Zur öffentlichen Gedenkveranstaltung an die Opfer des Naziregimes am Tag der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar dieses Jahres war leider keine einzige Schulklasse gekommen. Auch das Erinnern an die Pogrome vom 9. November, das im letzten Jahr im Bezirksmuseum stattfand, blieb ohne Beteiligung von Jugendlichen. Das stimmt traurig.

Angereist waren schwedische und israelische Nachfahren der Ermordeten, die ausführlich zu ihrer Familiengeschichte recherchiert sowie Fotos und Dokumente mitgebracht hatten. Ihre Berichte über die individuellen Lebensgeschichten ihrer Vorfahren mit grausamem Ende fügten sich zu einem sehr beeindruckenden Gedenken, begleitet von der Musik Isabel Neuenfeldts, die die Atmosphäre von Ernst und Empathie kongenial unterstützte.

Jugendliche sollten mitgestalten
Wir Grüne wollen die Schüler*innen unseres Bezirks stärker in das öffentliche Erinnern einbeziehen: Die Schulen werden zukünftig rechtzeitig über die Gedenkveranstaltungen zu den Verbrechen des deutschen Faschismus informiert und zu diesen eingeladen. Vor allem aber werden sie explizit auf die Möglichkeit hingewiesen, sich mit ihren Jugendlichen auch aktiv an der Vorbereitung und Gestaltung des Erinnerns zu beteiligen. Die Schüler*innen sollen ihre eigenen Ideen, Vorstellungen oder Projekte aus dem Unterricht einbringen können, indem sie zum Beispiel Auszüge aus Aufzeichnungen oder anderen Dokumenten der Opfer des deutschen Faschismus vortragen.

Im Selbstverständnis der Bundesrepublik und ihrer politischen Kultur ist es die erste und wichtigste Aufgabe von Bildung und Erziehung, „dafür Sorge zu tragen, dass sich Auschwitz niemals wiederholen könne“, schrieb der Philosoph Theodor W. Adorno. Es hat lange genug gedauert, bis die Erinnerung an die Nazi-Verbrechen der Verdrängung entrissen wurde. Dazu beigetragen haben viele: etwa die Jugendlichen, die besonders in den 60er Jahren ihre Eltern intensiver nach ihrer Vergangenheit befragten, Filme wie die US-amerikanische Holocaust-Serie, die KZ-Gedenkstättenpädagogik, der von Jürgen Habermas ausgelöste Historikerstreit und vor allem die Zeitzeugen. Längst bildet die Shoah das erinnerungspolitische Kernthema unserer politischen Kultur, aber diese erfolgreiche Institutionalisierung birgt auch die Gefahr einer Erstarrung. Und die neue Rechte droht, diesen langen Lernprozess ganz abzuwürgen.

Lebendiges Gedenken
In den Rahmenlehrplänen aller Berliner Schularten sind fachübergreifend und fächerverbindend eine Fülle von Zugängen zum Lernen aus der faschistischen Diktatur verbindlich festgeschrieben. Zudem verfügt gerade Berlin wie keine andere Region in Deutschland über eine Vielzahl an Gedenkorten und authentischen historischen Stätten, die den Jugendlichen zahlreiche Möglichkeiten für sehr konkrete und vertiefende Recherchen im Rahmen von Projekten bieten. So findet die diesjährige Erinnerung des Bezirks an die antisemitische Pogromnacht vom 9. November 1938 in der ehemaligen „Zentralen Dienststelle für Juden“ des Berliner Arbeitsamtes in der Fontanepromenade 15 statt, einer Behörde des NS-Regimes, von der aus zwischen 1938 und 1945 etwa 26.000 Menschen zur Zwangsarbeit und damit häufig in die Vernichtung geschickt wurden.

Das öffentliche Gedenken darf nicht zum Ritual erstarren, geht es doch um die Sicht- und Hörbarkeit konkreten Erinnerns der Zivilgesellschaft. Die Ideen und die aktive Teilnahme der jungen Generation kann entscheidend dazu beitragen, das Gedenken lebendiger werden zu lassen. Für die engagierten Schüler*innengruppen würde dies auch eine neue Erfahrung bieten: sie lernen, mit Bezug auf das Zentrum der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur öffentlich aufzutreten und zu sprechen.

Wolfgang Lenk, Bezirksverordneter