Weil das Land den Bezirken jedes Jahr weniger Geld zur Verfügung stellt, werden aktuell Veränderungen in allen Bereichen diskutiert. Auch bei den Kinder- und Jugendeinrichtungen. Bezirksstadträtin Monika Herrmann über berechtigte und unberechtigte Kritik
Es ist viel Bewegung in Friedrichshain-Kreuzberg. MitarbeiterInnen, Eltern und Kinder protestieren gegen den Haushaltsplanentwurf der Jugendstadträtin – jeder Jugendhilfeausschuss und jede Sitzung des Bezirksparlaments werden lautstark begleitet. Was ist passiert?
Wie seit Jahren werden die Bezirke durch die Senatsfinanzverwaltung nicht ausreichend mit den erforderlichen Euros ausgestattet, um den neuen Haushalt aufzustellen. Dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fehlen über zehn Millionen Euro, um die erforderlichen Aufgaben finanzieren zu können. Um nicht vollständig in der Schuldenfalle zu landen, hat das Bezirksamt einige harte und damit unpopuläre Einschnitte beschließen müssen. Alleine für das Jugendamt heißt dies, dass 2010/2011 pro Jahr rund zwei Millionen Euro weniger auszugeben sind. Trotzdem ist noch immer nicht klar, wo über sechs Millionen weitere Euro gekürzt werden sollen und ob das überhaupt möglich ist. Damit begibt sich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erstmalig auf den Weg, dem Abgeordnetenhaus von Berlin keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können.
Motto: Übertragen statt Kürzen
Wir haben uns im Jugendamt jeden Aufgabenbereich genau angeschaut und auf den Prüfstand gestellt und wir haben auch jede Personalstelle dahingehend analysiert, was es bedeutet, wenn wir sie streichen würden. Mehrheitlich einig waren wir uns im Bezirksamt, dass wir die bestehende Infrastruktur – die Angebote der sogenannten Daseinsfürsorge – nicht „kürzen“, sprich reduzieren werden. Dies betrifft unter anderem die Angebotsfelder: Obdachlosenhilfe, Kältehilfe, Schuldnerberatung, Bibliotheken, kulturelle Einrichtungen, Bürgerämter, Bürgerbeteiligung, Familienzentren und eben die Kinder- und Jugendarbeit.
Was also tun? Der einzige gangbare Weg, Ausgaben zu reduzieren und Infrastruktur aufrechtzuerhalten bedeutete für das Jugendamt die Übertragung der noch 9 verbliebenen kommunalen Kinder- und Jugendeinrichtungen in Freie Trägerschaft, da die MitarbeiterInnen des kommunalen Trägers auf Grund sehr hoher interner Verwaltungskosten vielfach teurer sind als ihre KollegInnen bei den freien Trägern.
Wie kann der Bezirk das verantworten?
Ich kann diesen Schritt aus verschiedenen Gründen verantworten. Erstens bedeutet die Übertragung der Einrichtungen, dass wir sie NICHT streichen müssen, da eine Übertragung möglich ist. Dies ist bei den anderen Aufgaben des Jugendamtes nicht mehr möglich, weil entweder die Aufgaben bereits übertragen worden sind oder aber nicht übertragen werden dürfen – diese Aufgaben würden also tatsächlich unwiederbringlich wegfallen! Auch wenn es für die betroffenen MitarbeiterInnen eine nicht freiwillige Veränderung bedeutet und daher nur schwer zu akzeptieren ist, kann ich es zweitens verantworten, weil kein/e MitarbeiterIn durch diese Maßnahme arbeitslos werden wird, sondern als MitarbeiterInnen des Landes Berlins anderswo einen Arbeitsplatz bekommen wird.
Werden MitarbeiterInnen entlassen?
