Friedrichshain-Kreuzberg braucht trotz knapper Mittel neue politische Akzente, ob beim Klimaschutz, in der SeniorInnenpolitik oder bei der Stadterneuerung "Soziale Stadt". Fünf Jahre lang können die Grünen als stärkste Fraktion ihre gestalterische Mehrheit dafür einsetzen. Auf ihrer ersten Bezirksklausur diskutierten die grünen BVVlerInnen Leitfragen.
Im BVV-Saal sitzen die Bezirksverordneten normalerweise ordentlich, in Fraktionen sortiert, nebeneinander. Stühle und Tische stehen in Reihen, sind zum Redepult und zur Bank des Bezirksamtes hin ausgerichtet. Für die zweitägige Klausur der grünen BVV-Fraktion wurde umgeräumt und alle nahmen in großer Runde Platz. Während draußen die Leute in den Cafés die Sonne genossen, ging es drinnen um grüne Prioritäten in Zeiten bedrückender Sparzwänge. Alle Gewählten der Bündnisgrünen, 20 BVV-Mitglieder, die beiden Stadträtinnen, der Bezirksbürgermeister und VertreterInnen des Geschäftsführenden Ausschusses skizzierten grüne Leitideen als Weiterentwicklung des Wahlprogrammes. Bezirkspolitik steht unter dem Diktum des Notwendigen. Eigene grüne Anfragen und Anträge müssen eingebracht, Anfragen und Anträge anderer Fraktionen ausgewertet werden. Doch grüne Bezirkspolitik beschränkt sich nicht auf die Bearbeitung von Drucksachen. Die Politikfelder sind den sich ständig verändernden Erfordernissen anzupassen.
Klimaschutz und leere Kassen
Intensiv beraten wurde zu den Themen: Soziale Stadt, Frieke als multikultureller Bezirk, SeniorInnenpolitik und Bethanien. Einen besonderen Schwerpunkt bildete das Thema „Bezirkliche Strategien zum Klimaschutz“. Schon jetzt leistet der Bezirk seinen Beitrag mit Energiesparverträgen, verkehrsverringernden Maßnahmen oder bei der regenerativen Energiegewinnung, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch das genügt noch nicht, wenn man die Prognosen der Klimaforscher betrachtet. Unter dem Stichwort „ökologisches Bezirksamt“ wurden daher alle Maßnahmen zusammen gefasst, um eine konsequente ökologische Gebäudesanierung fortzuführen. Ob Einsatz von Energiesparlampen, Energiesparmaßnahmen oder Umrüstung auf erneuerbare bzw. umweltfreundliche Energie. Nicht nur auf dem Rathausdach, sondern auch auf anderen Liegenschaften des Bezirks sollen Photovoltaikanlagen errichtet werden.
Männer ab aufs Rad
Frieke soll ein vorbildlicher „Radbezirk“ werden. Erfreulich viele Menschen nutzen bereits jetzt dieses Fortbewegungsmittel. Doch es sollen mehr werden – und dazu braucht es breite und sichere Radstreifen an allen Hauptverkehrsstraßen. Leider fungiert das Auto noch immer als das Statussymbol schlechthin, auch in der Migrantencommunity. Und besonders Männer müssen lernen, dass ihr „liebstes Kind“ schlimmster Umweltverschmutzer ist. „Männer ab aufs Rad“ soll deshalb eine der Kampagnen heißen, die Frieke zum Radbezirk umgestalten sollen. Auch die Bedeutung der Grünen Lungen für das Stadtklima werden die Bezirksgrünen noch stärker ins Bewußtsein rücken. Beispiel Flughafen Tempelhof: Dort liegt das Potential eines bedeutenden Frischluftlieferanten für die Stadt. Daher muss der Flughafen geschlossen und zur Grünen Lunge umgestaltet werden. In Zeiten knapper Mittel wird es aber auch darum gehen, was die Bevölkerung dazu beitragen kann, die bereits bestehenden Parks und Grünflächen besser zu erhalten.
„Brücken“ bauen
Das weitere Zusammenwachsen von Friedrichshain und Kreuzberg soll unter dem Vorzeichen ökologischer Erfordernisse stehen. Bei allen Planungen sind umweltfreundlichere Verkehrsmittel stärker zu fördern, ob nun in Form einer Rad- und Fußgängerbrücke über die Spree, als solarbetriebene Wassertaxis oder einer Bus- oder Straßenbahnverbindung zwischen beiden Bezirksteilen. Stadtentwicklung sollte sich immer an den Aktivitäten der BewohnerInnen orientieren und darf nicht nur auf soziale Missstände und Konflikte blicken. Dieser Leitgedanke aus dem Programm „Soziale Stadt“ trifft gerade in Frieke auf die gesellschaftliche Praxis zu wie in kaum einem anderen Berliner Bezirk. Hier wird mitgemischt und vernetzt, öffentlich diskutiert und experimentiert. Kommunalpolitik muss diese vielen Potentiale der BewohnerInnen nutzen – die grüne BVV-Fraktion will sich dafür einsetzen, diese besser sichtbar zu machen. Das gilt auch für die multikulturelle Seite des Bezirks. Keiner der hier lebt, leugnet, dass daraus auch Probleme entstehen. Grüne Bezirkspolitik wird die Stärken besser bündeln, um Problemlösungen vor Ort weiter zu entwickeln.
Kultur- und Wohnalternativen entwickeln
Bezogen auf die Zukunft des Bethanien ist die Aufgabe klar umrissen: Bis zum Spätherbst dieses Jahres muss es dem Rundem Tisch in Abstimmung mit dem Bezirksamt gelingen, ein Konzept vorzulegen. Dieses wird als Vorlage in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht. Dann kann das Bethanien als Ort der Kulturproduktion und -präsentation, der Bildung und der soziokulturellen Angebote weiterentwickelt werden und als Zentrum über den Bezirk hinaus wirken. Frieke braucht eine zeitgemäße SeniorInnenpolitik und muss daher zwei Gruppen besonders im beachten. Zum einen die Alt-68er: Sie waren es, die soziale Protestformen auf die Agenda der Nachkriegsgesellschaft brachten. Ihren Ruhestand stellen sich viele von ihnen eher als „Unruhestand“ vor. Gemeint ist ein aktives Leben mit entsprechenden Wohnformen, die kollektive Strukturen ermöglichen. Die andere Gruppe der „Neuen Alten“ sind die MigrantInnen. Bereits ein Sechstel der SeniorInnen im Bezirk gehören dieser Gruppe an. Deshalb sollen nach und nach alle Wohnhäuser interkulturelles Zusammenleben ermöglichen und auf die Bedürfnisse von MigrantInnen ausgerichtet werden. Als Innenstadtbezirk steht Friedrichshain-Kreuzberg unter einem deutlich stärker werdenden Siedlungsdruck. Welches „Klima“ hier einen Tages herrschen wird, auch verstanden im Sinne des „sozialen Klimas“, hängt wesentlich von der Bezirkspolitik ab. Dafür die richtigen Weichen zu stellen wird die Aufgabe der nächsten fünf Jahre sein.