Internationale Schulleistungsstudien wie PISA bescheinigen Deutschland mit trauriger Regelmäßigkeit unterdurchschnittliche Schülerleistungen. Sie belegen eine eklatante Benachteiligung von Kindern aus bildungsfernen und sozial schwachen Elternhäusern sowie von Kindern mit Migrationshintergrund. Würde die Abschaffung der Hauptschule diese Probleme lösen?

Die Abschaffung der Hauptschule wäre ein Schritt in die richtige Richtung. In der Berliner Hauptschule konzentrieren sich sozial benachteiligte SchülerInnen, in den Innenstadtbezirken wird die Situation durch die Überschneidung von sozialer Benachteiligung und Migrationshintergrund noch verschärft. Aber als Antwort auf die Probleme des deutschen Bildungssystems greift die Abschaffung der Hauptschule zu kurz. In Berlin landen etwas mehr als 10% der SchülerInnen in der Hauptschule. Es ist der leistungsschwächste „Rest“ der SchülerInnen und das geringe Leistungsspektrum führt dazu, dass diese SchülerInnen voneinander nichts lernen, was sie voran bringt.

Internationale Schulleistungsstudien liefern zudem keine Belege für die in Deutschland verbreitete Annahme, Lernen in leistungshomogenen Gruppen führe automatisch zu besseren Schulleistungen. Im Gegenteil: Alle Länder, die im Sekundarschulbereich ein größeres Leistungsspektrum bei den SchülerInnen aufweisen, haben bessere Ergebnisse, und das nicht nur bei den leistungsschwächeren SchülerInnen. Die meisten der erfolgreichen Länder haben integrative Schulsysteme mit einer gemeinsamen Schulzeit bis zum Ende der 9. oder 10. Klasse. Ziel muss daher die Überwindung der Selektivität des bestehenden Schulsystems sein.

Heterogenität der Schülerschaft als Chance Während in Deutschland nach wie vor viel Energie für die Auslese durch Zensuren, Sitzen bleiben und frühzeitige Aufteilung auf unterschiedliche Schulformen eingesetzt wird, steht z.B. in den Schulsystemen der skandinavischen Länder das einzelne Kind und seine individuelle Förderung im Fokus des Interesses. Wie können wir Schule, wie können wir Unterricht so verändern, dass jedes Kind möglichst optimal gefördert wird? Eine Veränderung der Schulstruktur bietet für sich alleine genommen wenig Aussicht auf Erfolg. Wenn Haupt- und RealschülerInnen künftig in einer Schule unterrichtet werden, der spezielle Förderbedarf der SchülerInnen aber nicht abgedeckt wird, wird sich ihre Situation nicht verbessern. Wenn in einer gemeinsamen Schule von der ersten bis zur zehnten Klasse der gleiche schlechte Unterricht wie bisher stattfindet, ändert sich wenig. Nur, wenn wir die Heterogenität der Schülerschaft nicht mehr als lästiges Problem betrachten, sondern zum Ausgangspunkt jeder Pädagogik machen, haben wir eine Chance. Dazu gehört eine grundlegende Veränderung der Unterrichts und des schulischen Lebens. Ein Unterricht, der auf das unterschiedliche Lernniveau und -tempo der Kinder Rücksicht nimmt, anwendungsorientiert ist und an der Lebensrealität der SchülerInnen ausgerichtet ist. Und eine Schule, die sich zu ihrem Umfeld öffnet, Eltern und Dritte einbezieht und ein Klima wechselseitigen Respekts zwischen allen am Bildungsprozess Beteiligten pflegt.

Über die integrative Oberschule zur Gemeinschaftsschule

Veränderungen der Unterrichtskultur und der Schulstruktur müssen konsequent zusammengedacht werden. Gefragt sind alle Maßnahmen, die Schulen dazu ermuntern, Verantwortung für den Erfolg ihrer SchülerInnen zu übernehmen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind nicht bereit zu akzeptieren, dass Berlin nicht erreichen kann, was andere europäische Staaten längst geschafft haben. Die Einrichtung einiger weniger Gemeinschaftsschulen im Rahmen des Modellversuchs löst die grundsätzlichen Probleme nicht. Auch auf die drängenden Probleme der Hauptschule haben SPD und PDS-Linkspartei keine Antwort. Berlin braucht dringend flächendeckende Lösungen. Der Abbau von Selektionsmechanismen und die Abschaffung der Hauptschulen, zugunsten einer neuen integrativen Oberschule, in der die Haupt-, Real- und Gesamtschulen ohne Oberstufe zusammengefasst sind, könnte ein sinnvoller Zwischenschritt zur Gemeinschaftsschule und mehr individueller Förderung, sein.

Özcan Mutlu (MdA), bildungspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus

Zum Downloaden: Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz 24. März 2007 „Kinder und Jugendliche nicht beschämen! Bündnis 90/Die Grünen für die Gemeinschaftsschule.

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