Es gibt sogar die Möglichkeit, dass einige kommunale MitarbeiterInnen in ihren jetzigen Einrichtungen bleiben, obwohl die Trägerschaft gewechselt hat, da es die Möglichkeit eines sogenannten Gestellungsvertrages gibt. Dies heißt, die MitarbeiterInnen sind weiterhin Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, werden dort freigestellt und können dann beim Träger der Einrichtung weiterarbeiten.
Ich kann es drittens verantworten, weil wir so als Jugendamt bestimmte Qualitätskriterien eher durchsetzen können, als wenn wir selber die Trägerschaft haben. Dies liest sich seltsam, ist aber anhand des Kriteriums „Personal“ leicht erklärt. Der öffentliche Dienst darf in den Bezirken kein Personal vom „freien Arbeitsmarkt“ einstellen. Wir sind verpflichtet, unsere freien Stellen mit ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen aus dem Stellenpool zu besetzen. Dort gibt es aber kaum noch MitarbeiterInnen dieser Berufsgruppen. Dies bedeutet, dass unsere eigenen Kinder- und Jugendeinrichtungen seit Jahren mehr und mehr personell ausbluten. Wir können keinen Nachwuchs einstellen, wir können keine mehrsprachigen und interkulturellen Teams zusammenstellen, wir können keine freiwerdenden Stellen besetzen – uns sind komplett die Hände gebunden. Diesem System unterliegen die Freien Träger nicht und haben somit viel mehr Handlungsfreiräume.
Die meisten Einrichtungen sind schon übertragen
Zum einen hört es sich sehr gewaltig an, wenn es heißt, Friedrichshain-Kreuzberg überträgt seine Kinder- und Jugendeinrichtungen in Gänze. Tatsächlich sind der überwiegende Teil der insgesamt 27 Einrichtungen bereits 2003 übertragen worden. Wir haben noch 9 kommunale Einrichtungen, die meisten im Ortsteil Friedrichshain. Fünf Einrichtungen werden von öffentlichen und freien Trägern gemeinsam betrieben und 13 Einrichtungen befinden sich bereits komplett in freier Trägerschaft. Dies ist bisher für die NutzerInnen nicht wirklich wichtig gewesen, weil es für sie interessant ist, ob das Angebot stimmt und nicht, wer der Träger des Hauses ist.
Natürlich ist es auch wichtig, welche Bezugspersonen in einem Haus sind und hier wird es in dem einen oder anderen Haus eine Veränderung geben, die erstmal einen Bruch darstellt. Wir haben jedoch genug Erfahrung damit und wissen daher, dass auch ein neues Team wieder eine gute Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen aufbauen wird.
Eine andere Kritik: Freie Träger ließen sich einfacher „abwickeln“ als Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft – heißt es und die Übertragung wäre nur der erste Schritt zur Schließung. Ob öffentlicher oder freier Träger – eine größere Sicherheit gibt es nicht. Ziel ist jedoch, dass entsprechend des Koalitionsvertrages der derzeitigen Landesregierung nach der Übertragung mit den Freien Trägern Leistungsverträge mit einer Laufzeit von drei Jahren abgeschlossen werden.
Lässt die Qualität nach?
Ein weiteres Argument der KritikerInnen ist, dass eine Einrichtung in öffentlicher Trägerschaft besser zu kontrollieren sei, ob die Qualitätsstandards erfüllt werden. Hier gilt, dass das Jugendamt zwar nicht selber Einrichtungen betreiben muss, jedoch es zu seinen Kernaufgaben gehört, zu überprüfen, ob die vereinbarten Aufgaben und Ziele in der vereinbarten Qualität auch umgesetzt werden. Würde die These stimmen, würden gut 2/3 der Kinder- und Jugendeinrichtungen im Bezirk außerhalb jeglicher Standards einfach machen, was sie wollen. Und dass dies so ganz gewiss nicht ist, davon zeugt die gute Arbeit in den bereits übertragenden Einrichtungen.
Weniger Geld für MitarbeiterInnen?
