Schwerpunktthema: Integration Eine Kampagne der Plattform gegen Rassismus

„Integration“ ist ein Infl ationsbegriff , und die Diskussion um Sarrazin hat dazu beigetragen, dass „Integration“ noch weiter aufgeblasen wurde. Dabei wird getan, als stelle „Integration“ die Bezeichnung für einen anzustrebenden Zustand dar. Um diesen zu erreichen, sei die „richtige Integrationspolitik“ vonnöten. Übergangen wird, dass „Integration“ viel mehr ist. „Integration“ als ein Denken und Wirklichkeitswahrnehmung strukturierender Begriff und als Label sowie Rechtfertigung für Politiken und Interventionen hat auf die in der BRD lebenden MigrantInnen einen machtvollen Einfl uss. Gegründet hat sich die Plattform gegen Rassismus, ein Zusammenschluss verschiedener Vereine und Einzelper- Integration? Nein Danke!

Evet, aç?l Do?u aç?l! Do?u aç?ls?n, Do?u aç?lacak elbette. Ama yeni bir Akdenizli der ki, Hem yeni ayana, hem yeni Divanilere, Do?u‘ya fazla giden, Co?rafya yüzünden, Bat?’ya dü?er. (Ece Ayhan

sonen, zwar vor dem Hintergrund des 2009 in der Lettre International erschienenen Interviews mit Sarrazin und den daraufhin geführten Debatten, doch wollen wir mit unserer Kampagne über diese hinausgehen: Rassistisch ist die BRD nicht nur in den Äußerungen eines ihrer ehemaligen Bundesbankvorstandsmitglieder, rassistisch ist sie vor allem auch in ihrer Struktur. Und zu dieser gehört das im Mainstream akzeptierte Paradigma der „Integration“. Grundprinzip des Integrationsdiskurses sind mannigfaltige Otheringprozesse von als AusländerInnen, Fremde, MitbürgerInnen und inzwischen als MigrantInnen imaginierten bzw. konstruierten Menschen. Ihnen wird aufgrund ihrer angeblichen Zugehörigkeit zu anderen „Kulturen“ ein Mangel an „deutschem“ bzw. „westlichem“ Wissen und Werten zugeschrieben. So wird der Gegensatz eines „Wir“ und „die Anderen“ geschaff en. Dabei steht das „Wir“ hier für eine moderne, liberale, demokratische und tolerante Gesellschaft, während alles Gegensätzliche auf „die Anderen“ projiziert wird.

Konkret werden in der Sarrazinn( arr)ation „die Anderen“ als durch genetisch vererbte Dummheit, sich massenweise reproduzierende Kopftuchträgerinnen, unproduktive Muslime und Musliminnen vorgestellt. Diejenigen, die versuchen, diesem antimuslimischen Rassismus ein Pendant entgegen zu stellen, verweisen auf migrantische Arbeitstugenden und –leistungen in der Geschichte der BRD und verfangen sich zugleich in der dominanten Argumentation. „Die Anderen“ müssen nützlich sein.

Das Paradigma der Integration sichert dabei konsequent die Privilegien der Mitglieder der Dominanzgesellschaft und re/produziert die hegemonialen gesellschaftlichen Strukturen. „Integration“ wird hier nicht als eine auf gleichen Rechten basierende wirtschaftliche, politische und kulturelle Partizipation verstanden, die von Seiten der Dominanzgesellschaft beispielsweise durch positive Maßnahmen sichergestellt werden könnte. Vielmehr wird sie als Forderung nach kultureller Anpassung an die Leitkultur ins Feld geführt. Dabei beharrt „Integration“ auf den Diff erenzen, die nach ihrer Logik aufzugeben sind und verunmöglicht sich dadurch selbst. Während nämlich dem bzw. der Angesprochenen das Recht verwehrt wird, sich selbstbestimmt und gleichberechtigt in das gesellschaftliche Leben einzubringen, wird ihre/seine Ausgrenzung fortgeschrieben. Dies wird nicht zuletzt an der ungleichen Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen und an den rassistischen Diskriminierungen auf dem Arbeits- und Wohnmarkt, im Bereich Bildung und Sozialleistungen deutlich.

Die Erfi ndung der „Integrationsverweigerung“ geht noch einen Schritt weiter: Die Gesellschaft entzieht sich der Verantwortung und schiebt diese „den Anderen“ zu. Die Behauptung, dass es notwendig sei, MigrantInnen zu helfen, entpuppt sich als Farce. In Wirklichkeit werden MigrantInnen wahlweise dämonisiert oder infantilisiert. Letzteres wird besonders in den als Allheilmittel der sozialen Kohäsion gepriesenen Integrationskursen deutlich. Hier erneuert sich die koloniale Phantasie der Notwendigkeit einer Erziehung des kolonialen Subjekts zur Modernität. Zugleich können die Integrationskurse als exemplarisch für einen weiteren zentralen Punkt im Integrationsdiskurs gelesen werden: Sie stellen eine Hierarchie zwischen den MigrantInnen, den zur Kursteilnahme Berechtigten und Verpflichteten her, während eine dritte Gruppe komplett ausgeschlossen wird: Flüchtlinge ohne Anerkennung werden erst gar nicht zu den Kursen zugelassen.

„Integration“ als einfache Lösung zu (über)nehmen, scheint uns vor diesem Hintergrund mehr als problematisch. Im Gegenteil muss es darum gehen zu analysieren, wie der „Integrationsdiskurs“ gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse re/produziert und Strategien zu entwickeln, um „nicht auf diese Weise, nicht um diesen Preis, nicht dermaßen integriert zu werden“ (Kien Nghi Ha).

Mehr Infos zur Kampagne „Integration? Nein danke!“ und zur Plattform gegen Rassismus fi nden sich auf www. integration-nein-danke.org. Zur Plattform gegen Rassismus haben sich neben Einzelpersonen u.a. Allmende, Haus alternativer Migrationspolitik und Kultur (allmendeberlin.al.funpic.de) und die Antirassistische Initiative (www.ari-berlin.org) zusammengeschlossen.

Ça?r? und Moritz, Plattform gegen Rassismus