DS/1045/IV Mündliche Anfrage
Stellvertretender Bezirksbürgermeister das Bezirksamt beantwortet die Fragen – zusammenfassend – wie folgt:
1. Treffen die Berichte in der taz von 20.01.2014 zu, wonach Flüchtlinge nach einer Fahrscheinkontrolle am Herrmannplatz am 17.01. auf der Polizeiwache am Tempelhofer
Damm durch Polizisten in übelster Weise rassistisch beschimpft und gedemütigt worden
sind?
2. Sind Flüchtlinge auch von Kontrolleuren der BVG diskriminiert worden?
3. Sind Anzeigen von den Flüchtlingen gestellt worden?
Nachfragen:
1. Haben sich Polizei und BVG zu den Vorfällen geäußert und wenn ja, in welcher Weise?
2. Beabsichtigen Polizei und BVG – sollten die Vorwürfe belegbar ganz oder auch nur
zum Teil zutreffen – gegen die betreffenden Polizisten und Kontrolleure Sanktionen
einzuleiten und wenn ja, welche sind dies?
Bei dem in den Medien wiedergegebenen Vorfall auf dem Gelände der U7 sowie in der Folge in einer Dienststelle der Berliner Polizei war kein Mitglied oder Mitarbeiter des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg anwesend. Insoweit kann sich das Bezirksamt bei der Beantwortung dieser Anfrage ausschließlich auf die Schilderungen Dritter stützen.
Für die Beantwortung der Anfrage wurde hinsichtlich des Tätigwerdens von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) der Vorstand der BVG, hinsichtlich des Tätigwerdens von Beamtinnen oder Beamten des Polizeipräsidenten in Berlin die Senatsverwaltung für Inneres und Sport um Stellungnahme gebeten. Das Bezirksamt hatte bislang keine Gelegenheit, mit einem der bei dem Vorfall anwesenden Geflüchteten persönlich zu sprechen. Hier stützt sich das Bezirksamt bei seiner Antwort auf eine am 19.01.2014 veröffentlichte Presseinformation.
[http://asylstrikeberlin.wordpress.com/2014/01/19/3925/#more-3925]
Eine abschließende Bewertung der vorliegenden Informationen kann das Bezirksamt in Ermangelung eigener Erkenntnisse nicht vornehmen. Grundsätzlich lehnt das Bezirksamt – wie wiederholt und bei verschiedenen Gelegenheiten dargelegt – Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung zwischen Menschen ab.
Die Beantwortung dieser Anfrage kann sich vor dem Hintergrund der vorangestellten Worte ausnahmsweise nicht an den Einzelfragen orientieren. Das Bezirksamt kann nur die ihm zugänglichen Informationen zum Vorfall darstellen. Aus Sicht der Geflüchteten hat sich Folgendes zugetragen:
„Am 17. Januar 2014 geriet eine Gruppe der Refugees vom Oranienplatz in der U7 an der Haltestelle Hermannplatz in eine Fahrscheinkontrolle. Einer der Geflüchteten hatte nur ein 10-Uhr Monatsticket, die Kontrolle fand aber um kurz vor 10 Uhr statt. Daraufhin wurde die gesamte Gruppe – nicht nur der Mann mit dem 10-Uhr-Ticket aufgefordert, auszusteigen. Entgegen der unzutreffenden Darstellung in den Medien (Ausnahme: die Polizeipressestelle) besaßen alle anderen Mitglieder der Gruppe gültige Fahrausweise. Einzig erkennbarer Grund für die unbegründete Aufforderung der Kontrolleure an die gesamte Gruppe war offenbar die Hautfarbe der Geflüchteten.
Weil die Gruppe nicht aussteigen wollte, versuchten die BVG-MitarbeiterInnen sie mit Gewalt aus der U-Bahn zu entfernen und riefen die Polizei hinzu. Auf die Erklärungsversuche der Geflüchteten, dass sie keine Zeit verlieren dürften, weil sie einen Termin mit der Integrationssenatorin Dilek Kolat hätten, gingen die Kontrolleure nicht ein.
ZeugInnen bestätigen, dass die herbeigerufenen PolizeibeamtInnen und Sicherheits-bedienstete der BVG ohne jeglichen Versuch der Deeskalation oder Klärung der Situation die gesamte Gruppe mit Gewalt aus dem U-Bahn-Zug holte, schrien, schubsten und mit Schlagstöcken schlugen.
