Heidi Kosche fragt den Senat nach der Betreuung für PatientInnen mit gentro-psychatrischen Grunderkrankungen.


Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

1.Wie beurteilt der Senat die fachliche Betreuung von PatientInnen mit geronto-psychiatrischen Grunderkrankungen in Berliner Krankenhäusern auf nicht geriatrischen Abteilungen (z.B. Abteilungen der Inneren, Chirurgie, Orthopädie, etc.)?

Zu 1.: Zu Beginn eine kurze Erläuterung zur Abgrenzung der angesprochenen Fachgebiete. Die Geriatrie ist die Lehre von den Krankheiten des alten Menschen (Alters- oder Altenmedizin, Altersheilkunde). Dies betrifft vor allem Probleme aus den Bereichen der Inneren Medizin, der Orthopädie, Neurologie und Psychiatrie (Gerontopsychiatrie). Bereits die Psychiatrie-Enquete von 1975 und die Empfehlungen der Expertenkommission der Bundesregierung aus 1988 definieren die Gerontopsychiatrie als Wissenschaft von der Krankheitslehre, Diagnostik, Therapie und Prävention psychischer Erkrankungen des hohen und höheren Lebensalters. Sie ist ein eigenständiger Teilbereich der Psychiatrie und entwickelt unter Bezug auf die Ergebnisse der Forschung der Gerontologie (Wissenschaft zu den Alterungsvorgängen) und der Geriatrie (Altersmedizin) ihre eigenen präventiven, diagnostischen, therapeutischen und rehabilitativen Strategien.

Bei der Diagnostik und Therapie von be-sonders komplexen psychiatrischen Erkrankungen des alten Menschen (insbesondere Demenz und Depression) benötigt die Geriatrie die Unterstützung der (Geronto)Psychiatrie. Wegen des demografischen Wandels der Bevölkerung nimmt die Bedeutung des Fachgebietes Gerontopsychiatrie sowie auch die Notwendigkeit einer intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb der Altersmedizin zu. Die Krankenhausversorgungsstruktur in Berlin wurde in den letzten 20 Jahren so gestaltet, dass Abteilungen für Geriatrie und Abteilungen für Psychiatrie in Allgemeinkrankenhäuser integriert wurden.

Dadurch kann die fachliche Betreuung von Patientinnen und Patienten mit gerontopsychiatrischen Grunderkrankungen auch bei Behandlungsbedürftigkeit anderer, somatischer Erkrankungen (z. B. in inneren, chirurgischen oder orthopädischen Abteilungen) durch fachübergreifende Zusammenarbeit gewährleistet werden.

2.Kann der Senat Angaben dazu machen, wie viele geriatrische Fortbildungen das pflegerische und ärztliche Personal der Berliner Kliniken in den Jahren 2007 und 2008 absolviert hat? Wenn ja, bitte Angaben zu Umfang und Kliniken.

Zu 2.: Hierzu liegen dem Senat keine Angaben vor. Nach § 30, Abs. 2 Landeskrankenhausgesetz (LKG) haben die zuständigen Krankenhausträger die Fortbildung der Dienstkräfte nach Abs. 1 sicherzustellen. Eine Befragung aller Krankenhausträger von Berlin im Rahmen einer Kleinen Anfrage ist zeitlich nicht durchführbar.

3.Anhand welcher Kriterien beurteilt der Senat die Qualität der Überleitung von geriatrischen PatientInnen nach einem stationären Klinikaufenthalt zurück in ihre Häuslichkeit, zur Vermeidung von „Drehtüreffekten“?

Zu 3.: Grundsätzlich ist die Gewährleistung einer angemessenen, qualitätsgesicherten Behandlung – und hierzu gehört auch die Überleitung von stationärer zu ambulanter Behandlung – Aufgabe der Selbstverwaltung. Qualitätssicherungserhebungen werden für die Geriatrie beispielsweise vom Bundesverband Geriatrie durchgeführt (Gemidas – Projekt).

Laut § 24 Abs. 4 des Berliner Landeskrankenhausgesetzes ist die Überleitung Aufgabe der Krankenhäuser. Für die regionalisierten Versorgungsstrukturen liegt die Zuständigkeit bei den Bezirken. Sollten Hinweise auf Qualitätsdefizite bestehen, werden diese in den entsprechenden Gremien aufgegriffen (s. KA 16/13561).

4.Liegen dem Senat Zahlen vor, anhand derer zu beurteilen ist, wie häufig Menschen mit geronto-psychiatrischen Erkrankungen kurzzeitig nach Kranken-hausentlassung wieder stationär aufgenommen werden mussten? Wenn ja, bitte Fallzahlen nach Kliniken für die Jahre 2006-2008 angeben.

Zu 4.: Dem Senat liegen keine Zahlen vor.

5.Sieht der Senat Anlass für eine Verbesserung der Überleitungsqualität? Wenn ja, welche Maßnahmen sollten dafür ergriffen werden?

