Antwort auf die Schriftliche Anfrage
Eingereicht durch: Schulte, Claudia, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Antwort von Abt. Arbeit, Bürgerdienste, Gesundheit und Soziales

Ihre Anfrage beantworte ich wie folgt:

1. Wann und in welcher Form findet das vom Stadtrat in Beantwortung einer mündlichen Frage vom 30.10.2019 (DS 1494/V) angekündigte Forum mit den Anwohner*
innen statt?

Die Bürger*innenveranstaltung war im Nachgang des für März geplanten Fachaustausches für die zweite Aprilhälfte bzw. Mai 2020 avisiert und musste wie viele derartige Veranstaltungen aus Gründen des Corona-Infektionsschutzes abgesagt bzw. verschoben werden. Der Fachaustausch fand mit begrenzter Teilnehmendenzahl am 20. August 2020 statt, eine Information dazu finden Sie auf der Webseite des Bezirksamts hier: https://www.berlin.de/bafriedrichshain-kreuzberg/aktuelles/bezirksticker/2020/fachaustausch-zur-situation-ammarheinekeplatz-982238.php. Unter anderem wurde eine Bürger*innenveranstaltung für Herbst 2020 verabredet, der genaue Termin steht noch nicht fest.

2. Wie bewertet das Bezirksamt die aktuelle Situation auf und rund um den Marheinekeplatz?

Die Situation am Marheinekeplatz ist dem Bezirksamt bekannt. Als Problemelemente der aktuellen Situation wurden aus Sicht der Anwesenden des Fachaustausches
am 20. August 2020 aufgezählt: Verelendung des Platzes, Lärm – auch von Feiernden, auch in den Abend- und Nachtstunden -, offener Drogenhandel/ -konsum, Campieren auf dem Platz, Vermüllung insbesondere des Mittelstreifens am U-Bhf. Gneisenaustr., „wildpinkeln“ und öffentliche Verunreinigung, da eine öffentliche Toilette am Platz fehlt sowie Belästigung von Passant*innen.
Beschwerden über Personen die dort mit Drogen handeln oder diese konsumieren sowie über Auswirkungen des Aufenthaltes obdachloser Personen häufen sich in Ordnungsamt Online seit etwa April 2020. Das Problem ist aus der Sicht des Bezirksamts vielschichtig, zumal ein sehr heterogener Personenkreis in vielerlei Beziehung (Vermüllung, nächtlicher Lärm, Belästigung von Passanten) auffällig wird, und zwar am Spielplatz, auf Gehwegen sowie in Hauseingängen. Auch befinden sich etliche sensible Einrichtungen an diesem Ort (Kirche, Arztpraxen, Nutzer der Markthalle und der Grünanlage sowie Anwohner). Ein Grund für die Zunahme der Beeinträchtigungen sind die coronabedingten Einschränkungsmaßnahmen, die auch für die Einrichtungen der niedrigschwelligen Obdachlosen- / Drogenhilfe, also beispielsweise Kontaktstellen und Drogenkonsumräume, gelten. Die Angebote werden mittlerweile langsam wieder hochgefahren, was hoffentlich zu einer Entspannung der Lage für die Betroffenen und einer Entlastung für Anwohner*innen führt.

3. Innerhalb welchen Zeitrahmens können aus Sicht des Bezirksamts geeignete und wirksame Maßnahmen für das Leben und soziale Miteinander im Sinne der von
der Nachbarschaft formulierten Problemlage am Marheinekeplatz entwickelt und ergriffen werden?

4. Welche Maßnahmen können aus Sicht des Bezirksamtes bereits kurzfristig zu einer Verbesserung der Situation am Marheinekeplatz führen?
Antwort zu den Fragen 3 und 4:

Mitarbeitende aus einzelnen Fachbereichen, so z.B. von der Sozialen Wohnhilfe, dem Sozialpsychiatrischen Dienst, Ordnungsamt, sowie Suchthilfekoordination, waren bereits mehrfach vor Ort und haben den sich dort aufhaltenden Personen verschiedene Hilfsangebote gemacht. Ob diese angenommen werden, hängt letztendlich von der betreffenden Person ab. Indikationen, mögliche Maßnahmen einzuleiten, die gegen den Willen der Person vorgenommen würden, lagen bisher nicht vor (Unterbringung nach PsychKG wegen Eigen- oder Fremdgefährdung). Der Sozialpsychiatrische Dienst hat die Träger „Gangway“ und „Fixpunkt“ (Straßensozialarbeit)
kontaktiert, denen teilweise das Klientel um den Marheinekeplatz auch schon bekannt war. Auch von Seiten der Kirche gab es mehrere Angebote für eine Vermittlung in eine Notunterkunft. Es mangelt hier nicht so sehr an aufsuchender Sozialarbeit, sondern viel mehr an passenden Angeboten, in die vermittelt werden kann.