Der Leistungsvertrag erlaubt es dem Jugendamt auch, dass der Träger verpflichtet wird, qualifiziertes Personal in einer bestimmten Größenordnung mit der entsprechenden Bezahlung einzustellen und zu beschäftigen – dass Freie Träger ihren MitarbeiterInnen grundsätzlich 20 Prozent weniger Gehalt zahlen als der Öffentliche Träger, ist lediglich eine Behauptung – auch Freie Träger zahlen tarifanalog.
Viele Eltern haben die Sorge formuliert, dass bewährte Angebote wegfielen oder bezahlt werden müssten. Warum sollte ein Träger bewährte Angebote wegfallen lassen? Ein Freier Träger hat das gleiche Ziel, im Sinne für die Kinder und Jugendlichen zu arbeiten, wie der Öffentliche Träger – Hausaufgabenhilfen, Sportangebote, Kulturelle Angebote – all dies wird Bestand haben. Und all dies wird auch nicht plötzlich etwas kosten – würde diese These stimmen, könnten die Kinder und Jugendlichen nur noch in neun bezirklichen Einrichtungen gewünschte Angebote umsonst nutzen – wir wissen, dass es nicht so ist.
Verschwindet die Vielfalt?
Ein häufiges Thema ist auch immer wieder die Trägervielfalt, die nur dadurch Ausdruck fände, wenn es auch kommunale Einrichtungen gibt. In unserem Bezirk sind in der Jugendhilfe und sozialen Arbeit mehr als 100 verschiedene Freie Träger tätig – die Vielfalt ist also gegeben und der Staat braucht nicht wirklich eine eigene Einrichtung, um zu wissen, welcher Bedarf an Kinder- und Jugendförderung im Bezirk besteht. Sowohl das Jugendamt als auch die Träger sind gut in alle Regionen des Bezirks vernetzt und arbeiten seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammen.
Neue Aufgaben für Jugendamt im Bezirk
Die Aufgaben des Jugendamtes sind nur noch Planung, Steuerung und Gewährleistung – dies wurde in der letzten Legislaturperiode als Leitbild für die bezirklichen Jugendämter von der Regierungskoalition auf Landesebene erarbeitet und verabschiedet. Der Haushaltsplanentwurf des Jugendamtes spiegelt somit die in dieser Stadt geltenden fachpolitischen Rahmenbedingungen wieder. Wir haben es erreicht, dass keine Einrichtung geschlossen werden musste, die Kinder- und Jugendeinrichtungen – als wichtiger Bestandteil der frühen Bildung und als wichtiger Bestandteil des außerschulischen Bildungssystems werden auch in den nächsten Jahren ihre gewohnt qualitativ gute Arbeit fortführen können.
Protest ist richtig und wichtig
Trotzdem sind die Proteste und Widerstände richtig! Auch die Fraktionen im Bezirksparlament wollen diese Haushaltssystematik des Abgeordnetenhauses und des Senats nicht länger mittragen. Das Land Berlin muss umdenken! Wir Bezirke sind keine Bettler, wir leben nicht im Roten Rathaus, sondern hier, in Friedrichshain-Kreuzberg! Hier muss das beste Personal ausreichend in den Verwaltungen eingesetzt werden, hier muss mit Priorität das Geld für die Daseinsfürsorge hinfließen.
Und erst dann kann der Regierende Bürgermeister darüber nachdenken, ob er sich eine Kunsthalle und eine neue Landesbibliothek für gut 500 Millionen Euro bauen lassen will. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – wenn es Unten nicht mehr funktioniert, macht Oben etwas falsch. Das Ausbluten der Bezirke muss endlich ein Ende haben! Monika Herrmann, Bezirksstadträtin für Jugend und Schule
Kasten: Was sind freie Träger? Jugendeinrichtungen in freier Trägerschaft werden von gemeinnützigen Vereinen, gemeinnützigen Gesellschaften oder Wohlfahrtsverbänden geführt. Weil freie Träger weder kommerziell noch gewinnorientiert arbeiten, trifft der Begriff Privatisierung bei einer Übertragung nicht zu. |