Im letzten Jahr wurde die Friedrichshain-Kreuzberger Ortsgruppe des Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus mit dem Silvio-Meier-Preis ausgezeichnet. Das Bündnis unterstützt mit seinen „Stammtischkämpfer*innen-Ausbildungen und antirassistischen Seminaren Menschen dabei, mit der um sich greifenden rassistischen Hetze „umzugehen zu lernen“.  Ein Gespräch mit Rene Paukolat vom Bündnis Aufstehen gegen Rassismus.

Foto: Christian Könneke

Stachel: Rene, ich musste in letzter Zeit oft an diese Passage aus Carolin Emckes Buch Gegen den Hass denken: „Hätte mich vor einigen Jahren jemand gefragt, ob ich mir vorstellen könne, dass jemals wieder So gesprochen würde in dieser Gesellschaft? Ich hätte es für ausgeschlossen gehalten. Dass der öffentliche Diskus jemals wieder so verrohen könnte, dass so entgrenzt gegen Menschen gehetzt werden könnte, das war für mich unvorstellbar.“

Rene: Dieser Diskurs ist wieder da angekommen, wo er seinen eigentlich Ursprung hat. Wie fatal die Äußerungen von Söder und Seehofer auch sein mögen, letztlich sind sie der verzweifelte und zum Scheitern verurteilte Versuch, rechte Wähler*innen wieder einzufangen. Das ist gefährlich und intellektuell erbärmlich. Das eigentliche Feuer haben aber ganz andere Brandstifter schon viel früher entfacht. Einer davon ist heute noch Mitglied der SPD.

Stachel: Du meinst Thilo Sarrazin…

Rene: Ja. Sarrazin ist einer von vielen. Sein Buch Deutschland schafft sich ab war für die Verbreitung des antimuslimische Rassismus in Deutschland immens bedeutsam.Und um diesem Rechtsruck effektiv zu begegnen, muss aus unserer Sicht der antimuslimische Rassismus viel ernster genommen werden. Die AfD ist die erste Partei im deutschen Bundestag, die einer Religionsgemeinschaft abspricht, sich gleichberechtigt mit den anderen Religionsgemeinschaften entfalten zu können. Mit ihren Forderungen nach Burka- oder Verschleierungsverbot oder dem Verbot von Minaretten stellt sie die Religionsfreiheit speziell nur für den Islam in Frage. Für diesen hetzerisch vorgetragenen Angriff auf die grundgesetzliche garantierte Religionsfreiheit wird sie von zwar allen anderen Parteien kritisiert. Aber es ist der antimuslimische Rassismus der bürgerlichen Mitte, der der AfD den Boden bereitet.

Stachel: Viele der Geflüchteten, gegen die die AfD hetzt und die Seehofer & Co am liebsten direkt an der Grenze abweisen oder erst gar nicht bis dahin kommen lassen würden, sind keine Muslime. People of Color werden ausgegrenzt, egal woher sie kommen und welcher Religionsgemeinschaft sie angehören.

Rene: People of Color werden als „Fremde“ in diesen Sog mit reingezogen. Das gehört zur Strategie. Bereits seit 2004 hat die NPD diese Strategie gepuscht. Etwa Jürgen Gansel, zunächst Mitglied der jungen Union und der CDU, von 2004 bis 2014 für die NPD im sächsischen Landtag. Er bringt es auf den Punkt: „Die nationale Opposition ist gut beraten die Ausländerfrage auf die Moslemfrage zuzuspitzen, und die Moslems als Projektionsfläche für all das anzubieten, was den Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört.“ Den neonazistischen Strömungen in der AfD ist sehr bewusst, welche Ressentiments sie aufrufen. Deshalb vermeidet die AfD bewusst platten Antisemitismus, – von einzelnen Ausfällen abgesehen.

