Schon seit rund drei Jahren liegen die österreichischen GRÜNEN in Konflikt mit verschiedenen NGOs und zivilgesellschaftlichen Kräften. Mit dem neuen Landesvorstandsmitglied der GRÜNEN NÖ, Christian Apl, setzt man das richtige Signal und bietet ein entsprechendes personelles Angebot an die Zivilgesellschaft und LOHAS Community in Österreich. Ein offener Briefwechsel

Lieber Christian Apl,

Momentan arbeite ich für meinen Kreisverband gerade an dem Thema, wofür Du in der Presse erwähnt wirst. Ein Konzept zur Einbindung bzw. Rückeinbindung der Grünen in die Zivilgesellschaft soll entwickelt werden. Wenn ich dem Artikel Glauben schenken darf, dann erlebt Ihr in Österreich genau denselben Trend wie wir nördlich der Alpen: Obwohl immer mehr Menschen sich für grüne Themen engagieren und ökologische Grundsätze zu ihrer Lebensphilosophie machen, sind die Wahlergebnisse für unsere Parteien nicht befriedigend. Wie wirst Du von Deiner Position als Mitglied des Landesvorstandes vorgehen, um Initiativen, Verbände und lose verknüpfte Interessengruppen wie die LOHAS, die man ja eigentlich nur über die Kundenlisten entsprechender Lifestyleverkäufer erreicht, für grüne Politik und letztlich für grüne Parteipolitik zu gewinnen?

Viel hilft bestimmt, dass Du als Person starke Verbindungen zu der Zivilgesellschaft, den Initiativen, Verbänden (NGOs) hast. Aber ist es nicht so, dass die Zeit für das meist ehrenamtliche Engagement ohnehin begrenzt ist? Es gibt sicher nicht viele Menschen, die es schaffen sich neben Arbeit und Familie in der Partei und in einer NGO gleich stark einzubringen. Sollte die Partei sich also intensiv um hauptamtliche Funktionsträger in den verschiedenen NGOs bemühen und versuchen, diese für die ehrenamtliche Parteiarbeit zu gewinnen?

Die hiesige SPD und die SPÖ sicher auch haben mit dieser Taktik schon seit über 100 Jahren gute Erfahrung. Traditionell waren und sind zum Teil noch die Beziehungen zwischen den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften bzw. Sozialverbänden sehr eng. Neben den Personalunionen haben sicher auch die gegenseitige Nutzung von Ressourcen wie Immobilien, die Durchführung gemeinsamer Projekte, die gegenseitige öffentliche Unterstützung und zuletzt die Kontinuität dieses Vernetzungswillens über Generationen hinweg ihren wichtigen Anteil daran. Kehrseite der Medaille ist der Filz. Korruptionsskandale und Vetternwirtschaft waren in den Gründungsjahren der Grünen die Negativmatrize der Parteienarbeit. Davon wollte man sich abgrenzen. Viele kehrten seitdem den Sozialdemokraten den Rücken, aber nur einige wenige suchten bei den Grünen die saubere Alternative. Viele haben ihr Vertrauen in Parteien als glaubhafte Vertreter ihrer Interessen entweder nicht wieder gefunden oder nie entwickelt. Und da eigentliche inhaltliche Sympathisanten der Grünen besonders parteienkritisch sind, möchten viele Initiativen das Logo der Grünen lieber nicht in ihrer Nähe haben. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass die Machtteilhabe der Grünen zusätzlich zu einer Entfremdung zu den NGOs geführt hat. Wie erlebst Du das in Österreich?

Ich habe den Eindruck, dass gerade auf der lokalen Ebene das zivilgesellschaftliche Engagement im Vergleich zu den 70- und 80ger Jahren sich verändert hat. Dank des Internets und seiner digitalen Kommunikationsmedien findet die Vernetzung privater Personen zur Erlangung gesellschaftlicher Ziele häufiger im virtuellen Raum statt. Und trotz ihrer Unpersönlichkeit scheint sie doch Bestand zu haben. Das heißt doch, dass wir die Möglichkeiten des Internets viel stärker nutzen müssen. Welche Pläne hast Du hierbei konkret und hast Du schon unmittelbare Erfahrungen gesammelt, wie bei chronischer Geldknappheit diese technisch meist aufwändigeren Wege beschritten werden können?

