Erstmals liegt ein Gewerbemietrecht auf dem Tisch – man muss nur zugreifen
Keinen Gemüseladen mehr um die Ecke, aber dafür vier Euro für die Tasse Kaffee bezahlen. Diese Klage von Anwohner*innen in Berlin, aber auch in vielen anderen deutschen Städten, konnte ich – als ich im Herbst 2017 mein Direktmandat für Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost antrat – schnell konkret durchbuchstabieren. Da war der Blumenladen in der Samariterstraße in Friedrichshain, die Spätis im Prenzlauer Berg und in Kreuzberg und das Modegeschäft am Kottbusser Damm. Aktuell ist es der drohende Rauswurf der Buchhandlung Kisch & Co in der Oranienstraße. Auch Ärzt*innen ächzen inzwischen unter den hohen Mietforderungen.
Bisher fehlt eine gesetzliche Grundlage
Alle diese Fälle eint, dass Gewerbetreibende, Handwerker*innen, Kulturschaffende und soziale Einrichtungen mit zum Teil horrenden Mietforderungen der Hausbesitzer*innen konfrontiert sind, die sie nicht bezahlen können. Oder ihr Vertrag wird nicht verlängert. Da es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) kein Gewerbemietrecht gibt, sind sie Kündigungen und unbegrenzten Mieterhöhungen schutzlos ausgeliefert. Dabei haben sie oft seit Eröffnung ihrer Geschäfte Tag und Nacht gearbeitet und ihr gesamtes Geld investiert, um sich und ihren Familien eine Existenz aufzubauen. Durch ungerechtfertigte Mieterhöhungsverlangen und Kündigungen werden sie ihrer Existenzgrundlage beraubt, und das auch noch auf legalem Weg.
So bestimmen immer mehr Ketten und ähnliche Geschäftsmodelle das Bild der Einkaufsstraßen in den Innenstädten. Denn nur sie können noch die teuren Mieten bezahlen. Dass diese Entwicklung zu einer Verödung der Innenstädte führt, bestreitet heute fast niemand mehr. Am Horizont tauchen als warnende Beispiele die letztlich unbewohnten Innenstädte von Paris und London auf.
Gemeinsam für eine gesetzliche Verankerung
Deshalb haben sich in meinem Wahlkreis Initiativen von Anwohner*innen, wie Bizim Kiez, gegründet, ausgelöst durch die Kündigung eines Gemüseladens in der Nachbar*innenschaft. Gewerbetreibende schlossen sich zusammen, zum Beispiel zur OraNostra in der Oranienstraße und den GloReichen in der Glogauer bzw. Reichenberger Straße.
Mit Hilfe des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages konnte ich dokumentieren, dass es in anderen Ländern sehr wohl so etwas wie ein Gewerbemietrecht gibt. Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb wird in diesen Fällen in seinem Bestand geschützt.
Auf meine Einladung hin trafen sich die Gewerbemieter-Initiativen, viele Expert*innen und Politiker*innen zu zwei Fachgesprächen im Deutschen Bundestag. Was läuft schief und was muss sich ändern, fragten wir im ersten Fachgespräch. Und entwickelten daraus einen Gesetzentwurf, der im zweiten Fachgespräch zur Diskussion gestellt wurde. Keinen Antrag, dass die Bundesregierung soll mal dies und das tun soll, sondern ein Gesetz, dass morgen in Kraft gesetzt werden kann. Anfang Oktober 2020 habe ich den Gesetzentwurf zum Gewerbemietrecht gemeinsam mit meiner Fraktion in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Der Gesetzesentwurf
Grundsätzlich werden in diesem Gesetzentwurf Kleinstädte in Mecklenburg-Vorpommern und Großstädte wie Berlin nicht über einen Kamm geschert. Den Ländern wird stattdessen auf Antrag hin erlaubt, in besonders angespannten Gewerbemietmärkten und von Verdrängung bedrohten Gebieten bestimmte Gewerbebetriebe durch ein Gewerbemietrecht zu schützen. Dies bedeutet, „jede Kommune kann, keine muss“ das Gesetz anwenden. Damit wird der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb mit einer Begrenzung von Mieterhöhungen wirksam davor geschützt, dass die Existenzgrundlage zerstört wird. Existenzsicherheit wird zudem durch einen ähnlichen Kündigungsschutz wie bei Wohnungsmieter*innen und durch einen Verlängerungsanspruch für befristete Gewerbemietverträge gestützt.
Schützen soll das Gesetz kleine Gewerbebetriebe mit wenigen Mitarbeiter*innen, von denen es gerade in den Kiezen in Berlin, Hamburg oder München viele gibt.
Dieses Gesetz würde auch dazu beitragen, dass einige langjährig erkämpfte Freiräume in Berlin erhalten bleiben könnten, wie zum Beispiel bestimmte Kneipen oder Clubs. Auch wenn für manche das Gesetz leider wohl zu spät kommt, da bereits Räumungstitel vorliegen.
Lange genug hat die Bundesregierung die Probleme ignoriert und auf meine Fragen im Parlament ausweichend geantwortet. Sie hat die Gewerbemieter*innen im Stich gelassen und ist untätig geblieben. Jetzt bietet sich für alle die Chance, etwas zu tun. Mit dem Gesetzentwurf mache ich der Koalition auf Bundesebene aus CDU und SPD ein Angebot. Sie müssen nur noch dem Gesetz zustimmen.
Das Gesetz findet ihr hier: https://bayram-gruene.de/gewerbemieterinnen-schuetzen-und-staerken-der-gesetzentwurf/
von Canan Bayram MdB (Bündnis 90/Grüne)