Parteipolitik hat ihn lange nicht gereizt. Erst als der Kultursoziologe und Autor Wolfgang Lenk an einem Memorandum über Armut schrieb, änderte sich das. Heute setzt er seine langjährigen politischen Aktivitäten bei den Grünen in Frieke fort – enttäuscht von der WASG

Eigentlich hatte er sich politisch stets innerhalb der neuen sozialen Bewegungen engagiert und an Parteipolitik wenig Interesse. Der heute 55jährige Wolfgang Lenk hat in den Siebzigern in Hannover z.B. für Nulltarife in städtischen Bussen und Bahnen gestritten, sich dann an der Anti-AKW-Bewegung beteiligt oder für soziokulturelle Zentren gekämpft. „Solche Orte waren und sind äußerst wichtig für die politische Arbeit. Denn hier berührt sich die Produktion rebellischen Wissens mit künstlerischer Ausdruckskraft und Phantasietätigkeit“, sagt der promovierte Kultursoziologe und Philosoph. Politik werde steril, wenn sie sich vom lebendigen Umgang mit den eigenen Sinnen abkoppelt.

Armut erfordert nachhaltige Bildungs- und Beschäftigungspolitik

Dass erfolgreiche soziale Bewegungen immer mit selbst organisierten Bildungsprozessen und kreativem Eigensinn verknüpft sind, gilt ihm als eine der wichtigsten Erfahrungen der Jahre nach 68. Dazu gehören auch Versuche mit Bürgermedien wie Alternativradios und Offenen Kanälen, die er später an der Universität Hannover für das Land Niedersachsen wissenschaftlich begleitete. Für ihn als Hochschullehrer ist es wichtig, dass Wissenschaft nicht nur kritische Impulse an die Öffentlichkeit bringt, sie kann auch beratend wirken, um soziale und kulturelle Teilhabe praktisch zu unterstützen.

Mit ähnlich Gesinnten gründete Wolfgang Lenk daher 1994 die Loccumer Initiative kritischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (benannt nach dem Kloster Loccum, ihrem Treffpunkt), um gemeinsam gegen die geistig-politische Vorherrschaft konservativer und neo-liberaler Ideologien im öffentlichen Leben anzugehen und Alternativen zur Diskussion zu stellen.

Im Jahr 2002 schrieb er mit einigen ‚Loccumern’ das Memorandum „Armut als Bedrohung. Der soziale Zusammenhalt zerbricht“, als ihm klar wurde, dass er seine ablehnende Haltung gegenüber Parteipolitik wohl aufgeben müsse. Schließlich begann in den 1990ern die wachsende Kluft zwischen arm und reich gerade das soziale Gefüge der Bundesrepublik nachhaltig zu erschüttern. Doch anders als bei anderen politischen Herausforderungen der Nachkriegszeit war diesmal nicht so etwas wie eine Studenten-, Friedens- oder Ökobewegung zur Stelle – trotz der späteren beeindruckenden Proteste gegen Hartz IV. „Es zeigte sich bereits, dass die neue Armut mit massiver sozialer Beschämung einhergeht und mit starken Gefühlen gegen die Mächtigen – aber mit Protestbewegungen würde sie nicht abzubauen sein“, war seine Analyse. Das Knäuel aus Benachteiligungen und Ausgrenzungen, das Armut verursacht, erforderte eine Politik, bei der es auch nicht nur um mehr Geld gehen würde, sondern auch um nachhaltige Bildungs- und Beschäftigungspolitik, um Antidiskriminierung und Zukunftsperspektiven für MigrantInnen u. a. Für Wolfgang Lenk war das die Rückkehr der Bedeutung von Parteipolitik.

Linken fehlt politische (Streit-)Kultur

Kurze Zeit später zog der nebenberufliche NDR-Journalist nach Berlin, um sich neben seiner Lehrtätigkeit wieder stärker der Arbeit als Autor zu widmen. Zeitgleich formierte sich eine neue Partei – die WASG, ein Sammelbecken politisch Aktiver aus sehr verschiedenen Milieus. Und wie keine andere Partei griff sie die soziale Frage auf. Wolfgang Lenk war in Berlin mit dabei, weil sie ihm damals als neue „bürgernahe und pluralistische Reformkraft“ erschien. Für die Landespartei schrieb er den Kulturteil des Wahlprogramms und zog 2006 ins Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg ein.

Doch die intransparenten Machstrukturen hinter den Kulissen und der von oben verordnete Fusionsplan mit der PDS störten nicht nur ihn. Gerade viele der Frauen und Männer, die nicht als politische Profis in die WASG kamen, zogen sich enttäuscht wieder zurück, „und das war ganz und gar verständlich.“ Dazu haben DKP-Mitglieder und die ganze „Pest des Dogmatismus“, wie Wolfgang Lenk es nennt, dafür gesorgt, dass die WASG ihre Offenheit und ihren pluralen Charakter verlor. Der Eintritt in die Linkspartei kam für ihn auch deshalb nicht in Frage, weil die Berliner Debatte um die Fusion deutlich machte, dass es ihr an politischer (Streit-)Kultur fehlte. „Und es wurde auch klar, warum das so ist: Man will um jeden Preis mitregieren, auch wenn man die skandalöse Sparpolitik mit ihren desaströsen Folgen gerade für Berlin als der deutschen Armutsmetropole mitverantwortet. Deshalb würgt man Streifragen autoritär ab“. Ganz anders die Grünen, mit denen er schon in der Vergangenheit geliebäugelt hatte und die er aus Ausschüssen und Parlament kannte. Vor allem passten die integrativen Bildungs- und Kulturkonzepte der Grünen besser zu seinen eigenen Vorstellungen.

Zentrale bildungspolitische Weichenstellungen

Mit den verschärften sozialen und wirtschaftlichen Ausgrenzungen seien auch wachsende Ungleichheiten beim Zugang zu Bildung, zum kulturellen Leben und bei den Möglichkeiten, eigenständig kreativ tätig werden zu können verknüpft. Damit der kulturelle und der Wissensreichtum der heutigen Zeit auch die sozial und kulturell Benachteiligten erreicht, wozu insbesondere viele Menschen mit Migrationshintergrund gehören, sind für ihn drei bildungspolitische Weichenstellungen zentral: 1. Der Ausbau der stadtteilbezogenen Kultur- und Bildungsförderung, denn sie vermag am sensibelsten auf die lokalen Problemlagen zu reagieren, 2. deutlich mehr Angebote musischer und ästhetischer Bildung in den Schulen, 3. die systematische Öffnung aller öffentlich geförderten Kulturinstitutionen für education-Programme nach britischem Vorbild. Genau dies gehört zu den Ideen, die Wolfgang Lenk seit Sommer 2007 innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen und für sie in der Bezirkspolitik vertritt. Als Mitbegründer der Initiative Zukunft Bethanien kämpfte Wolfgang Lenk gegen die Privatisierung des Hauses und für die Ergänzung der bestehenden interkulturellen Angebote durch mehr Soziokultur und öffentliche Räume. Denn für ihn ist Kulturpolitik nicht allein Förderung der Kulturwirtschaft. Ihm geht es darum, das kulturelle Potenzial der Menschen zu fördern. Und daran hat sich in all den Jahren nichts geändert. Christian Honnens