"H1N1-Grippeschutzimpfung in Berlin – Organisatorische Probleme und zu späte Verpflichtung der Impfärzte"

In der aktuellen Stunde spricht Heidi Kosche über das Verhalten des Berliner Senats bei den Verträgen für die H1N1-Impfungen.

Die Aufzeichnung des RBB finden sie HIER


54. Sitzung Abgeordnetenhaus von Berlin

Aktuelle Stunde

„H1N1-Grippeschutzimpfung in Berlin – organisatorische Probleme und zu späte Verpflichtung der Impfärzte!“

Wir hoffen zusammen, dass niemals die Pest in Berlin ausbricht

Danke, Herr Präsident! – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Winde! Ich danke Ihnen ausdrücklich von hier aus für Ihr offenes Wort, dass auch Sie hier festgestellt haben, dass diese Senatsverwaltung überfordert ist, wie alle anderen, aber diese auch.

Seitdem die Weltgesundheitsorganisation mit dem Auftreten der Schweinegrippe die Kriterien dafür, wann eine Grippe als Pandemie einzustufen ist, geändert hat, ist die Angst in der Bevölkerung vor dieser Grippe groß. Viele Menschen können nicht einschätzen, ob sich nur eine Berechnungsgrundlage geändert hat oder ob diese weltweite Influenza wirklich im großen Maßstab lebensbedrohend ist. Die Ratlosigkeit, ob es notwendig oder sogar sinnvoll ist, sich impfen zu lassen, nimmt zu, gerade weil Impfexperten unterschiedliche Empfehlungen geben. Die Senatsverwaltung in Berlin rät zur Impfung, und dies ist für unentschlossene Menschen eine wichtige Empfehlung, Frau Senatorin.

In einer solchen Situation der Verunsicherung, wo es in der Wahrnehmung der Menschen um LEBEN UND TOD geht, darf man sich als Verantwortliche, Frau Senatorin, keinen einzigen Fehler leisten. Da stellt sich die Frage, ob es wirklich klug war, sich auf eine Auseinandersetzung mit der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin um das Geld einzulassen, ob Sie die richtige Entscheidung getroffen haben, als Sie sich wegen weniger Euro Differenz bei der Bezahlung für das Impfen dazu entschlossen haben, statt Kompromisse mit der KV auf Teufel komm raus zu finden, eigenständige Verträge mit jeder einzelnen Impfärztin, mit jedem einzelnen Impfarzt in Berlin zu schließen.

Meine Antwort darauf ist NEIN. DAS WAR EINE krasse FEHLENTSCHEIDUNG, Frau Senatorin, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Beratungsbedarf der Menschen beim Impfen gegen Schweinegrippe besonders hoch ist, weil die Impfung so umstritten ist.

Da muss jeder Impfarzt genügend Zeit für die Beratung aufbringen. Außerdem ist Ihnen eine bewährte Struktur, die die Ärzte in Berlin haben, verlorengegangen. Zusätzlich haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Senatsgesundheitsverwaltung, Ihre Verwaltung, Verträge kontrolliert, fehlende Daten nachgetragen statt sich ihren Aufgaben zu widmen, für die sie eigentlich eingestellt sind.

Auch das halte ich für verantwortungslos.

Seit mindestens zwei Wochen geben Sie, Frau Senatorin, als Impfstart für die Impfwilligen in Berlin den 9. November an. Seit es den ersten am Schweinegrippevirus Verstorbenen in Berlin gibt, hätte Ihnen klar sein müssen, dass die Impfbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner vor allem aus Angst gestiegen ist.

Noch am Freitag vor dem Impfstart-Montag sagten Sie, Frau Lompscher, in verschiedenen Medien, es werde kein Chaos geben, alles sei geregelt. Sie streuten die Zahl von 100 bis 300 Verträgen mit Impfärzten. Jeder, der sich impfen lassen wolle, könne dies am Montag tun. – Aber, Frau Senatorin, das war eine FEHLINFORMATION an die Berliner Bevölkerung, denn Sie wussten zum Zeitpunkt Ihrer Interviews genau, wie wenig ärztliche Vertragspartner Sie fest hatten, die berechtigt sind, den Impfstoff zu bekommen.

