Integration ist in letzter Zeit in aller Munde. Die Regierung hat auf ihrer Agenda den Punkt "Integration" nach ganz oben gestellt. Einen nationalen Integrationsplan gibt es auch schon. In diesem Plan ist jedoch kein Platz für einen von MigrantInnen getragenen Umwelt-, Klima- oder Verbraucherschutz.

Die große Gruppe (2,9 Mio. Personen) türkischsprachiger MigrantInnen in Deutschland ist als Konsument – oder gar Produzent – von der Gesellschaft bisher weitgehend übersehen worden. Dabei sind die mit Plastiktüten schwer beladenen MigrantInnen im Alltag ein gewohnter Anblick. Hier fallen die Plastiktüten als einziges Transportmittel für Obst, Gemüse und andere Lebensmittel auf. Sie werden in großen Mengen auf den Märkten (auch auf dem bekannten Maybachufermarkt am Rande unseres Bezirks) verteilt. Man/frau müsste deutlich „Nein“ sagen, um keine Plastiktüten angeboten zu bekommen. Dieses Bild von MigrantInnen kann zu der falschen Annahme führen, dass es beinahe eine Art Tradition sei, Plastiktüten für den Einkauf zu benutzen. In der Türkei war es jedoch früher eine Selbstverständlichkeit, Körbe aus Schilf, Rohr, aber auch Taschen aus Stoff, sowie Tragnetze für den Einkauf mitzunehmen. Es gibt, wie im restlichen Europa, viele aktive Umweltschutzorganisationen in der Türkei, welche das Umweltbewusstsein fördern möchten. Dennoch finden deren Aktivitäten weder in den türkischen Medien noch in Medien außerhalb der Türkei einen Platz. Immerhin gibt es seit Neustem ein vom Dachverband der Kommunalverwaltungen initiiertes Verbot für schwarze Plastiktüten, welche fortan nicht mehr bei Einkäufen verwendet werden dürfen. Eine Rückbesinnung auf alte Konsumgewohnheiten bezüglich des Einsatzes von Netzen aus Stoff ist im Vormarsch. Eine aktuelle Kampagne fordert die KonsumentInnen auf, auf alle Arten von Plastiktüten zu verzichten. Mehr darüber unter www.filehareketi.blogspot.com

Gewohnheiten der Gesellschaft ändern sich und tangieren auch die Zuwanderer. Mittlerweile wird Bequemlichkeit im Kontext eines wenig schonenden Umgangs mit der Umwelt als einziges Kriterium angeführt. Dabei spielt natürlich auch die fehlende Integration der türkischsstämmigen MigrantInnen in den Bereichen Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz eine große Rolle. Das gilt für die direkte Kommunikation unter den Verbrauchern ebenso, wie für die Markt- und Produktentwicklung, für den Bereich der Umwelterziehung, für die Bildungs- und Ernährungspolitik und die privatwirtschaftlich und staatlich geförderten Aktivitäten. Auch andere Migranten-Communities wurden und werden bei (fast) keiner Info-Kampagne oder -Aktion zum Klima-, Umwelt- oder Verbraucherschutz als Teil der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland wahrgenommen bzw. angesprochen. Zwei Drittel der Befragten, durchaus auch der jüngeren Menschen, die an der, vom „Zentrum für Türkeistudien“ durchgeführten Studie „Umweltbewusstsein und Umweltverhalten der türkischen Migranten in Deutschland – Untersuchung zum gegenwärtigen Stand und Ermittlung von Möglichkeiten ihrer Einbeziehung“ teilnahmen, wünschten sich mehr Information und Beratung in türkischer Sprache in den oben genannten Bereichen.

Es kann davon ausgegangen werden, dass Lernprozesse und Verhaltensänderungen mehrere Generationen benötigen. Dies betrifft jede Gesellschaft und jede soziale Schicht besonders dann, wenn es um alltägliche Konsum- und Ernährungsgewohnheiten und ihre Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima geht. Deshalb können Umwelterziehung und Ernährungsaufklärung kein kurzfristiger Prozess sein. Sie müssen langfristige Lern- und Umsetzungsprozesse anstoßen, damit die beschriebenen Ziele erreicht werden können.

Weiterhin ist es eine wichtige Aufgabe, sowohl die Partizipationsmöglichkeiten der Migrantinnen und Migranten an der gesellschaftlichen und politischen Willensbildung als auch ihre Identifikation mit der Gesellschaft, in der sie leben, zu fördern. Dadurch entsteht das Bewusstsein, aktiv eingreifen zu können und nicht nur Objekt von Entscheidungen anderer zu sein.

Dr. Turgut Altuğ