Brücke über ruhigem Wasser – eine Szene in Kreuzberg

I Nein, eine „Bridge over troubled Water“ ist es sicher nicht, dafür fließt der Landwehrkanal viel zu betulich, transportiert in diesen späten Frühlingstagen herabgefallene Blütenreste ebenso wie den neugeschlüpften Familienzuwachs der Entenpärchen oder auch die unvermeidlichen Touristen auf diesen gedrungenen Ausflugsdampfern („Und rechts hinter der Brücke sehen Sie eine Reihe von sogenannten postmodernen Häusern, allesamt errichtet zur IBA 1987…“).

Die Rede ist von der denkmalgeschützten Admiralbrücke, einem 1880-82 erbauten, schmiedeeisernen Schmuckstück, welche als Bogenkonstruktion mit einer lichten Weite von 19,50 Metern am östlichen Ende des Urbanhafens die Admiralstraße vom Fraenkelufer über den Landwehrkanal in den benachbarten Graefekiez führt. Benannt ist sie nach einem Neffen Friedrich Wilhelms III., dem Admiral Adalbert Heinrich Wilhelm, Prinz von Preußen (1811 – 1873), der auch für die Verlängerung nördlich des Kottbusser Tores, die Adalbertstraße, Pate stand.

Angebliche Meriten beim Aufbau der kaiserlichen Marine gepaart mit blauem Blut waren vor mehr als hundert Jahren schon ausreichend, um es auf die Straßenschilder jenes Teiles des Berliner Stadtraumes zu schaffen, den man heute Kreuzberg nennt. Hier tummelt sich denn auch hochrangige, zumeist erzreaktionäre, preußische Soldateska von Yorck über Gneisenau, Blücher, Urban (Halt! Urban nicht!) bis hin zu Wrangel, welche in ihrer erdrückenden Majorität den jüngst in Rudi-Dutschke-Straße umbenannten Teil der Kochstraße als neuzeitlichen Treppenwitz erscheinen lassen.

II

Wie vor ca. drei Jahren alles anfing, lässt sich schon nicht mehr so genau bestimmen. Waren es nun die Feuerschlucker, die Frau mit der Harfe, der Sonnenuntergang oder, was wahrscheinlich ist, eine Mischung aus allen, wodurch die Leute angezogen wurden? Einerlei – es ist eine Szene entstanden, welche dem dortigen Kiez ein neues Pofil gibt, ein internationaler Treffpunkt, der einen äußeren Anlass nicht mehr benötigt. Zur wärmeren Jahreszeit – kein Regen vorausgesetzt – finden sich auf der Admiralbrücke hin zum Graefekiez jeden Tag am Spätnachmittag dutzende junge Menschen im Alter von 18 bis 35 Jahren ein, die dort verweilen und eine gute Zeit haben wollen. Nicht selten bleiben sie dort bis tief in die Nacht.

Der Autoverkehr über die Brücke, der, geht es nach den Grünen in der BVV, hier gänzlich verschwinden soll, ist auf zwei schmale Fahrspuren reduziert und zwar durch blockierende Poller in der Mitte, auf denen es sich trefflich abhängen lässt. Die schmiedeeisernen Brückengeländer bieten Platz zum Anlehnen, allerdings auch für anzuschließende Fahrräder, und auf dem Plateau der massiven Eckpfeiler der Brücke exponieren sich als bevorzugter Blickfang Liebespärchen in inniger Haltung. Von der Brückenmitte aus westwärts entlang dem schnurgerade fließenden Landwehrkanal bietet sich, wenn die Sonne dort direkt niedergeht, eine poesieträchtige Perspektive zum Genießen an: in die Endlosigkeit entgleitende Schwäne auf dem Wasser und lautlose, mit ihren Kondensstreifen das Blaue weiß liniierende Jets am Himmel.

Das irdische Getränk ist Flaschenbier, das scheinen hier fast alle zu nehmen, einige kiffen… Hin und wieder trabt eine Joggerin durchs Bild, hier verläuft schließlich Kreuzbergs beliebteste Laufstrecke. In der Tat: als der Autor die Szene im Hinblick auf den Artikel in Augenschein nahm, erschien kein einziger männlicher Jogger und an den passierenden Frauen konnte er kaum ausmachen, wogegen diese Bewegungsform denn nun vonnöten wäre. Eben, man muss auch nicht alles verstehen.