Zu 5.: Dem Senat liegen vielfältige Informationen und Erkenntnisse zur Überleitung aus dem klinischen in den ambulanten Bereich vor. Auf einem von der Patientenbeauftragten des Landes Berlin initiierten berlinweiten Treffen der Gerontopsychiatrischen-Geriatrischen Verbünde in 2008 wurden anhand konkreter Fallbeispiele Versorgungsdefizite aufgezeigt und eine Diskussion mit Experten/innen, der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenkassen, Seniorenvertretung, Wissenschaft u. a. m. zu Lösungsansätzen (Maßnahmen) begonnen.

Die Optimierung des Überleitungsprozesses vom stationären in den ambulanten Bereich ist hierbei ein zentrales Thema, zu dem sich die Vertreter/innen der verschiedenen Institutionen in einer im Nachgang gegründeten Arbeitsgruppe mit Arbeitstitel „Versorgungsprobleme alter kranker Menschen“ weiter auseinandersetzen. Die Arbeitsgruppe tagt in unter Federführung der Patientenbeauftragten.

Erste Zwischenergebnisse sollen in der Landesgesundheitskonferenz im November 2009 vorgestellt werden. Schnelle Lösungen sind in diesem komplexen Versorgungsgeschehen nicht zu erwarten (s. a. KA 16/13561).

6.Liegen dem Senat Zahlen vor, die über die fachärztlich geriatrische Versorgung in den Berliner Bezirken Aufschluss geben? Wenn ja, bitte Angabe pro Bezirk.

7.Sieht der Senat in allen Bezirken eine wohnort-nahe geriatrische Versorgung gegeben? Falls nein, welche Maßnahmen gedenkt der Senat zu ergreifen, um eine Unterversorgung zu beheben?

Zu 6. und 7.: Auf der Basis der vom gemeinsamen Bundesausschuss zu beschließenden Bedarfsplanungsrichtlinien findet in Berlin keine bezirksbezogene, sondern eine stadtbezogene Bedarfsplanung statt.

Zulassungsbeschränkungen bestehen für alle Arztgruppen, die für die geronto-psychiatrische Versorgung relevant sind. Bezirksbezogene Zahlen liegen gegenwärtig nur mit Stand vom 01.01.2008 vor. Nach dem Stand 01.01.2008 liegen die Versorgungsgrade bei den beiden für die Versorgung primär zuständigen Arztgruppen jeweils oberhalb einer Unterversorgung im Sinne der Bedarfsplanung.

Bezirke

Nervenärzte

Hausärzte

Mitte

165%

122%

Friedrichshain/Kreuzberg

149%

114%

Pankow

117% 

106%

Charlottenburg/Wilmersdorf

280%

151%

Spandau

103%

111%

Steglitz/Zehlendorf

160%

110%

Tempelhof/Schöneberg

147%

127%

Neukölln

128%

103%

Treptow/Köpenick

  92%

102%

Marzahn/Hellersdorf

103%

102%

Lichtenberg

105%

97%

Reicnickendorf

122%

108%

Wegen der ausgewählten Arztgruppen wird auf die Weiterbildungsordnung der Ärztekammer hingewiesen. Dort ist der Weiterbildungsinhalt der jeweiligen Fachgebiete beschrieben. Dort heißt es u. a. für das Gebiet Innere und Allgemeinmedizin, dass der Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten bei geriatrischen Symptomen und Krankheitsfolgen im Alter, einschließlich Pharmakotherapie im Alter, zum Fachgebiet gehört. Ein entsprechender Hinweis findet sich im Fachgebiet Neurologie, wonach der Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten bei neurologisch-geriatrischen Symptomen und Krankheitsfolgen im Alter, einschließlich der Pharmakotherapie im Alter, zum Fachgebiet gehört.

Entsprechendes gilt für das Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie. Dort gehört der Erwerb von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten bei der Erkennung und Behandlung geronto-psychiatrischer Erkrankungen unter Berücksichtigung interdisziplinärer Aspekte zum Weiterbildungsinhalt dieses Gebietes.

Aus den Zahlen ergibt sich, dass eine Unterversorgung in keinem der Bezirke gegeben ist. Nach den Bedarfs-planungsrichtlinien ist für die Gruppe der Hausärzte/innen eine Unterversorgung anzunehmen, wenn der Versorgungsgrad unter 75 % absinkt. Dies ist in keinem Bezirk der Fall. Für die fachärztliche Versorgung – hier die Versorgung durch Nervenärzte/innen – ist nach den Bedarfsplanungsrichtlinien eine Unterversorgung erst anzunehmen, wenn der Versorgungsgrad unter 50 % abgesunken ist. Dies ist ebenfalls in keinem der Berliner Bezirke der Fall.

