Demokratische Grundrechte müssen für alle gelten, auch für Nazis.

Aber eines hat der Schreibtischdemokrat Jotzo nicht verstanden: Ziviler Ungehorsam ist auch in der Demokratie prinzipiell ein moralisches Recht, das sich Bürger und Bürgerinnen nehmen können und nehmen müssen, wenn ihr Gewissen sie zum Protest gegen ein Unrecht drängt – auch wenn sie dabei einen Strafbefehl in Kauf nehmen müssen. Klar, mit Moral und Gewissen kann man in der westerwellisierten FDP nicht viel anfangen, deshalb wohl auch die nach „law and order“ japsende Reaktion von Jotzo auf die Anti-Nazi-Aktionen am 1. Mai, bei denen sich auch Vertreter von SPD und Grünen beteiligten. Die Teilnahme des innenpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion, Benedikt Lux, an der Blockadeaktion zeige „nichts weniger als das mangelnde Verfassungsverständnis der Grünen.“ Wer Nazi- Aufmärsche aktiv blockiere, der solle „gegebenenfalls prüfen, ob er nicht auf der anderen Demo hätten mitmarschieren müssen.“ Mit diesem analytisch gemeinten Unsinn will uns Jotzo also weismachen, dass zivilgesellschaftliches Engagement mit Aufmärschen rechter Schlägertrupps gleichzusetzen ist. Das ist natürlich Quatsch und Herr Jotzo hätte einfach im Gemeinschaftskundeunterricht besser aufpassen sollen. Gleichzeitig bot Jotzo mit seinem vorgeblich staatstragenden Geschwätz einen ungewollt deutlichen Einblick in die Denkweise der Berliner FDP: Sich als bürgerliche Partei aufspielen und gleichzeitig gegen zivilgesellschaftliches – und damit bürgerliches – Engagement hetzen. Dies lässt nur einen Schluss zu: Die Berliner FDP ist eine anti-bürgerliche Partei.

Benedict Ugarte Chacón