Dazu zählen niedrigschwellige, konsumakzeptierende Angebote zum Aufenthalt und tagesstrukturierende Maßnahmen, sowie Unterkünfte für wohnungslose Menschen, die wenige Bedingungen stellen (auch hier, Niedrigschwelligkeit und Konsumakzeptanz) und auch Klientel mit schweren psychischen Beeinträchtigungen adäquat versorgen können.

Hier kann aufsuchende Sozialarbeit sicher unterstützen, aber eben nicht alle Barrieren abbauen, die eine Inanspruchnahme ermöglichen. Eingehende Beschwerden von Anwohnenden und Gewerbetreibenden werden zeitnah von den zuständigen Fachbereichen bearbeitet.

Ziel des ämterübergreifenden Fachaustausches 20. August 2020 war es, mit vielen verschiedenen Akteur*innen, die rund um den Marheinekeplatz mit wohnungslosen/suchtmittelabhängigen Menschen arbeiten, ins Gespräch zu kommen und gemeinsam geeignete Maßnahmen und Lösungsvorschlägen zu den von der Nachbarschaft formulierten Problemlagen am Marheinekeplatz zu erarbeiten. Sowohl Beiträge der vor Ort tätigen Akteure*innen als auch mögliche Handlungsperspektiven sind auf der Webseite beschrieben (hier: https://www.berlin.de/bafriedrichshain-kreuzberg/aktuelles/bezirksticker/2020/fachaustausch-zur-situation-ammarheinekeplatz-982238.php). Im Ergebnis der Veranstaltung wird der Marheinekeplatz im Auftrag des Straßen- und Grünflächenamtes zukünftig drei Mal wöchentlich gereinigt, davon einmal in Begleitung von Sozialarbeit und Polizei bzw. dem Ordnungsamt.

Das Amt für Soziales wird die Anbieter der Straßensozialarbeit im Bezirk zum Zweck einer besseren Abstimmung über Strategien im Umgang mit im öffentlichen Raum campierenden Wohnungslosen vernetzen. Eine fachämterübergreifende Vernetzungsrunde, in der Handlungsstrategien erarbeitet werden, die an konfliktbelasteten Orten im Bezirk umgesetzt werden können, befindet sich im Aufbau. Darüber hinaus bedarf es zum einen einer zwischen Bezirkspolitik, Ordnungs- und Sozialbehörde abgestimmten Strategie, unter welchen Bedingungen Obdachlosigkeit im öffentlichen Raum temporär geduldet wird, in welchen Zuständen diese Duldung endet und dass Räumungen, wenn unvermeidbar, schließlich auch (weiterhin) durchgesetzt werden. Zum anderen muss an einer Erweiterung des Hilfesystems für die Unterbringung auf der Straße lebender Menschen
gearbeitet werden, indem niedrigschwellige Angebote entwickelt werden, die für die Betroffenen die dem Leben auf der Straße vorzuziehende Alternative darstellen. Es handelt sich dabei um eine Aufgabe mit gesamtstädtischer Bedeutung.

Der Bezirk verfügt weder über das Budget noch über das Personal, um entsprechende Angebote in eigener Verantwortung einzurichten und zu betreiben. Es bedarf dafür einer gesamtstädtischen Arbeitsgruppe unter Einbeziehung der Wohlfahrtsverbände und fachlich-akademischer Begleitung.

5. Welche Maßnahmen wurden seit 2019 bereits ergriffen?

Bereits im Frühjahr 2017 fand ein erstes Treffen zur Situation am U-Bhf Gneisenaustraße statt, thematisiert wurde die „Szenebildung“ von Menschen, die als in Substitutionstherapie befindlich zugeordnet wurden. Schon damals wurde die Notwendigkeit einer alternativen Aufenthaltsmöglichkeit für diese Menschen angemerkt. Es gab im Nachgang Bemühungen aus der Anwohnendenschaft, im Rahmen einer Initiative oder Vereins Unterstützung anzubieten, jedoch ohne konkretes Ergebnis.