Der Lackmustest des Antisemitismus funktioniert nicht mehr 100% bei der Neuen Rechten und der AfD. Diese sind sich darüber im klaren, dass dieser in Deutschland zu sehr sanktioniert wird und finden Alternativen: Islamfeindlichkeit statt Antisemitismus: ‚Pro NRW‘ hat in 2011 eine Deutsch-Israelische Konferenz‘ organisiert, im Rahmen dessen sich die extreme politische Rechte aus Deutschland und Israel zusammen getan haben und jeweils profitieren: Entlastung vom Antisemitismusvorwurf für die einen und Konzentration dieses Vorwurfs auf Muslime.

Stachel: Die neue Rechte versucht also, vom immer noch existenten, wenn nicht gar zunehmenden Antisemitismus auch in Teilen der deutschen Mehrheitsgesellschaft abzulenken und den „Anderen“ die Schuld zu geben und damit zu sagen: Seht her, wir können keine Nazis sein, denn wir sind keine Antisemiten, vielmehr Verbündete im Kampf gegen die Gefahr des Islams, die alle kultivieren Völker bedroht.

Rene: Darüber hinaus  nutzt die AfD Stereotype wie etwa eine dem Islam vermeintlich innewohnende Homophobie oder Infragestellung der Gleichberechtigung der Frau, um sich als Verteidigerin des christlichen Abendlandes oder gar der Werte der Aufklärung aufzuspielen.

Stachel: Die berechtigte Ablehnung von religiös begründeter Diskriminierung oder der Verfolgung von Schwulen wird hier missbraucht?

Rene:  Das Gefährliche daran ist, dass hier ein ursprünglich durchaus emanzipatorischer Ansatz mit den Stereotypen des antimuslimischen Rassismus verknüpft wird. Ein Beispiel für einen solchen Versuch ist der von Leyla Bilge inszenierte Frauenmarsch. Da geht es nicht wirklich um Frauenrechte. Hier haben sich Muster über einen langen und gewollten Prozess in die Köpfe eingeschrieben.

Stachel: Was ist das für ein Prozess?

Rene: Der Prozess beginnt für mich mit den Anschlägen des 11. September 2001.  Die Anschläge boten über die Gleichsetzung des Islams mit dem Terrorismus die Grundlage für einen islamfeindlichen Diskurs in den westlichen Staaten. Es wurde die Frage nach der Vereinbarkeit des Islams und damit der Muslime mit den Grundsätzen westlicher Gesellschaften gestellt. Die Darstellung islamisch geprägter Länder als unterentwickelt, das Bild des Islam als antiliberale Ideologie und die Vorstellung von Muslimen als tendenziell reaktionär, homophob und frauenfeindlich eingestellten Menschen dominiert fälschlicherweise seither die Medien.

Stachel: Wie stellt sich das  bei uns dar?

Rene: Im Jahr 2014 hat die Schweizer Agentur Mediatenor 2,6 Millionen Sendungen in den USA, Großbritannien und Deutschland daraufhin untersucht, wie über Muslime und den Islam berichtet wird. Das Ergebnis: Deutschland ist im Vergleich das Land, in dem am negativsten über Muslime berichtet wird. Dieses rassistische Grundrauschen benutzt die AfD. Und was die AfD ausspricht, setzen andere, ich nenne sie mal die Stiefelneonazis, in die Tat um. Wie sich in den zunehmenden Gewalttaten gegen Muslime, Moscheen und andere muslimische Einrichtungen nur allzu deutlich zeigt.

Stachel: Und wie nun darauf reagieren ?

Rene: Ich glaube, es ist notwendig, die Zuteilung von Solidarität mit von Rassismus Betroffenen nicht abhängig davon zu machen, ob mir der oder diejenige Betroffene sympathisch ist oder ob wir politisch übereinstimmen. Ich glaube, Antirassismus macht aus, sich schützend vor diejenigen zu stellen, die von Rassismus betroffen sind. Mehr noch: Wir müssen konkret mit Betroffenen Muslimen zusammenarbeiten. Was wir brauchen, ist ein starker gemeinsamer Protest, der auch auf der Straße sichtbar wird.

 

Interview von Werner Heck aus dem Stachel August 2018