Denn als Verantwortliche wissen Sie – hoffentlich -, dass die Berliner Zentralapotheke nur an Praxen ausliefern durfte, die einen gültigen Vertrag hat. Wer am Freitag bzw. am Samstag noch keinen gültigen Vertrag mit Ihnen hatte, konnte auch am Montag nicht beliefert werden und konnte sowieso am Montag nicht impfen, weil der Impfstoff außerdem 24 Stunden akklimatisieren muss.

Kein Vertrag, kein Impfstoff, kein Impfbeginn am 9. November, das ist die Wirkungskette in Berlin, Frau Senatorin, und die ist negativ.

Durch meine Beschreibung jetzt wird deutlich, welch ein organisiertes Durcheinander Sie durch Ihre Fehlentscheidung angerichtet haben in einer Situation, in der nie ein Fehler hätte passieren dürfen. Ich jedenfalls war sehr erschrocken, als in der „Abendschau“ am 9. November dieser Fehlstart vom Verbandschefs der Frauenärzte kommentiert wurde: „Ich kann nur hoffen, dass hier niemals die Pest ausbricht.“

Im eigenen kritischen Rückblick zeigen Sie sich überrascht von den Lieferschwierigkeiten am 9. November und tun so, als ob dieses Datum vom Himmel gefallen sei. Haben Sie denn diese Feierlichkeiten nicht als Senatsmitglied mitgeplant?

Jetzt hätte man erwarten können, dass Sie wenigstens einen doppelten Boden einziehen und in den bezirklichen Berliner Gesundheitsämtern für alle Fälle Notprogramme eingerichtet werden. Meine Recherche ergab aber, dass es dort nicht viel besser aussieht als in der restlichen Stadt. In den Gesundheitsämtern wird seit ca. 14 Tagen geimpft, bisher überwiegend Risikopatienten. Verstärkt kommen jetzt auch andere Impfwillige. Die dort impfenden Ärztinnen und Ärzte haben im Schnitt einen 12-Stunden-Tag und inzwischen viele, viele Überstunden angesammelt. Lange ist diese Situation so nicht mehr aufrechtzuerhalten, höre ich von dort.

Davon, dass wir mit den Gesundheitsämtern möglicherweise eine Reserve in Berlin hätten, sind wir weit entfernt. Das Info-Telefon ist überlastet. Mir wurde berichtet, dass es 500 bis 800 Anrufe pro Tag gibt. Das könnten Menschen sein, die kein Internet haben wollen. Wie werden diese Menschen mit Informationen über die Schweinegrippeimpfung versorgt?

Das Resümee der letzten 14 Tage ist gelinde gesagt fatal, Frau Senatorin. So kann es auf keinen Fall weitergehen. Die kalte Jahreszeit beginnt erst, und wir haben den Höhepunkt dieser Grippewelle eher noch vor uns.

Deswegen fordern wir Sie auf: Beenden Sie die Auseinandersetzung mit der Berliner Ärzteschaft und deren Vertreterinnen und Vertretern sofort!

Lösen Sie die Probleme, und sorgen Sie dafür, dass die Organisation reibungslos läuft! Verhakeln Sie sich nicht weiter in Zuständigkeitsdiskussionen!

Unterstützen Sie unsere Berliner Gesundheitsämter! In einigen sind die Beschäftigten am Rand ihrer Kräfte. Wir werden deren Kompetenz und Engagement in diesem Winter noch brauchen. Und,

Frau Senatorin, machen Sie die jetzt anlaufende Impfaktion zur Chefinnensache, denn es gilt, das Vertrauen der Berlinerinnen und Berliner in unser Gesundheitssystem zurückzuerobern!