15. Sitzung • Plenarprotokoll 16/15
Vizepräsidentin Karin Seidel-Kalmutzki:
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Breitenbach! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Herrmann das Wort. – Bitte sehr!
Clara Herrmann (Grüne):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Grosse! Jamaika ist vielleicht auch schön, aber zunächst einmal befinden wir uns in Berlin, und heute geht es um rund 25 000 junge Menschen, die erwerbslos sind. Die Zahl ist in den letzten Monaten gesunken, mit einer Ju-genderwerbslosenquote von 15 Prozent ist Berlin im bun-desweiten Vergleich aber leider immer noch der unrühm-liche Spitzenreiter. Dazu kommen noch mal so viele jun-ge Menschen, die in Warteschleifen stecken. Jeder junge erwerbslose Mensch in dieser Stadt ist einer zu viel. Denen klingt Ihr Jubeln, dass Sie die Jugendarbeitslosigkeit drastisch senken, wie blanker Hohn in den Ohren.
Beifall bei den Grünen
Es fehlt an Ausbildungsplätzen und Qualifizierungsange-boten mit der Folge, dass die Jugendlichen oft mit schulischen Warteschleifen, Trainingsmaßnahmen und Ein-Euro-Jobs abgespeist werden.
Somit wird ihnen keine längerfristige Perspektive gebo-ten. Das ist ein unsäglicher Zustand.
Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP
Besonders bedenklich ist die schlechte Abstimmung mit den Angeboten z. B. der Jugendberufshilfe, die Sie mit Ihrer Einsparwut leider abgewürgt haben. Besonders bedenklich ist ebenso, dass es bedauerlicherweise wenig zur Zusammenarbeit der betroffenen und beteiligten Behörden kommt. Aber konkret zum Antrag der Fraktion der FDP! – Herr Lehmann! Auch wir haben einen Antrag im Verfahren. Stimmen Sie dem zu, dann können Sie nichts falsch machen!
Beifall bei den Grünen
Sie verkennen leider die Wirklichkeit in den Berliner Job-centern. Den bereits angesprochenen rund 25 000 erwerbslosen jungen Menschen stehen gerade einmal 91 ausgebildete Fallmanagerinnen und -manager und 429 persönliche Ansprechpartnerinnen und -partner gegenüber. Von einer adäquaten Betreuung dieser Zielgruppe sind wir noch weit entfernt, ganz zu schweigen von einem flächendeckenden Fallmanagement, das eigentlich alle Jugendlichen erreichen müsste.
Beifall bei den Grünen
Bei dieser schlechten Personalsituation in den Jobcentern – hier unterscheiden wir uns tatsächlich – lehnen wir eine noch stärkere Sanktionierung, verbunden mit Leistungskürzungen, strikt ab.
Beifall bei den Grünen
Der Ansatz im Neuköllner Jobcenter ist richtig. Aber leider können wir auch anhand der reinen Zahlen zumindest bisher noch keinen überdurchschnittlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit erkennen. Die intensive Betreuung gilt zunächst in diesem Ansatz nur für neue Antragstellerinnen und Antragsteller. Die große Zielgruppe der sogenannten Altbewerberinnen und -bewerber bleibt außen vor. Vor dieser Zielgruppe kapitulieren viele Jobcenter, aber nicht alle. Es gibt durchaus positive Beispiele, zum Beispiel das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg mit einem speziellen Programm für Punks.
Kai Gersch (FDP): Das überrascht nicht!
Sie arbeiten im Tierheim oder in einer Siebdruckwerkstatt. Dort wird ihren persönlichen Bedürfnissen nachgekommen. So dürfen sie zum Beispiel ihre eigenen Hunde mitnehmen.
Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist stark!
- Dieser Ansatz ist nicht neu, Herr Lindner! Die Jugendhilfe verfährt schon seit langem nach solch einem Ansatz, dass man nämlich die Jugendlichen da abholen muss, wo sie sind. Die Angebote müssen möglichst niedrigschwellig sein. Wenn es dann letztlich nur entscheidend für den Erfolg ist, dass die Punks ihre Hunde mitnehmen dürfen, wenn sie so in Arbeit und Lohn kommen, dann ist das eine vernünftige Angelegenheit.
Beifall bei den Grünen – Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist Dekadenz pur!
Aber wie nachhaltig der Neuköllner Ansatz ist, muss sich erst noch erweisen, denn unzählige Jugendliche landen zunächst nur in Ein-Euro-Jobs oder in Trainingsmaßnahmen. Das mag eventuell im Einzelfall noch vertretbar sein, aber nicht in der Masse. Was die meisten Jugendlichen benötigen, sind passgenaue Qualifizierungen und Ausbildungsangebote. Solange diese nicht gewährleistet werden können, führen Sanktionierungen ad absurdum. Damit würden die jungen Menschen nur weiter in die Schuldenfalle getrieben werden, weg vom Jobcenter und im schlimmsten Fall in die Illegalität. Das ist weder volkswirtschaftlich noch menschlich sinnvoll.
Beifall bei den Grünen
Unterm Strich bleibt zu bilanzieren: In jedem Einzelfall muss es ein qualifiziertes und individuelles Fallmanagement geben, insbesondere für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Für die rund 25 000 Erwerbslosen unter 25 Jahren in Berlin dürfen MAE-Maßnahmen nur die Ausnahme sein. Sie brauchen in erster Linie Bildung, denn 70 Prozent aller Erwerbslosen unter 25 in Berlin verfügen über keine Schul- oder Berufsausbildung.
Vizepräsidentin Karin Seidel-Kalmutzki:
Frau Herrmann! Ihre Redezeit ist bereits beendet. – Bitte kommen Sie jetzt unmittelbar zum Schluss!
Dr. Martin Lindner (FDP): Ich hätte das mit den Punks gern noch genauer!
Clara Herrmann (Grüne):
Ja, Frau Präsidentin! – Es gibt kleine und auch gute Ansätze und Maßnahmen. Aber angesichts der großen Zahl junger Erwerbsloser bleibt das der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Ein dringend notwendiges Programm zur Bekämpfung der Jugenderwerbslosigkeit bzw. ein Bildungskonzept, um diese in der Zukunft zu verhindern, kann der Berliner Senat bis jetzt nicht vorweisen. – Ich danke Ihnen!
Beifall bei den Grünen