Abgeordnete dürfen fortan die Unterlagen zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe einsehen. Ein Artikel aus dem Mieterecho von Benedict Ugarte Chacón.

Die rot-rote Koalition rühmt sich zwar selbst immer wieder ob ihrer transparenten Regierungsführung, doch wenn es um Privatisierungsverträge geht, verhält sie sich wie ihre Vorgängerin: Geheimhaltung ist Regierungspflicht. Selbst Abgeordnete wollte der Senat das Aktenmaterial nur fragmentarisch einsehen lassen. Nun kassierte die Landesregierung eine schwere Schlappe vor dem Landesverfassungsgericht. Die Akten zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe sind den Abgeordneten zugänglich zu machen. Doch ob die so gewonnenen Erkenntnisse irgendwann an die Öffentlichkeit gelangen, ist fraglich.

Im Jahr 1999 hatte die Koalition aus CDU und SPD 49,9% der Berliner Wasserbetriebe für 1,7 Milliarden Euro an die Konzerne Vivendi (heute Veolia) und RWE verkauft. Über die Details des Verkaufsvorgangs sowie den eigentlichen Kaufvertrag wurde zwischen dem Land und den Investoren Stillschweigen vereinbart. Seit der Teilprivatisierung stiegen die Wasserpreise laut Berechnungen der Bürgerinitiative Berliner Wassertisch um rund 35%. Der Grund dafür darf in den geheim gehaltenen Vertragsinhalten vermutet werden, Kritiker sprechen von einer darin enthaltenen „Gewinngarantie“ für die Privaten. Zwar hatte Rot-Rot seinerzeit pflichtschuldig in die Koalitionsvereinbarung geschrieben, die Möglichkeiten einer Rekommunalisierung prüfen zu wollen, aber so richtig ernst genommen hat die Landesregierung ihre Absichtserklärung nie.

Niederlage folgt Niederlage. Doch dann startete ein Volksbegehren zur Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge und insbesondere die mitregierende Partei Die Linke kam in Erklärungsnot, warum sie zwar grundsätzlich für die Offenlegung sei, aber gegen konkrete Maßnahmen zu deren Umsetzung. Der Senat versuchte, sich des unbequemen Themas zu entledigen und verbot kurzerhand das Volksbegehren. Das Landesverfassungsgericht gab allerdings der Beschwerde der Initiatoren statt und bescherte damit dem Senat eine erste peinliche Niederlage. Die zweite Niederlage in diesem Zusammenhang erlitt der Senat Mitte Juli. Heidi Kosche, Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, hatte beim Senat Einsicht in die gesamten Unterlagen zur Teilprivatisierung beantragt. Hierbei geht es um 180 Aktenordner mit insgesamt rund 90.000 Blatt, die bei den Senatsverwaltungen für Finanzen und Wirtschaft liegen. Die Senatsverwaltung für Finanzen entsprach dem Ansinnen Kosches nicht und lehnte den Antrag auf Einsicht mit der pauschalen Begründung, es handle sich bei vielen Akten um geheimschutzwürdiges Material, ab. Kosche zog vor das Landesverfassungsgericht, und dieses entschied am 14. Juli, dass der Senat sich verfassungswidrig verhalten habe. Nach Artikel 45 der Verfassung des Landes Berlin dürfen Abgeordnete Einsicht in „Akten und sonstige amtliche Unterlagen der Verwaltung“ nehmen. Es sei denn, öffentliche oder private Interessen überwiegen das Informationsinteresse der Abgeordneten und machen somit eine Geheimhaltung „zwingend“ erforderlich.

Geheimhaltung macht Arbeit Die pauschale Ablehnung des Einsichtsbegehrens von Kosche begründete der Senat unter anderem damit, dass der Verwaltung ein enormer Arbeitsaufwand entstehen würde, sollten alle Akten durchgearbeitet, einzelne geheimhaltungswürdige Passagen geschwärzt oder einzelne Blätter entnommen werden. Dies sei unzumutbar, schließlich müsste dann jeder Satz und jedes Wort überprüft werden. Die Begründung wurde vom Landesverfassungsgericht mit deutlichen Worten gerügt: „Um den Abgeordneten eine sachgerechte Überprüfung der Akteneinsicht ablehnenden Entscheidung zu ermöglichen, sind die Ablehnungsgründe substanziiert und nicht lediglich pauschal und formelhaft darzulegen. (…) Die mit dem Akteneinsichtsantrag befasste Stelle muss nachvollziehbar darlegen, welche öffentlichen oder privaten Belange durch Einsicht in die angeforderten Akten berührt sind und warum diese nicht herausgegeben werden können.“ Das vom Senat gewählte Verfahren sei demnach grundsätzlich ungenügend, die Begründung für die Geheimhaltung zu allgemein gefasst. Kurzum: Ein blamables Urteil für den Senat, der die Politik der Geheimhaltung seiner Vorgänger weiterführen wollte. Der Senatsverwaltung für Finanzen als hauptverantwortliche Akteurin für die Geheimhaltungstaktik war die juristische Klatsche nachvollziehbarerweise recht peinlich.

Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) ließ über die Presse ausrichten, die von ihm geleitete Verwaltung habe das Verfahren nur pflichtgemäß zu Ende geführt und sehe das Ergebnis positiv, da Unsicherheiten nun beseitigt seien. In der Tat, das Gerichtsverfahren hat dem Senat ein anderer eingebrockt: Nußbaums Vorgänger, der von SPD und Die Linke stets hoch gelobte und von vielen Medien stets überschätzte Thilo Sarrazin (SPD). Dieser begriff sich in seiner bisherigen politischen Karriere schon immer als Freund staatlichprivater Intransparenz, getarnt als Investorenfreundlichkeit, was sich nicht nur bei den Wasserbetrieben zeigte. Gewohnt unbeholfen reagierte die Regierungspartei Die Linke auf das Urteil. Ihr Landesvorsitzender Klaus Lederer erklärte: „Das Urteil entspricht dem Bestreben der rot-roten Koalition, die Transparenz beim Abschluss öffentlicher Verträge gegenüber den privaten Interessen deutlich zu stärken.“ Erstaunlich an dieser Erklärung ist ihre besondere Dialektik: Einen höchstrichterlichen Rüffel für die eigene seit 2002 verfolgte Politik als im Sinne der eigenen Politik zu begrüßen – darauf muss man erst mal kommen.

Überhaupt, wie wichtig der Berliner Die Linke die Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge tatsächlich ist, bleibt nicht so recht ersichtlich. In einem Positionspapier von Anfang Juli 2010 betonen Klaus Lederer und Wirtschaftssenator Harald Wolf, dass eine Offenlegung der Verträge „aus Gründen der demokratischen Teilhabe richtig und wichtig“ sei. Dennoch sei es eine „Illusion“ zu meinen, mit der Offenlegung würde sich am Zustand der Teilprivatisierung sowie den hohen Wasserpreisen – für deren Genehmigung übrigens ihre Parteifreundin Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher zuständig ist – etwas ändern. Es sei angebrachter, mithilfe des neuen Informationsfreiheitsgesetzes (siehe MieterEchoNr. 341/Juli 2010) die Verträge zwischen Land und Investoren neu auszuhandeln. Soweit jedenfalls die Theorie. Fakt ist, dass weder die Regierungsfraktion der Partei Die Linke noch deren Wirtschaftssenator Wolf seit ihrem Regierungsantritt im Jahr 2002 erkennbare Anstrengungen unternommen haben, an den Verträgen etwas zugunsten der Berliner/innen zu ändern. Der Berliner Wassertisch wirft dem Wirtschaftssenator sogar vor, bei bisherigen Verhandlungen einseitig im Interesse der Privaten agiert zu haben. Und auch das neue Informationsfreiheitsgesetz, von dem Lederer und Wolf auf einmal schwärmen, geht letztlich auf den vom Wassertisch erzeugten öffentlichen Druck und eine Initiative der Grünen zurück – von alleine wäre die rot-rote Koalition höchstwahrscheinlich nicht auf diese Idee gekommen.

Nur der erste Schritt Festzustellen bleibt, dass die nun gerichtlich erwirkte Möglichkeit für Abgeordnete, einen Blick in bislang unter Verschluss gehaltenes Aktenmaterial nicht nur zu den Wasserbetrieben zu werfen, nur ein erster kleiner Schritt zu mehr Transparenz sein kann. Denn was nützt die Akteneinsicht, wenn sie nur in einem gesicherten Datenraum erfolgen darf und die Abgeordneten über das, was sie gelesen haben, öffentlich nicht sprechen dürfen? Infolge des Urteils haben verschiedene Parlamentarier schon angekündigt, weitere Vorgänge prüfen zu wollen. Auch werden wohl Anträge von Bürger/innen auf Einsicht nach dem neuen Informationsfreiheitsgesetz gestellt werden. Und schließlich läuft noch das Volksbegehren des Berliner Wassertischs, der dafür kämpft, dass die Wasserverträge für alle Berliner/innen zugänglich gemacht werden. Der Senat bleibt also parlamentarisch und außerparlamentarisch unter Druck – und das ist auch gut so.