Auf wiederholte Nachfrage, wer der Einsatzleiter wäre, weigerten sich alle befragten PolizistInnen, den Namen zu nennen. Als AugenzeugInnen das brutale Vorgehen der Polizei filmten, drohten die BeamtInnen mit Beschlagnahmung des Handys.
Auf dem Bahnsteig wurden dann zwei der Refugees von einer Gruppe von Polizisten brutal zu Boden geworfen und festgenommen, über diesen Vorfall kursiert ein Video im Internet. Ein weiteres Video, das zeigt, wie brutal Polizei und BVG-Sicherheitsdienst die Geflüchteten aus der Bahn stoßen und zerren, hat lediglich die rbb-Abendschau aufgegriffen, BVG Kontrolle, rbb.
In allen anderen Medien, von Tagesspiegel bis BZ wird der Vorwurf des Fahrens ohne gültigen Fahrschein für die gesamte Gruppe einfach in die Welt gesetzt, ohne den Sachverhalt zu prüfen. Nicht zum ersten Mal werden so die Refugees vom Oranienplatz in den Medien verunglimpft. Entgegen Meldungen von der Polizei und Teilen der Medien wurde eine Frau vom Oranienplatz nicht sofort wieder aus dem Gewahrsam entlassen, sondern erst nach 18.00 Uhr. Sie musste sich anschließend wegen diverser Verletzungen im Krankenhaus behandeln lassen. Eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt sowie rassistische Beleidigung und weitere Delikte im Polizeigewahrsam wird derzeit geprüft und erarbeitet.
Wir fordern eine rasche Aufklärung des Geschehens seitens der BVG und das Ende der Kriminalisierung der Geflüchteten vom Oranienplatz in den Medien.“
Der Vorstand der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) hat wie folgt zur der Anfrage Stellung genommen:
„Am vergangenen Freitag, dem 17. Januar 2014, führten drei Mitarbeiter im Kontrolldienst in eindeutig erkennbarer Dienstkleidung eine Fahrscheinkontrolle in der U-Bahn durch. Die drei Kontrolleure waren auf dem U-Bahnhof Schönleinstraße um 09:44 Uhr in den Zug der U-Bahnlinie U8, Wagennummer 5015, in Richtung Boddinstraße gestiegen.
Bei einer solchen Kontrolle werden alle Fahrgäste zum Vorzeigen ihrer Fahrausweise aufgefordert. Nach der Aufforderung „Bitte die Fahrausweise zur Kontrolle“ entfernte sich ein bereits zuvor im Wagen befindlicher, angesprochener männlicher Fahrgast unter lautstarkem Protest von den Kontrolleuren weg, um sich so der Kontrolle zu entziehen.
Bei der dann kurz vor seinem Aussteigen durchgeführten Kontrolle stellte sich dann heraus, dass dieser Fahrgast zu diesem Zeitpunkt im Besitz eines ungültigen Fahrausweises war. Er wurde gebeten, den Zug zu verlassen und einen gültigen Fahrausweis zu erwerben. Zu Gunsten des kontrollierten Fahrgastes gingen die BVG-Mitarbeiter davon aus, dass es sich lediglich um einen Fehler beim Erwerb und nicht um den Versuch des Schwarzfahrens (mit der Folge eines erhöhten Beförderungsentgeltes) handelt.
Nach dem Ausstieg war der Fahrgast zunächst ruhig und zeigte noch eine, allerdings nicht entwertete, Gruppenkarte vor. Zwischenzeitlich kamen weitere, offensichtlich zu dem Fahrgast gehörende ca. 6 Personen dazu. Diese bedrängten sofort die Kontrolleure und verhinderten – begleitet von wüsten Beschimpfungen – durch körperlichen Einsatz (Schupsen und Stoßen) die weitere Erfassung des Vorganges. Das weitere Geschehen verlagerte sich dabei auf den Bahnsteig der U7.
Die massiv erst verbal dann körperlich bedrängten Fahrausweisprüfer riefen daraufhin zur Durchsetzung des Hausrechtes die Polizei zur Unterstützung. Die gerufene Polizeistreife zog ihrerseits Verstärkung hinzu. Es gab von Seiten der BVG-Mitarbeiter weder verbal noch körperlich Angriffe gegen die Fahrgastgruppe. Allerdings ist festzustellen, dass im Ergebnis dieser Begegnung ein BVG-Kontrolleur, mit übrigens türkischem Migrationshintergrund, schwer verletzt wurde. Er erlitt eine tiefe und behandlungsbedürftige Bisswunde. Auch wurde die Brille des Kollegen zerstört.