Im Bereich der sozialen pflegerischen Versorgung und ergänzenden Angeboten verfügt Berlin mit aktuell 70 Einrichtungen über ein flächendeckendes Angebot an teilstationärer Pflege, in denen vorrangig geronto-psychiatrisch erkrankte Pflegebedürftige betreut werden.

Darüber hinaus sind mit den §§ 45a – c SGB XI seit 2002 Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung, wie z. B. Pflegebedürftigen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, die zu Hause gepflegt werden, eingeführt worden. Berlin verfügt derzeit über mehr als 120 sog. anerkannte niedrigschwellige Be-treuungsangebote, von denen 43 Projekte gefördert werden.

Mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz sind ab 1. Juli 2008 weitere Verbesserungen für diesen Personenkreis erfolgt, einschließlich für Pflegebedürftige der Stufe Null mit einem erhöhten Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung.

Des Weiteren wird mit der Einführung des § 45d SGB XI erstmalig auch eine Förderung von ehrenamtlichen Strukturen und der Selbsthilfe für Pflegebebdürftige und deren Angehörige möglich, so dass zukünftig das Angebotsnetz im niedrigschwelligen Betreuungsbereich weiterhin erheblich ausgebaut werden wird.

8.Wie schätzt der Senat die Vernetzung der geronto-psychiatrischen Verbünde für ambulante Angebote in den Berliner Bezirken ein?

9.Gibt es nach Ansicht des Senats Bezirke, in denen eine bessere Vernetzung der geronto-psychiatrischen Angebote hergestellt werden sollte? Wenn ja, in welchen Bezirken und welche zusätzlichen Angebote sieht der Senat als notwendig an?

Zu 8. und 9.: Im Jahr 1995 wurde der berlin- und bundesweit erste Gerontopsychiatrische Verbund (in Köpenick) mit Modellmitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gegründet. Ziele von Verbünden der Leistungsanbieter sind u. a. eine patientengerechtere Versorgung sowie eine qualitative Verbesserung der Angebote – hier insbesondere aus den Bereichen Altenhilfe und Psychiatrie – über den Weg verbindlicher Kooperationsabsprachen.

Noch während der Modellphase wurde dieser Verbund zum Vorbild und Anreiz für den Aufbau weiterer Geriatrisch-Gerontopsychiatrischer Verbundsysteme (GGV) in den Versorgungsregionen/Bezirken des Landes Berlin (s. Übersicht 1). Die Verbünde setzen hierbei auf generationsübergreifende Zusammenarbeit unter Bürgerbeteiligung aus den unterschiedlichen Bereichen (Gesundheitswesen, Schulen, Jugendarbeit) unter Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Die verbindliche Vernetzung von Hilfeleistungen aus verschiedenen Versorgungsbereichen zielt z. B. auf eine bessere Überleitung von im Krankenhaus behandelten Menschen in den ambulanten Bereich. Die Behandlungs-, Pflege- und Betreuungskontinuität kann in einem Verbund zumeist besser sichergestellt werden. Damit können wiederholte Klinikaufenthalte oder eine vorzeitige Heimaufnahme von körperlich und psychisch gestörten, alt gewordenen Menschen vermieden werden. Auch können Mängel und Engpässe in der Versorgung schneller sichtbar und beseitigt werden.

Festzustellen ist, dass sich die bezirklich entwickelten Netzwerke/Verbünde für alte und psychisch kranke Menschen in verschiedener Hinsicht (Anzahl, Angebote, Qualität der Zusammenarbeit) unterscheiden. Insgesamt wird die Vernetzung von den Bezirken zwischen gut und sehr gut eingeschätzt. Die Zusammenarbeit wird als konstruktiv empfunden und zeichnet sich dadurch aus, dass die Angebotspalette insgesamt größer geworden ist. Die Träger befinden sich im regelmäßigen Austausch, die Versorgungssituation wird beobachtet, auftauchende Defizite werden beschrieben und an Lösungen zu ihrer Beseitigung wird intensiv gearbeitet.

Im Zuge der Pflegereform sind weitere Voraussetzungen für eine bessere Versorgung von Menschen, die an alterstypischen psychischen Erkrankungen (wie z. B. Demenz) leiden, geschaffen worden. Mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz wurde der § 92c in das SGB XI eingeführt, wonach in den Bundesländern Pflegestützpunkte eingerichtet werden, wenn die zuständige Landesbehörde dies bestimmt. Eine der Aufgaben dieser Pflegestützpunkte liegt darin, auf Verbesserungen in den vernetzten Versorgungsstrukturen hinzuwirken. In Berlin werden in den nächsten Wochen Pflegestützpunkte entstehen, die in die vorhandenen bezirklichen Strukturen eingebettet werden. Welche Effekte damit erzielt werden, bleibt abzuwarten.

Berlin, den 19. August 2009

In Vertretung

Dr. Benjamin-Immanuel Hoff

_____________________________ Senatsverwaltung für Gesundheit,

Umwelt und Verbraucherschutz