Berliner Verfassungsgericht verhandelte Klage auf Akteneinsicht zu Wasserprivatisierung. Urteil am 14. Juli. Ein Artikel aus der Jungen Welt von Rainer Balcerowiak.

Für die Bürger der deutschen Hauptstadt sind die Folgen der 1998 vom Abgeordnetenhaus beschlossenen Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe sehr konkret. Die Wasserpreise sind seitdem stetig und exorbitant gestiegen und gehören mittlerweile zu den höchsten in Deutschland. Auch politisch sorgt die damalige Entscheidung der Landesregierung nach wie vor für Furore. Zum einen, weil es eine starke Bewegung für die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe gibt, die mittlerweile auch von Abgeordneten der Regierungsparteien SPD und Linke unterstützt wird. Und zum anderen, weil die Verträge und Nebenabreden sowie weitere Verwaltungsvorgänge rund um die Teilprivatisierung nach wie vor geheim sind. So geheim, daß nicht einmal Abgeordnete des Landesparlamentes umfassende Akteneinsicht erhalten, sondern nach Verschwiegenheitsverpflichtung lediglich Teile der Unterlagen im Geheimschutzraum des Parlamentes zur Ansicht bekamen. Ein Antrag der Grünen-Abgeordneten Heidi Kosche auf unbeschränkte Akteneinsicht wurde im Februar 2008 von der Finanzverwaltung abgelehnt. Kosche erhob daraufhin Klage beim Berliner Landesverfassungsgericht. Am Dienstag fand die mündliche Verhandlung statt.

Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens ist der Artikel 45 Absatz II der Berliner Landesverfassung. Dort heißt es einleitend: „Jeder Abgeordnete hat das Recht, Einsicht in Akten und sonstige amtliche Unterlagen der Verwaltung zu nehmen.“ Allerdings folgt kurz darauf eine gravierende Einschränkung : „Die Einsichtnahme darf abgelehnt werden, soweit überwiegend öffentliche Interessen einschließlich des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung oder überwiegende private Interessen an der Geheimhaltung dies zwingend erfordern“. Darauf beruft sich die Landesregierung. Da die Geheimhaltung der Verträge Bestandteil der Abmachungen mit den privaten Anteilseignern sei, könne diesen ein Bruch dieser Zusage nicht zugemutet werden, hieß es in einer Stellungnahme des Senats. Zudem würde ein derartiger Schritt einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust für die Landesregierung bedeuten und künftige Verhandlungen mit Investoren erschweren. Das gilt laut der Rechtsauffassung der Exekutive nicht nur für die eigentlichen Verträge, sondern auch für Akten, die im Vorfeld des Vertragsabschlusses angelegt wurden, wie. z.B. Gutachten und Alternativszenarien zur Privatisierung.

Die Rechtsvertreter des Senats sehen in der Formulierung des Verfassungsartikels zudem eine gewollte Unterscheidung zwischen Akten der Verwaltung und der gewählten Landesregierung. Letzterer müsse ein „exekutives Regierungsprivileg“ zugestanden werden, so Rechtsanwalt Christoph Moench. Er verwies ferner auf die Unterschiede, welche in der laufenden Rechtsprechung zwischen den Rechten einzelner Abgeordneter und quorenbasierter Gremien, wie z.B. Untersuchungsausschüssen, gemacht würden. Zudem gab Moench bei der Verhandlung zu bedenken, daß ein unbeschränktes Einsichtsrecht der Abgeordneten dazu führen könnte, daß wesentliche Vereinbarungen zwischen Landesregierungen und privaten Investoren künftig bar jeglicher Kontrolle in „geheimen Zirkeln“ getroffen und nicht mehr in offiziellen Akten vermerkt würden.

Der Anwalt der Klägerin beharrte dagegen auf dem Auskunftsrecht von Abgeordneten und dem überragenden Interesse der Öffentlichkeit an der Aufklärung der Vorgänge rund um die Teilprivatisierung. Auch gebe besagter Verfassungsartikel keinesfalls eine Beschränkung des Auskunftsrechtes auf Verwaltungsakten her, da die in diesem Fall zuständige Finanzbehörde mit dem Fachsenator an der Spitze selbst eine Verwaltung sei.

Bei der Befragung der Prozeßparteien durch die Verfassungsrichter unter dem Vorsitz von Margret Diwell war keine eindeutige Tendenz des Gremiums zu erkennen. Das Urteil soll am 14.Juli verkündet werden – vielleicht ein gutes Omen, denn dieses Datum gilt dank der Französischen Revolution als großer Tag der bürgerlichen Freiheitsrechte. Außerdem wird dann die zweite Stufe des Volksbegehrens für die Offenlegung der Privatisierungsverträge bereits in vollem Gange sein. Und das Bundeskartellamt dürfte bis dahin bereits mehr als nur einen flüchtigen Blick auf die Kalkulationen der Berliner Wasserbetriebe geworfen haben.

Ein Bericht über die Verhandlung ist bei TV Berlin enzusehen