Nachweisbar war die Gruppe um den kontrollierten Fahrgast äußerst aggressiv. Als sich dann noch einer der Beteiligten auf die Schienen legte, musste zu seiner Sicherheit auch noch der Strom abgeschaltet werden und der U-Bahnbetrieb war in diesem Abschnitt für über 20 Minuten unterbrochen. Hunderte von Fahrgästen kamen daraufhin zu spät. Dieser Sachverhalt stellt einen schweren Eingriff in den Bahnbetrieb dar und war mit akuter Lebensgefahr verbunden.
Die beteiligten Fahrausweisprüfer haben gemäß ihren dienstlichen Vorgaben gehandelt, es liegt keinerlei Fehlverhalten vor. Videoaufnahmen sowohl aus dem U-Bahnzug als auch von den Bahnsteigen wurden inzwischen an die ermittelnden Behörden übergeben“
Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat das Bezirksamt aufgrund der Bitte um Stellungnahme darauf hingewiesen, dass es „grundsätzlich nicht Angelegenheit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport [ist], Kleine oder Große Anfragen von Bezirksverordnetenversammlungen zu Themen der Inneren Sicherheit zu beantworten.“
Die Innenverwaltung hat darüber hinaus darauf verwiesen, dass das Parlamentarische Kontrollgremium für die Berliner Polizei der Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin ist und die die den Polizeieinsatz am 17.01.2014 betreffenden Fragen im Ausschuss am 27.01.2014 auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Der TOP wurde in der Sitzung allerdings nicht mehr aufgerufen. Die Senatsverwaltung hat in Ihrer Antwort betont, dass „die weitere Befassung mit der Angelegenheit […] auch künftig diesem Kontrollgremium.“ obliege.
Das Bezirksamt hat nach dieser Information nach einer öffentlich zugänglichen Positionierung der Polizei zum Sachverhalt gesucht. Eine Pressemeldung des Polizeipräsidenten in Berlin vom 17.01.2014 (http://www.berlin.de/polizei/presse-fahndung/archiv/393596/index.html) stellt den Sachverhalt wie folgt dar:
„Aus einer Gruppe von mindestens sechs Personen heraus wurden Mitarbeiter der BVG und Polizeibeamte heute Vormittag auf einem U-Bahnhof in Neukölln attackiert und verletzt. Am U-Bahnhof Hermannplatz wollten Fahrscheinkontrolleure gegen 10 Uhr die Fahrausweise der Personen überprüfen. Hierbei wurden die Mitarbeiter von einem Teil der Gruppe zunächst verbal attackiert und kurz darauf geschlagen, getreten sowie gebissen. Im weiteren Verlauf soll sich – laut Aussage von Zeugen – das Geschehen in die U-Bahn der Linie U 7 verlagert haben, woraufhin die Zugfahrerin aufgrund des weiterhin sehr aggressiven Verhaltens der Personen die Polizei alarmierte.
Zwischenzeitlich löste sich ein Mann von der Gruppe und legte sich vor den wartenden Zug auf die Bahngleise, woraufhin der Strom abgeschaltet und der U-Bahnverkehr unterbrochen werden musste. Bedienstete der BVG mussten den 41-Jährigen aus dem Gleisbett herausholen. Hierbei biss er einem BVG-Mitarbeiter in die Hand und trat und schlug nach dem Sicherheitspersonal.
Nachdem die alarmierten Beamten den Bahnsteig des U-Bahnhofes erreicht hatten und die Personen überprüfen wollten, wurden sie ebenfalls attackiert. Aufgrund der wachsenden Zahl von Schaulustigen und der aggressiven Stimmung der Personen
forderten die Beamten weitere Polizisten zur Unterstützung an. Eine 25-jährige Frau war ebenfalls sehr aggressiv und wehrte sich bei der Überprüfung. Hierbei schlug und biss sie einen Polizisten und verletzte ihn leicht. Insgesamt zwei Beamte und ein Mitarbeiter der BVG wurden von den Festgenommenen verletzt.
Während der Rest der Gruppe sich unerkannt entfernen konnte, kamen der 41-Jährige und seine 25-jährige Begleiterin zur erkennungsdienstlichen Behandlung in ein Polizeigewahrsam. Nach Beendigung der polizeilichen Maßnahmen kamen beide wieder auf freien Fuß. Gegen sie wird nun unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ermittelt.“
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Beckers
Stellvertretender Bezirksbürgermeister
Friedrichshain-Kreuzberg, den 31.01.2014
Bündnis 90/Die Grünen
Fragesteller: Dr. Wolfgang Lenk