Barbara Fischer

Liebe Barbara Fischer,

ich sag einmal ein großes Dankeschön für die vielen spannenden Fragen, die Du in Deinem Text aufwirfst und werde versuchen, sie aus meiner Perspektive zu beantworten. Tatsächlich beschäftigt mich das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und Partei schon lange und mit zunehmender Intensität und es wird wirklich Zeit, all die losen Gedankenfäden, Einzelbilder und Konzeptbrocken zu einem tragfähige Teppich zu verweben. Biographiebedingt kenne ich mittlerweile beide Seiten auch aus der Innenansicht und will vorerst Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten.

Die große Gemeinsamkeit zwischen Zivilgesellschaft und Partei sehe ich im Grundanliegen, beiden geht es im Grunde um „die Rettung der Welt“, um Alternativentwürfe zum Bestehenden, und beide müssen „politisch“ werden, um ihre Alternativkonstruktionen in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einfließen zu lassen und das jeweilige Thema so lange wie notwendig auch dort zu halten. Die großen Unterschiede ergeben sich aus den jeweiligen Ansatzpunkten, wobei es relativ sinnlos ist, ein Ranking unter den Wegen aufzustellen oder „Königswege“ festmachen zu wollen. Die Menschen können ohnehin nur von genau dort, wo sie stehen, zur Rettung der Welt aufbrechen. Das ist auch gut so und so sollte man es auch sein lassen. Für mich ergibt sich schon allein daraus, dass das Prinzip der Begegnung auf gleicher Augenhöhe niemals verlassen werden darf. Außerdem ist die „Rettung der Welt“ ein wahres Megaprojekt, das so viele Ansatzpunkte hat, dass es auch schon wieder egal ist, wo man beginnt. Soll heißen, jedes Engagement ist wichtig, jede Initiative ist notwendig und leistet ihren Beitrag.

Die größten Unterschiede ergeben sich allerdings aus den Rahmenbedingungen und Abhängigkeiten. Ich würd meinen, innerhalb der Zivilgesellschaft ist die freiwillige Selbstverpflichtung das beflügelnde Element schlechthin. Ich kann die Projekte, die ich angehe, recht genau auf meine Bedürfnisse abstimmen und in der Regel zeitlich eingrenzen, nämlich sowohl, was die investierte Lebenszeit pro Woche betrifft, als auch was die Dauer des Gesamtprojekts betrifft. Da ich mich dort prinzipiell freiwillig engagiere, kann mir niemand vorwerfen, wenn ich mich ebenso freiwillig einmal nicht mehr engagiere. Das bestimmende Element bleibt hier wie schon gesagt die Selbstverpflichtung.

Anders in der Parteipolitik. Dort wird man in ein öffentliches oder parteiinternes Amt gewählt und an dieses Amt werden die verschiedensten Erwartungen geknüpft, die mit der natürlich auch hier notwendigen ursprünglichen freiwilligen Selbstverpflichtung mitunter krass kontrastieren. Diese Erwartungen zu erfüllen bzw. zu rechtfertigen, warum verschiedene Erwartungen nicht erfüllt werden bzw. erfüllt werden können, rückt massiv und mitunter deprimierend zeitaufwändig in den Fokus des Engagements. Vermutlich ist das bei uns in Österreich besonders gravierend, da schwirren Bilder in den Köpfen herum, was eine Partei alles können muss (und ganz besonders die Grünen), die einem schier die Sprache verschlagen. Ich habe sogar schon des öfteren erlebt, dass sich Leute nicht bei den Grünen engagieren, weil sie sich selbst nicht für heilig genug halten…

Ein weiterer Unterschied – und das soll jetzt kein Vorwurf sein, ich will nur die Bedingheiten skizzieren – ist, dass ich mir in meinem zivilgesellschaftlichen Engagement weitgehend aussuchen kann, mit wem ich kooperiere, ich habe es auf weiteste Strecken auch meist mit Gleichgesinnten zu tun und es bleibt alles relativ unverbindlich. Anders in der Parteipolitik. Dort muss ich in irgendeiner Form auch mit Menschen auf Tuchfühlung gehen, mit deren Haltung ich mich nicht von vorne herein identifizieren kann, muss ihre Denk- und Interpretationsmuster studieren, um gelingende Kooperationen aufbauen zu können und letztlich meine Projekte durchzubringen. Während ich dort nach Regeln spielen kann, die theoretisch auch schon in einer geretteten Welt vorkommen, muss ich mich hier ein stückweit auf ein Spiel einlassen, dessen Regeln in einer geretteten Welt vermutlich sicher nicht vorkommen. Das ist natürlich hochgradig anrüchig. Und die Diskussionen, die regelmäßig aufbranden, wenn Grüne irgendwo in die Möglichkeit kommen, eine Koalition zu bilden und in Regierungsverhandlungen eintreten, speisen sich wohl hochprozentig aus diesem Moment.