6. In der Beantwortung der Drucksache 1494/V wird ausgeführt, dass Fixpunkt e.V. vor Ort aktiv geworden ist. Wie oft war Fixpunkt e.V. in den letzten zwölf Monaten am Marheinekeplatz und in der Umgebung und welchen Austausch mit welchem Inhalt gab es dazu wann mit dem Bezirksamt?

Von Januar bis Dezember 2019 war das Team von Mobilix (Fixpunkt e.V.) an insgesamt 31 Tagen mit Streetwork vor Ort. Im Durchschnitt wurden 14,6 Menschen angetroffen, wobei Daten über Beratungsverläufe, Konsumutensilien-vergabe u.ä. nicht nach aufgesuchten Plätzen differenziert wurden, sondern sich auf die ganze „Route“ beziehen (Südstern, Gneisenaustr., Marheinekeplatz). Die Zahlen wurden der Suchthilfekoordination zur Verfügung gestellt. Ab 2020 hat das Mobilix-Team die Streetwork-Einsätze in der ursprünglichen Form eingestellt, Streetwork-Einsätze finden seitdem subjektorientiert, mit Schwerpunkt „Gesundheit und HIV/Hepatitis-Prävention“ statt.

Regelmäßigen Austausch dazu gab und gibt es mit der Suchthilfekoordinatorin. Am 10.01.2020 fand ein Treffen der Suchthilfekoordinatorin mit Dropout Team Xhain von Gangway e.V. statt, um zu eruieren, in wieweit die fehlenden Streetworkeinsätze von Fixpunkt kompensiert werden könnten. Gangway hat auch an dem Fachaustausch am 20.08. teilgenommen. Ein weiterer wichtiger Kooperationspartner ist das EHAP-Projekt des Diakonischen Werks Berlin Stadtmitte (über SWH), das ebenfalls aufsuchende Beratung für wohnungslose Menschen anbietet. Auch mit diesem steht die Suchthilfekoordination in ständigem Austausch.

7. Inwiefern berücksichtigt das Bezirksamt auch „Best-Practice-Erfahrungen“ aus anderen Kiezen oder Bezirken?

Durch die Teilnahme von Vertreter*innen unterschiedlicher Fachämter an (teilweise bezirksübergreifenden) Steuerungsrunden ist ein regelmäßiger Austausch zu unterschiedlichen, bewährten oder auch innovativen Vorgehensweisen bei ähnlichen Problemlagen gewährleistet. Als Beispiele seien hier genannt:

  •  Steuerungsrunden und Jour Fixes des bezirksübergreifenden Projektes NUDRA (Netzwerk zum Umgang mit Drogen- und Alkoholkonsum und seinen Begleiterscheinungen im öffentlichen Raum, in unserem Bezirk tätig im Fallstudiengebiet Mehringplatz im Rahmen des Bürgerbeteiligungsprozesses „Aufbruch Mehringplatz“);
  •  zweimonatliche Treffen der Berliner Suchthilfekoordinator*innen (in denen Erfahrungen aus den einzelnen Bezirken ausgetauscht und im Hinblick auf Durchführbarkeit ausgewertet werden);
  •  Einladung zum Fachaustausch 20.08. einer Kollegin des Notdienstes mit langjähriger Erfahrung in „Umfeldpflege“ im Umfeld von Substitutionspraxen;
  •  sobald wieder möglich, Teilnahme der Suchthilfekoordinatorin am „Runden Tisch Kulmer Kiez“ auf Einladung der Suchthilfekoordination Tempelhof-Schöneberg,
  •  angelehnt an eine „Aufenthaltsmöglichkeit“ am Leopoldplatz (Wedding) wurde die Einrichtung einer solchen Möglichkeit zum Aufenthalt im Freien am Marheinekeplatz auch beim Fachaustausch am 20. August 2020 vorgeschlagen.

Bei der Erarbeitung von Konzepten zum Umgang mit Nutzungskonflikten im öffentlichen Raum berücksichtigt das Bezirksamt aber nicht nur Best Practice-Erfahrungen aus anderen Kiezen oder Bezirken, sondern auch aus anderen Städten, genannt seien hier

  •  das Beispiel „Waste Watchers“ aus Wien, dass nach einem Erfahrungsaustausch vor Ort auch in unserem Bezirk umgesetzt wird,

 

  • oder auch das Projekt Fair.Kiez, siehe https://kiez-toolbox.de/pantomime/, mit Vorerfahrungen aus Paris (Les Pierrots de la Nuit), Brüssel oder Barcelona, dass 2015 in unserem Bezirk umgesetzt wurde.

Mit freundlichen Grüßen
Knut Mildner- Spindler

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