Seit 1998 lässt der Senat die "Soziale Stadtentwicklung" Berlins und seiner Bezirke untersuchen. Nun liegt für den Zeitraum 2005-2006 ein neuer Bericht vor. Das beunruhigende Fazit lautet: Berlin driftet sozial immer weiter auseinander.

Die Untersuchung von Wissenschaftlern der Humboldt-Universität sagt eine weitere „Polarisierung“ der Quartiere voraus. Dort, wo wenige soziale Probleme zu beobachten sind, verringern sich diese weiter. In belasteten Stadtteilen verschlechtert sich die Situation noch mehr: Die Schere zwischen armen und reichen Kiezen geht immer weiter auseinander. Die höchste „Problemdichte“ sieht der Bericht in Teilen von Neukölln, Wedding und Moabit. Neu ist, dass zunehmend auch Großsiedlungen am Stadtrand sozial zu kippen drohen. Ferner können die benachteiligten Stadtteile auch von positiven gesamtstädtischen Trends nicht profitieren.

Kreuzberg hat es nicht „geschafft“

Die Studie „Soziale Stadtentwicklung“ wartet aber auch mit einer positiven Überraschung auf. Entgegen des allgemeinen Trends habe sich die Lage im bisherigen „Problemstadtteil“ Kreuzberg verbessert. Dort werde „die hohe Problemkonzentration in einigen Quartieren … deutlich abgebaut“. Entsprechend freute sich eine Berliner Tageszeitung über „die gute Nachricht: Kreuzberg hat es geschafft.“ Sie irrt. Die Studie stellt zwar eine positive Entwicklungsprognose für Friedrichshain und das südliche Kreuzberg. Diese umfasst sogar den noch unlängst von der Presse als „No-go-area“ eingestuften Wrangelkiez. Eine genauere Auswertung der Untersuchung zeigt jedoch, dass die soziale Situation in Teilen des Bezirks unverändert schwierig ist. Das gilt vor allem für die Quartiere nördlich der Hochbahn, rund um Mariannen-, Moritz- und Mehringplatz. Auch die positive Dynamik einiger Kieze hat ihre Kehrseite: In manchen Altbauquartieren Kreuzbergs und Friedrichshains besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Sanierungsmaßnahmen, steigenden Mieten und einem Austausch der bislang ansässigen mit einer neu hinzukommenden Bevölkerung. Was der Bericht als „soziale Stabilisierung“ darstellt, ist zum Teil die Folge sozialer Verdrängung. Auch in unserem Bezirk haben wir es also mit einer sozialen Spaltung „im Kleinen“ zu tun.

Kindheit in Armut

Besonders dramatisch wirken sich die wachsenden sozialen Unterschiede auf die Entwicklung der Kinderarmut aus. Der Studie zufolge leben 38, 5% aller Berliner Kinder in Armut, weil ihre Eltern von staatlichen Transferleistungen abhängig sind. Auch in diesem Fall sind die Unterschiede innerhalb Berlins bezeichnend: Etwas mehr als ein Drittel aller Kinder unter 15 Jahren lebt in Quartieren, wo insgesamt eine Mehrheit der Kinder in „armen“ Haushalten aufwächst. Die Untersuchung kommt zu dem Schluss: „Man muss wohl von einer gespaltenen Kindheit in der Stadt reden: Immer mehr Kinder leben in Umgebungen mit immer größeren Problemen, und immer weniger Kinder in Umgebungen mit immer weniger Problemen.“ Eine Umkehr dieser Entwicklung ist nicht in Sicht: Die Zahl der unter 18-Jährigen, die von Sozialleistungen abhängig sind, ist allein in den ersten 9 Monaten des Jahres 2007 um 4,2% gestiegen.

Taube Ohren im rot-roten Senat

Berlin driftet sozial auseinander – doch der Auftraggeber der Studie, der rot-rote Senat, zieht die falschen Konsequenzen. Auch in den nächsten Jahren bleibt Berlin auf Konsolidierungs- und Sparkurs, auf Kosten der sozialen Infrastruktur. Die Einsparungen haben mittlerweile zu einer kritischen Situation bei der gesundheitlichen Versorgung und den sozialen und pädagogischen Angeboten geführt. So wurden unter Rot-Rot in den vergangenen sechs Jahren 140 Jugendeinrichtungen geschlossen. Und die Bezirke sollen weiter sparen. Allein Friedrichshain-Kreuzberg erhält, verglichen mit den Ausgaben von 2006, in den nächsten zwei Jahren 12 Millionen Euro weniger. Der Bezirk müsste also seine Angebote im Sozial-, Gesundheits-, Integrations- und Jugendbereich weiter einschränken und – wie in Mitte und Pankow bereits beschlossen – Stadtteilbibliotheken schließen. Die Folgen werden sich wohl in der nächsten Senats-Studie niederschlagen. Die sollte dann aber wahrheitsgemäß unter der treffenderen Überschrift stehen: „Unsoziale Stadtentwicklung“.

Daniel Wesener, Bezirksverordneter

Linktipp: www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/de/2007/