Die mit der Gesundheitsreform beschlossenen Änderungen in der Krankenversicherung werden vor allem die Schwachen in unserer Gesellschaft treffen. Es ist Zeit für einen Wechsel zu einer gerechten, solidarisch finanzierten Bürgerversicherung.

Die Massenarbeitslosigkeit der vergangenen Jahre hat erheblich an der finanziellen Grundlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) genagt. Angesichts der Alterung der Gesellschaft und der damit verbundenen Steigerung der Gesundheitsausgaben ist eine Reform der Finanzierung der Gesundheitsversorgung dringend nötig, wenn sich Leistungskürzungen und Zusatzkosten für die Versicherten nicht weiter verstärken sollen. Die von Union und SPD auf den Weg gebrachte Reform löst die Probleme der GKV jedoch nicht, sondern verschärft sie. Statt die Ausgaben durch mehr Wettbewerb und Qualität auf Seiten der Leistungserbringer zu verringern, wird es mit dem Gesundheitsfonds einen Wettbewerb der Kassen um junge und gesunde Versicherte geben. Der Gesundheitsfonds – Kopfpauschale durch die Hintertür Künftig funktioniert die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen so: Die Bundesregierung legt einen einheitlichen Beitragssatz zur GKV fest. Die Beiträge werden weiterhin gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgebracht. Eingezogen werden sie jedoch nicht mehr von den Kassen selbst, sondern von einem neuen Gesundheitsfonds. Auch Steuermittel sollen in den Fonds fließen. 2007 und 2008 jeweils 2,5 Milliarden Euro, 2009 4 Milliarden Euro und dann jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro mehr, bis der Bundeszuschuss 14 Milliarden Euro erreicht. Wo diese Summe herkommen soll, weiß derzeit noch niemand.

Der Fonds schüttet schließlich einen fixen Betrag pro Versicherten an die Kassen aus – ergänzt um Risikozuschläge für chronisch Kranke und ältere Versicherte. Riecht nach Kopfpauschale? Ist es auch, aber eben durch die Hintertür. Dabei hatte die SPD noch im Wahlkampf gegen das Unionsmodell gewettert und sich für die Bürgerversicherung stark gemacht. Im Zweifelsfall gilt auch in der Krankenversicherung: Macht geht bei der SPD den Inhalten vor.

Zusatzbeiträge oder Kassenpleite leicht gemacht Natürlich wird es Kassen geben, die mit den ihnen zugewiesenen Mitteln nicht auskommen – zum Beispiel weil die Bundesregierung den Beitragssatz zu knapp bemisst. Diese Kassen können dann entweder an ihrer Verwaltung oder den Leistungen für die Versicherten sparen oder aber sie erheben einen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten, ohne Beteiligung der Arbeitgeber. Eine Überforderungsklausel soll soziale Härten verhindern, daher soll niemand mehr als 1 Prozent seines beitragspflichtigen Einkommens für den Sonderbeitrag aufwenden müssen, mindestens aber 8 Euro. Versicherte mit einem Einkommen von unter 800 Euro monatlich können nach Ansicht der Großen Koalition also keine Härtefälle sein.

Sozialpolitischer Unfug? Aber sicher.

Es kommt jedoch noch schlimmer. Je mehr gering verdienende Mitglieder eine Kasse hat, die den Sonderbeitrag nicht oder nicht in voller Höhe zahlen können, desto höher ist der Sonderbeitrag, den die gut verdienenden Mitglieder zahlen müssen – sofern sie sich ihm nicht durch Kassenwechsel entziehen. Ein Teufelskreis, denn je höher der Zusatzbeitrag ist, desto mehr Versicherte fallen unter die Überforderungsklausel. Sind zu wenige zahlungskräftige Mitglieder vorhanden und das Geld aus dem Fonds geht aus, droht der Kasse die Insolvenz. Was mit ihren Versicherten dann passieren soll, weiß noch niemand. Konstruktionsfehler PKV bleibt erhalten Es erweist sich immer mehr als Fehler, dass die Einheitsversicherung nach 1945 schrittweise zerschlagen und private Krankenkassen (PKV) zugelassen worden sind. Denn diese verfolgen eine Creaming-Strategie und überlassen die weniger Gesunden der GKV. Weil der Solidarausgleich die PKV außen vor lässt und strukturell unvollständig ist, benachteiligt der Wettbewerb zwischen allen Kassen die GKV-Versicherten immer mehr. Das ist der wirkliche Kern der Zwei-Klassen-Medizin. Wenigstens müssen ab 2009 alle Menschen in einer Krankenkasse versichert sein. Ein Wechsel von der GKV in die PKV wird erschwert. Freiwillig versicherte Selbstständige in der GKV zahlen zukünftig einen geringeren Mindestbeitrag. Ehemals privat Versicherte werden allerdings auf die PKV verwiesen, die zwar endlich zur Einführung eines Basistarifs verpflichtet wurden und niemanden mehr ablehnen dürfen, aber ein Wechsel in die GKV ist nicht gestattet. Angeblich soll der Basistarif nicht Kosten deckend sein, so dass die PKV Beitragserhöhungen planen.

Wahltarife oder Wetten auf die Gesundheit Weiterhin ist vorgesehen, dass die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten Wahltarife anbieten können. Das lohnt sich natürlich nur für die Gesunden, die nun jedes Jahr darauf wetten können, dass sie nicht krank werden. Es ist klar, dass das Geld für die Bonuszahlungen im Rahmen der Wahltarife an anderer Stelle fehlt – nämlich für die Behandlung der Kranken, die in dieser staatlich organisierten Gesundheitslotterie das Nachsehen haben.

Eine umfeldorientierte Vorsorge wurde nicht strukturell auf den Weg gebracht, obwohl bekannt ist, dass Armut krank macht und die Gesundung verzögert. Stattdessen wird mit finanziellen Sanktionen à la Beitragserhöhung in die Lebensweise der Menschen eingegriffen – dies fällt unter den Begriff „therapiegerechtes Verhalten“. Das Auslassen von Vorsorgeuntersuchungen wird zukünftig durch die Streichung der verminderten Zuzahlung bestraft werden. Sanktionen dieser Art würden erfordern, dass die entsprechenden Präventionsangebote kostenfrei sind und die Kasse verpflichtend darüber informiert. Doch entsprechende Regelungen sucht man im Gesetz vergeblich. Am Ende profitieren auch hier vor allem Gesunde und Gebildete, der Rest zahlt oder bleibt eben krank.

Bürgerversicherung – eine für alle Es ist klar, dass die Gesundheitsreform die Krankenversicherung nicht nachhaltig stabilisieren kann, sondern im Gegenteil massive Ungerechtigkeit schaffen wird. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben dagegen bereits vor Jahren einen Vorschlag für eine solidarische Bürgerversicherung vorgelegt. Die Bürgerversicherung verbreitert die Finanzierungsgrundlage der Krankenversicherung erheblich und sorgt auf diese Weise für stabile Beitragssätze und geringere Lohnnebenkosten. Sie bezieht alle Bürgerinnen und Bürger ein – also auch Beamte, Freiberufler, Selbstständige und Politiker – ebenso wie alle Einkommensarten – neben Lohneinkünften auch Miet-, Zins- und Kapitaleinkünfte. Die Bürgerversicherung schafft damit die finanzielle Grundlage für ein solidarisches Gesundheitssystem, das in Deutschland lebenden Menschen einen vom Lohneinkommen unabhängigen Zugang zu einer Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau sichern kann.

Walter Schmidt und Stefan Boltz Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses des Bezirksverbandes Friedrichshain-Kreuzberg