Proteste von Eltern und Jugendlichen. Wochenlang. Weil das Land den Bezirken nicht genug Geld zur Verfügung stellt, drohen nach den Jugendclubs und den Musikschulen nun weitere Kürzungen in allen Bereichen. Da stehen auch für Kristine und Norbert schwere Entscheidungen an. Ein Doppelportrait zweier Haushaltspolitiker der Grünen-Fraktion im Bezirk

Irgendwie kommen die beiden aus einer anderen Welt. Dabei sitzen Kristine und Norbert ganz real vor mir – in der Morena-Bar am Kreuzberger Spreewaldplatz. Zwischen Nutella-Brötchen und Kaffee sprechen die beiden eine komplett unverständliche Sprache. Sie kennt Begriffe, die fast nach Grundschule klingen: ABC-Analyse, T-Teil, I-Planung.

Auch wenn es die Studentengruppe am Nachbartisch nicht vermutet – hier geht es um Dinge, die mit ihrem Leben oder dem Görlitzer Park und seinem allsommerlichen Müllproblem mehr zu tun hat, als sie sich vorstellen können. Es geht ums Geld. Oder trockener formuliert: Um Bezirkshaushalt, Globalsummen, BUW-Kosten und Kostenstellen. Und um die Fragen warum immer weniger Geld da ist und warum das-verdammt noch mal – kaum jemanden interessiert?

Aus Protest: Haushalt abgelehnt

Ende Februar 2010 hat es das Parlament im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit den Stimmen von Grünen, Linkspartei, CDU und FDP abgelehnt, einen eigenen Haushalt zu verabschieden. Und Kristine Jaath und Norbert Kliesch haben es sich damit nicht leicht gemacht. Beide sind Mitglieder der Grünen-Fraktion und beide sitzen im Haushaltsauschuss, der immer dann eine wichtige Rolle spielt, wenn Irgendwas mit Geld zu tun hat. Und das ist fast immer der Fall. Egal ob es um Jugendclubs, Musikschulen oder die Reinigung der Parkanlagen geht.

Kristine sieht mit ihrer großen und schlanken Figur jünger aus als sie mit Ende 40 ist. Sie redet schnell und pointiert, stellt die Diskussion um den Haushalt in Zusammenhang mit aktuellen Fragen von Schweizer Bank-Daten, Steuerbetrug und dem Millionär, der sich wundert, dass die städtischen Kitas so schlecht ausgestattet sind. Norbert fragt lieber. Nach Alternativen. Nach Unterschieden. Nach Einschätzungen. So war das schon einige Wochen zuvor, als die Grünen-Fraktion diskutierte, ob sie wirklich keinen Haushalt verabschieden soll.

Wahl zwischen Pest und Cholera

Die beide waren sich damals zunächst genauso uneinig, wie die ganze 22-köpfige Fraktion. „Wir hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera“, bringt es Kristine auf den Punkt. Im Kern geht es um die Frage, was schlimmer ist: Ablehnen – und damit unter vorläufiger Haushaltswirtschaft durch die Senatsfinanzverwaltung gestellt nicht mehr richtig entscheiden können. Oder nicht ablehnen – und aus purer Haushaltnotlage nicht mehr richtige entscheiden können. Der Unterschied zwischen beiden Möglichkeiten ist gering. Kaum einer versteht ihn. Es ist kompliziert, fast genauso kompliziert, wie die Zuweisungssystematik, die regelt, wie viel Geld die Bezirke vom Land bekommen. Denn Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte oder Neukölln haben keine eigenen Steuereinnahmen wie die Städte Kiel oder Erfurt, die ähnlich viele Einwohner haben. Sie sind keine Kommunen, sonder als Bezirke nur Teile der Gesamtgemeinde Berlin. „Wenn wir die Einnahmen des Bezirks steigern wollen, bleibt uns nicht viel anderes übrig als die Parkgebühren zu erhöhen oder beim Berliner Senat zu protestieren“, sagt Norbert ernüchtert.

Denn genau des hatte der Bezirk bereits einmal getan. Vor zwei Jahren hatten sich die Koalition aus Grünen und Linkspartei für ein paar Monate geweigert, einen schon damals gekürzten Haushalt zu verabschieden. Die Grünen organisierten eine Anti- Kürzungs-Kampagne mit Mails an Wowereit, Sarrazin und Co., boten aus Protest sogar das Rathaus Kreuzberg bei Ebay zum Verkauf an. Selbst die zwölf Berliner Bezirksbürgermeister verabschiedeten ein gemeinsames Papier. Die Medien berichteten und am Ende gab einen Nachschlag für die klammen Bezirkshaushalte.

