In einer schnell wachsenden Stadt wie Berlin braucht es Solidarität zwischen den Menschen. Nur dann haben sowohl die neu hinzugezogenen als auch die schon lange hier lebenden Menschen eine neue, gemeinsame Perspektive.
Zahllose Berlinerinnen und Berliner zeigen Solidarität ganz praktisch in ihrem ehrenamtlichen Engagement für Menschen, die auf Solidarität angewiesen sind. Zeit für mehr Solidarität, so lautet denn auch das Motto des DGB zum 1. Mai für Tausende Kolleginnen und Kollegen aus Verwaltungen und Betrieben, Gewerkschaften und ihnen nahestehende Organisationen und Initiativen auf ihrem Weg vom Hackeschen Markt zum Brandenburger Tor.
Solidarität ist keine Selbstverständlichkeit. Das zeigen nicht nur die Wahlergebnisse bei den jüngsten Landtagswahlen, sondern leider auch in vielen Mitgliedstaaten der EU. Soziale Ausgrenzung wird inzwischen wieder offen propagiert. Europa steht vor einer Wegscheide zwischen Solidarität und Ausgrenzung. Diese Frage, in welche Richtung Europa und seine Mitgliedstaaten sich wenden, ist eine politische Frage, die keineswegs nur in Brüssel oder auf nationaler Ebene entschieden wird. Sondern an vielen Orten und immer wieder neu, bei Wahlen und viel mehr noch im politischen Alltag.
Solidarität braucht einen handlungsfähigen Staat
Solidarisches, zivilgesellschaftliches Engagement ist kein Ersatz für staatliches Handeln, sondern basiert auf solidarischer Politik eines handlungsfähigen Staates. Genau das ist inzwischen vielfach nicht mehr gegeben. Auch Berlin funktioniert an vielen Stellen nicht mehr, das langjährige Regierungsmotto „Sparen bis es quietscht“, war in einem Sinne erfolgreich: Es quietscht an allen Ecken und Enden. Geschlossene Ämter, ewig lange Bearbeitungsfristen, der faktische Verzicht auf Kontrollen, beispielsweise beim Arbeitsschutz oder gegen Wohnraumzweckentfremdung, blockieren die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Dies zeigt sich unter anderem bei einem der zentralen Probleme, dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Einzelne Beispiele für eine konsequente Anwendung des Milieuschutzes wie im Wrangel-Kiez zeigen sowohl die Möglichkeiten bezirklicher Politik als auch die ressourcenbedingten Grenzen.
Die Ursache sind oftmals nicht fehlende Gesetze und Verordnungen, sondern schlicht zu wenig Menschen in den öffentlichen Institutionen. Angesichts der demografischen Struktur in den Verwaltungen – ca. 25.000 Beschäftigte gehen in der nächsten Wahlperiode in den Ruhestand – wird sich dieses Problem in den nächsten Jahren noch dramatisch verschärfen, wenn nicht endlich entschieden umgesteuert wird. Beispielsweise müssen die nach wie vor gültigen Personalabbaupläne für die Bezirke endlich durch eine gezielte, bedarfsorientierte Personalentwicklung ersetzt werden.
Zeit für Gute Arbeit statt prekärer Beschäftigung
Der DGB und die Berliner Gewerkschaften haben in den letzten Monaten verstärkt Aktionen und Veranstaltungen durchgeführt, um einerseits die immense Dimension prekärer Beschäftigung in Berlin zu verdeutlichen und andererseits gegenüber der Politik einen Politikwechsel einzufordern. Die Auseinandersetzung um die Qualität der Arbeit im Sinne der Arbeitsbedingungen ist in der Hauptstadt der prekären Beschäftigung (endlich) in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Es ist nicht länger vermittelbar, dass beispielsweise Sprach- und Integrationslehrer*innen an den Volkshochschulen einerseits eine Schlüsselfunktion zur erfolgreichen Integration von Geflüchteten zugeschrieben wird, sie aber weiterhin mit Billighonoraren abgespeist werden, als handele es sich um Feierabendkurse für Menschen, die ein paar Vokabeln für ihren nächsten Urlaub lernen möchten.
Die Sprachlehrer*innen sind nur ein Beispiel unter vielen, aber es zeigt exemplarisch die negativen Folgen prekärer Beschäftigung:
Unsicherheit im Alltag, unregelmäßiges Einkommen, geringe Wertschätzung, kaum Anerkennung vorhandener Qualifikation und Bereitschaft zur Weiterqualifizierung,
drohende Altersarmut, trotz oftmals jahrzehntelanger qualifizierter Arbeit nur Mindestrente im Alter.
Im Herbst 2015 haben die Berliner GRÜNEN einen Antrag mit dem Titel „GUTE ARBEIT FÜR BERLIN – GRÜNE GEGEN PREKÄRE BESCHÄFTIGUNG UND LOHNDUMPING IM ÖFFENTLICHEN AUFTRAG“ verabschiedet und damit ein sichtbares Signal für eine solidarische Arbeitspolitik gesetzt, von dem sich hoffentlich vieles in GRÜNER Politik wiederfindet, wenn die Partei im Herbst Regierungspartei werden sollte.
Heiko Glawe