Dominierendes Musikinstrument ist nach wie vor die akustische Gitarre, irgendwo spielt immer jemand, meistens zum Gesang. Wenn man Glück hat, hört man hin und wieder auch feine Bluesläufe aus E-Gitarren mit winzigen verstärkten Boxen, die erstaunlich astrein klingen. Höhepunkte des Musizierens ereignen sich meistens dann, wenn Flöte, Geige oder auch Banjo das Instrumentarium zu einer Combo erweitern, Schlagbegleitung erfordert ja lediglich Kisten oder andere Hohlkörper. Der Applaus, den diese Darbietungen bekommen, ist weithin hörbar – für manche Anwohner bereits zuviel.

III

Mirijana kommt aus Kroatien. Sie lebt seit 30 Jahren in Berlin, hat erwachsene Kinder und ist, was ihre elegante Erscheinung betrifft, nicht unbedingt eine Frau, die man mit dem Sammeln von Pfandflaschen in Verbindung bringt. Sie tut dies mit einem charmanten Lächeln – die leeren Bierflaschen fliegen ihr zwar nicht zu, jedoch reicht es, um die Hartz IV – Bezüge deutlich aufzubessern.

Doch leicht verdientes Geld ist es nicht: sie hat sich gegen Sammlerkonkurrenz zu behaupten und um die Flaschen einzulösen, muss sie zu Kaiser´s am Kotti, denn der Betreiber des türkischen Genussmittelladens, wo das meiste Flaschenbier verkauft wird, weigert sich, die leeren Flaschen von ihr zurück zu nehmen. Interkulturelle Akzeptanz gerade auch unter den Minderheiten ist wohl noch Übungssache.

Katja wohnt gleich um die Ecke, sie ist alleinerziehend. Ihr Computer ist gerade zum x-ten Male abgestürzt, und bevor sie in ihrer Wohnung vor Frust anschmort, sucht sie hier lieber Ablenkung und Zerstreuung. Ihre achtjährige Tochter Penelope hat ihr Einrad migebracht. Die Kunst, dieses zu beherrschen, lernt sie in einer Gruppe beim Kinderzirkus Cabuwazi. Als ihre Mutter zum Aufbruch drängt, dreht sie schnell noch ein paar pirouettenähnliche Figuren und bekommt die staunende Aufmerksamkeit, die Kinder nunmal glücklich macht.

Und dann ist da noch Arno Paulus – ein alternativer Tausendsassa. Er ist Solar-Schiffer, hat den Widerstand gegen die Baumfällerei am Landwehrkanal angeführt und arbeitet mit in der Initiative „Mediaspree versenken!“, welche genug Unterschriften gesammelt hat, um einen Bürgerentscheid zu erwirken, der voraussichtlich am 13. Juli stattfinden wird und im Ergebnis die bisherigen Planungen des Bezirksamtes im Hinblick auf die Neugestaltung des erweiterten Spreeufers zu Fall bringen soll.

Arno schwärmt von der organischen, ja autonomen, Konstitutionsgeschichte der Szene an der Admiralbrücke, ihrem kommunikativen Potential und ihrer lustbetonten Atmosphäre. Und dann erzählt er ein Erlebnis aus dem letzten Sommer…

axel w. urban

Die Songs:

if you gotta go, go now manfred mann

the undefeated Iggy pop

live with me the rolling stones

germfree xray spex

get it on t. rex

waterloo sunset the kinks

hole in my shoe traffic

old old woodstock van morrison

roll on arte the felice brothers

temporary thing lou reed

how far can too far go? the cramps

mama, keep your big mouth shut the pretty things

jump on top of me the rolling stones

moonlight drive the doors

shanty town desmond dekker

break on through the doors

why don´t we do it in the road the beatles

ready for love / after lights mott the hoople

brown-eyed girl van morrison

neon forest Iggy pop