DS/0545/IV

Antrag

Die Bezirksverordnetenversammlung möge beschließen:

Das Bezirksamt wird beauftragt, in geeigneten bezirkseigenen Räumlichkeiten (z. B. Kunstraum Kreuzberg/Bethanien) gemäß der Produktbeschreibung von Produkt 79404 „Kulturelle Angebote“ einen „Kunstraum der Menge“ einzurichten.

Dieser „Kunstraum der Menge“, für den wenige Quadratmeter Fläche ausreichend sind (z.B. Besenkammer), soll möglichst 24 Stunden am Tag über das gesamte Jahr 2013 für den Publikumsverkehr offen stehen. Qualitätsindikatoren/-kriterien sind bei Produkt 79404 nicht definiert und werden nicht nachgefragt. Deshalb wird im „Kunstraum der Menge“ ein leerer Raum präsentiert.

Folgende Leistung laut Produktblatt 79404, Punkt 1 „Produktdefinition“, soll dieser leere „Kunstraum der Menge“ erbringen: „Angebote, die sich öffnen für Experimentelles und für Bereiche, die sonst keine Präsentationsmöglichkeiten finden“. Hierzu werden folgende Kunsterzeugnisse an die Wand gebracht (Tesafilm), die vor größerem Publikum noch keine erwähnenswerte Präsentationsgelegenheit hatten:

? das Produktblatt 79404 „Kulturelle Angebote“

? der Produktvergleichsbericht zu Produkt 79404

? falls vorhanden der entsprechende Auszug aus „Was kostet Wie viel?“

? weitere entsprechende Blätter

? ggf. dieser Antrag

Damit diese im „Kunstraum der Menge“ dramaturgisch experimentelle Situation (mal gucken, wie lange das Tesa auf dem Putz hält) nicht als beschränkter Diskurs über das Kunstwerk als scheiterndes Objekt rezipiert wird, soll den Fotokopien an der Wand antipodisch eine Texttafel gegenübergestellt werden, die sich mit einfachen Worten aufrichtig darum bemüht zu erklären, wie die bezirkliche Kosten- und Leistungsrechnung funktioniert, was ein „Plafond“ ist und ein „Produktsummenbudget“, eine „erste Normierung“, eine „interne Normierung“ und dergleichen mehr, und vor allem was die im „Kunstraum der Menge“ pro Stunde angebotene Kunst mit der Finanzierung bspw. des Theaterbetriebs im Ballhaus Naunynstraße, der bezirklichen Grünflächenpflege, den Hilfen zur Erziehung oder der ambulanten Plegestufe 3 zu tun hat.

Weitere, möglichst bildsprachliche Beispiele auf der Tafel sind wünschenswert. Die Kosten dieser Installation sollen so gering wie möglich sein. Für die Herstellung der antipodischen Texttafel soll deshalb Packpapier mit Eddingaufschrift genügen.

Um laufende Kosten zu vermeiden, soll der „Kunstraum der Menge“ nicht gereinigt werden, solange sein Zustand gesetzlich noch vertretbar erscheint. Stattdessen soll ein Mal monatlich ein Schnappschuss vom Raum gemacht werden und neben dem Produktblatt 79404 „Kulturelle Angebote“ künstlerisch an die Wand gepinnt werden. Wünschenswert wäre außerdem eine gut sichtbare Uhr, neben der ein Mal pro Stunde – also jedes Mal, wenn der Bezirk für den „Raum der Menge“ eine Angebotsstunde buchen kann – ein lustiger Smiley aufleuchtet.

Ferner möge das Bezirksamt prüfen, ob es zur Vernissage (gereicht werden Wasser und Brot) möglichst breit einladen möchte, neben Berliner Kulturschaffenden und der Berliner Presse insbesondere die für Kultur und für Finanzen/bezirkliche Finanzen zuständigen Landesverwaltungsspitzen sowie die politisch verantwortliche Legislative und Exekutive im Land Berlin.

Begründung:

Die Einrichtung eines wie oben beschriebenen „Kunstraums der Menge“, der 24 Angebotsstunden am Tag buchbar macht, bringt dem Bezirk (Menge mal Median) bares Geld, völlig unabhängig davon, was dort als „Kunst“ in welcher Qualität präsentiert werden könnte. Die Produktmentorengruppe zu Produkt 79404 hat konstatiert, dass „solche Qualitätsindikatoren gegenwärtig nicht definierbar“ sind (s. Produktblatt zu Produkt 79404).

Die Antragsteller*innen begrüßen diese Sicht der Produktmentorengruppe auf die Kunst und werden sich weiterhin dafür einsetzen, dass Verwaltung und/oder Politik nie definieren sollen/ dürfen/können, was Kunst ist und was nicht. Der „Kunstraum der Menge“ weist damit gleichzeitig auf den gesamten Katalog von Absurditäten hin, den die für die Berliner Bezirke formulierte Kosten- und Leistungsrechung mit der Erwartung einer präzise abrechenbaren, geldwerten Definition einer so genannten „Leistungserbringung“, hier künstlerischer, sozialer, gesellschaftspolitischer Natur, darstellt.

Kriterium für bspw. eine Angebotsstunde Schule ist nicht, dass es nicht ins Dach hineinregnet, sondern dass möglichst viele Schüler auf möglichst wenig Quadratmetern lernen (Menge machen!).

Als Kriterium für eine Angebotsstunde im kulturellen Bereich zählt nicht die Kultur, sondern die Stunde, die das kulturelle Angebot für den Publikumsverkehr geöffnet ist (Menge machen!).

Brunnen, die es längst nicht mehr gibt, kosten (Kosten trotz Null-Menge!). Wenn Friedrichshain- Kreuzberg sich um seine Bedürftigen kümmert, wird ihm – trotz gesetzlichem Auftrag – Geld abgezogen (zuviel Menge!). Wenn Friedrichshain-Kreuzberg bei den Hilfen zur Erziehung inzwischen bares Geld einspart, weil es von Nachsorge auf Prävention umgesteuert hat, wird ihm Geld abgezogen (zu wenig Menge!). Eine Fülle weiterer Beispiele lässt sich nennen.

Der „Kunstraum der Menge“ steht exemplarisch für die Absurditäten der Berliner Kosten- und Leistungsrechnung für die Bezirke. Er soll über das ganze Jahr 2013 auf diese Missstände hinweisen.

Friedrichshain-Kreuzberg, den 22.01.2013

Bündnis 90/Die Grünen

Antragstellerin: Kristine Jaath