Clevere Masche des Senats

Diesmal lief alles anders. Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos), der Nachfolger von Thilo Sarrazin (SPD) hatte auch in diesem Fall aus den Fehlern seines Vorgängers gelernt. „Als wegen der unzureichenden Zuweisungen des Senats der Protest aus den Bezirken kam, spendierte er mit viel Tam-Tam 90 Millionen Euro“, sagt Kristine voller Enttäuschung, dass die Masche damals aufging. Denn zuvor das Land die Finanzierungssystematik so geänderte so, dass den zwölf Bezirken 140 Millionen Euro fehlten. Am Ende stand ein Minus von 50 Millionen Euro auf Bezirksseite. Doch das fiel in der öffentlichen Diskussion nicht weiter auf. In der Hauptstadt gibt es nur wenige, die von der komplizierten Materie überhaupt etwas verstehen. Ein paar Haushälter in den Bezirken und einige Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Finanzen. Wie komplex das System der Finanzzuweisungen und der Wechselwirkungen zwischen Senat und Bezirken ist, davon haben selbst die meisten Journalisten keine Vorstellung. „Eine Diskussion in den Medien über die Finanzen der Bezirke ist leider völlige Fehlanzeige“, beschwert sich Norbert. „Dabei wäre das dringend notwendig“, sagt Kristine. Denn als Bezirkspolitiker stehen sie dauerhaft in der Kritik. Eltern beschweren sich, dass die Musikschulen den Unterricht zusammenstreichen müssen. Teenager protestierten diesen Sommer Wochenlang gegen Kürzungen bei den Jugendeinrichtungen.

Die beiden ehrenamtlichen Bezirkspolitiker müssen das dann ausbaden. Jeden zweiten und vierten Dienstag im Monat sitzen Kristine und Norbert mit den anderen beiden Grünen, Taina Gärtner und dem Vorsitzenden Werner Hirschmüller, im Haushaltsauschuss. In den nächsten Monaten stehen die Folgen der sogenannten vorläufigen Haushaltswirtschaft auf dem Programm. Gern würde sie tolle Projekte unterstützen, doch wegen der Haushaltsnotlage geht es inzwischen eher darum, wen man vor dem Kaputt-Kürzen bewahren kann. Notwendig wäre daher eine Diskussion darüber, was die Bezirke überhaupt anbieten sollen. Da sind sich beide einig. Müssen die Parks im Sommer zwei, drei oder viermal die Woche gereinigt werden? Sollen die Bezirke in Zukunft weiterhin Obdachloseneinrichtungen finanzieren, obwohl sie dafür kein Geld vom Land bekommen? Oder allgemein gefragt: Was sollen die Bezirke den Bürgerinnen und Bürgern an Leistungen anbieten?

Und woher sollen die Bezirke das Geld für die Kontrolle von Jugend- oder Nichtraucherschutz nehmen, wenn der Senat den Bezirken das als neue Aufgaben ins Gesetzbuch schreibt? „Schließlich gilt doch laut Gesetz auch in Berlin das Konnexitätsprinzip“, sagt Kristine. Die Fragezeichen scheinen mir erneut ins Gesicht geschrieben. „Wer bestellt, muss auch bezahlen“, übersetzt Norbert. Das verstehen dann auch wieder die Studenten am Kneipentisch nebenan.

Christian Honnens

Kristine Jaath… …wird in diesen Tagen 48 Jahre und arbeitet als Reiseschriftstellerin. Die gebürtige Würzburgerin zog es direkt nach ihrem Abitur nach Berlin, weil man hier schon damals trotz Mauer so frei leben konnte, wie in keiner anderen Stadt der Welt, wie sie sagt. Anfang der 1980er Jahre hat Kristine in besetzen Häusern gelebt, seit 1985 wohnt sie in dauerhaft in Kreuzberg. Weg geht sie nicht freiwillig, verlassen würde sie ihren Kiez im alten SO 36 nur, wenn auch sie „weggentrifiziert“ wird. Neben dem Ausschuss für Personal, Haushalt und Investitionen ist Kristine im Bereich für Integration und Haushalt aktiv.
Norbert Kliesch… … ist in Berlin geboren und wird in diesen Tagen 47 Jahre alt. Er hat über 20 Jahre als Tänzen und Choreograf gearbeitet. Als Geschäftsführer der „Tanzfabrik“ in Kreuzberg, Berlins ältestem Zentrum für zeitgenössischen Tanz, wurde Norbert 2004 Bürgerdeputierter im Kulturausschuss des Bezirks und unterstützte dort als sogenannter fachkundiger Bürger die Ausschussarbeit. Auch seit Beginn seiner Mitgliedschaft in der Grünen-Fraktion 2007 ist er dem Ausschuss treu geblieben. Inzwischen ist Norbert Angestellter bei der Bundesagentur für Arbeit. Weil Betroffene von Hartz-IV oft mit Behördenfehlern zu kämpfen haben, berät er sie jeden vierten Samstag im Monat zwischen 12 und 14 Uhr im Grünen Büro in der Dresdener Straße 10. Interessierte können einfach ohne Anmeldung vorbei kommen.