Nocheinmal, ich will daraus keinesfalls eine Wertung ableiten, ob jetzt Zivilgesellschaft oder Partei das Wichtigere oder Richtigere sind. Beides ist absolut notwendig. Parteien brauchen die Zivilgesellschaft, um das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren, sich an das Prinzipielle und Langfristige zu erinnern und schließlich seelisch nicht völlig im derzeit herrschenden politischen Alltag zu verdörren. Und die Zivilgesellschaft braucht die Partei, um ihre Lösungsansätze letztlich in gesellschaftsweit verbindliches Recht zu gießen. Um es noch einmal zu unterstreichen: es braucht genau das oben skizzierte zivilgesellschaftliche Millieu der Freiwilligkeit und Selbstermächtigung, um ein Stück weit über den Alltag hinausdenken zu können und so zu Lösungen zu gelangen, die dort nicht so selbstverständlich auf der Hand liegen bzw. sich auch der Parteipolitik nicht gerade aufdrängen. Und es braucht genauso Leute, die sich verbindlich und wirkungsvoll in die derzeit gültigen Rechtssetzungsprozeduren einmischen, damit aus den vielen guten Ideen auch Faktizitäten werden.

Noch ein Unterschied: die Zivilgesellschaft agiert in relativ losen Netzwerken mit tausenden personell meist überschaubaren Initiativgruppen – die berühmten jeweils zwei oder drei, die ein Projekt am Leben halten. Das ist bei Parteien auch nicht viel anders, außer dass sie zu größeren Strukturen aggregieren, die auf der Grundlagen eines selbst gegebenen Statuts kooperieren. Die Grünen sind zumindest von ihrem Anspruch her demokratisch durchdekliniert und legitimieren sich auch daraus. Die Zivilgesellschft legitimiert sich gewissermaßen per Akklamation, spich wenn ein Projekt Anklang und genug Unterstützung findet, wird es weiter betrieben, ansonsten versickert es wieder. Das ist einerseits gut so, weil so nur Projekte betrieben werden, mit denen sich Menschen auch tatsächlich identifizieren können, andererseits kann diese Art der Legitimation auch immer wieder hinterfragt werden, und wird das auch, wenn es den „Feinden“ gerade ins Konzept passt, weil sie meist nicht nachvollziehbar und schlüssig dokumentiert ist.

Meines Erachtens schreit jedenfalls alles nach der großen Versöhnung. Es würde für beide Seiten enorm viel bringen, wenn man sich um mehr gegenseitiges Verständnis bemühen würde. Auch wenn sich die beiden Welten wesentlich unterscheiden und entsprechend verschiedene Handlungsmuster und Sprachen entwickelt haben, wir wollen im Grunde alle das Gleiche. Ganzheitlichkeit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder welche Wortsymbole die Menschen hier immer einsetzen wollen. Mit dem Bewusstsein im Hinterkopf, dass an allen Ecken und Enden Menschen an einer besseren Welt arbeiten, geht es meines Erachtens nur mehr darum dieses Diskursraumpotential tatsächlich über alle zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen, wo ich jetzt einmal die Grüne Partei der Einfachheit halber dazuzähle, aufzuspannen und es so sichtbar werden zu lassen. Nämlich vor allem sichtbar für jene, die noch in der (gesellschafts-)politischen Bewusstlosigkeit verhaftet sind. Sie müssen wachgeküsst werden und sie müssen Andockmöglichkeiten vorfinden. Und sie müssen auch die Möglichkeit haben, innerhalb dieses Diskursraumes an die Stelle zu driften, wo sie sich zu Hause fühlen, und ihr volles Engagement entfalten können, sei es jetzt in einer zivilgesellschaftlichen Inititiave oder in der Parteistruktur.

Liebe Barbara, ich hoffe mit diesem ersten Reflex einen Gutteil Deiner Fragen zumindest anfanghaft beantwortet zu haben. Bitte stoß ruhig nach, wenn ich irgendwo nicht ausreichend eingegangen bin. Über dieses Thema ließe sich ein mehrhundertseitiges Büchel schreiben :)

Wenn Du gestattest, werde ich unseren Dialog auch in unseren Medien hier unterbringen und ich wär auch sehr dafür, dass wir das auch in den Glocalist bringen.

Liebe Grüße aus Perchtoldsdorf

Christian Apl