Die Zukunft der Schule in Kreuzberg? Zwei Modelle

„Ein großer Teil der Schulen hier (in Kreuzberg) sind in einem Zustand, in dem ein Unterricht für beide Teile, sowohl für die Kinder nicht Deutscher Herkunft als auch die Deutscher Herkunft nicht mehr (…) einträglich ist“. So die Situationsbeschreibung von Angelika Klein-Beber Mitglied der Elterninitiative Evangelische Schule Kreuzberg. Ob diese Einschätzung überhaupt und wenn ja auf wie viele und welche Schulen in Kreuzberg zutrifft wäre zu überprüfen, unstrittig ist aber wohl, das es Eltern gibt, die dieses (Vor-)Urteil teilen. Die Konsequenz ist oft der Wegzug in vermeintlich besser ausgestatte Bezirke, wenn die Kinder das schulpflichtige Alter erreicht haben.

Die Folge: Wegzug in andere Bezirke

Dieser Drainage engagierter Eltern trachten die Mitglieder des Fördervereins der evangelischen Schule Kreuzberg mit ihrem Projekt, das in den nächsten Jahren realisiert werden soll, entgegenzuwirken. Die Frage ist nur, wie sollen die Probleme angepackt, was soll anders, besser gemacht werden? Der Verdacht liegt nahe, dass durch die konfessionelle Ausrichtung (Religionsunterricht ist Pflicht) und das Schulgeld eine bestimmte Klientel, eben vor allem Kinder mit Migrationshintergrund aussortiert werden sollen, um damit vermeintlich die Qualität zu heben. „Keinesfalls!“, hält Klein-Beber dagegen, „Es geht nicht um Ausschlussverfahren oder Elitenbildung. Im Gegenteil! Wir wollen zwar eine Privatschule, sind aber sozial orientiert. Das Schulgeld richtet sich nach dem Einkommen der Eltern und wir sind für alle Konfessionen und Nationalitäten offen“.

Die Hoffnung: Qualität nach Skandinavischem Vorbild

Die Qualitätssteigerung soll laut Schulkonzept aus dem pädagogischen Ansatz und der organisatorischen Struktur erwachsen: Ganztags- und Gemeinschaftsschule nach skandinavischem Vorbild, also gemeinsamer Unterricht bis zur zehnten Klasse, soll helfen, den finnischen Pisaerfolgen nach zu eifern. Kleine Klassen, vorbereitende Betreuung schon in der Kita, frühe Förderung von Sprachkompetenz und Elemente aus verschiedenen reformpädagogischen Ansätzen sollen ein Übriges bewirken.

Öffentlich aber erfolgreich: Die Deutsch-Türkische Europaschule

Das auch öffentliche Schulen erfolgreich alternative Wege beschreiten können zeigt die seit zehn Jahren bestehende Deutsch-Türkische Europaschule in der Urbanstrasse. Zum Beleg verweist Schulleiterin Christel Kottman-Mentz auf die Quote bei den Empfehlungen. Immerhin hätten nach Abschluss der sechsten Klasse drei Viertel der Schüler die Voraussetzung, ein Gymnasium oder eine Realschule zu besuchen. Auch die Ergebnisse in den Vergleichsarbeiten, die in der zweiten und in der vierten Klasse geschrieben werden, seien, so Kottman-Mentz, nicht nur im Kreuzberger, sondern auch im Berliner Vergleich überdurchschnittlich. Die Gründe für den Erfolg sind schnell ausgemacht: Kleine Klassen ergeben sich schon aus der bilingualen Ausrichtung der Schule. Schülerzahlen von 24 bis 26 pro Klasse sind schon gut, liegen aber noch im Durchschnitt. Zum Schreiben und Lesen lernen werden die Klassen dann noch einmal geteilt, so dass die Lehrer mit Gruppen von nicht mehr als 13 Schülern arbeiten. Ebenfalls Folge der Zweisprachigkeit ist die hohe Stundenzahl, 35 kommen da pro Woche zusammen.

Weniger Aggression

Ganz wichtig auch, so Kottman-Mentz, das hohe Engagement, von allen Beteiligten. Ohne den Idealismus vieler Kollegen und den Einsatz der Eltern sähen die Ergebnisse der Schüler anders aus. „Allerdings“, so räumt die Direktorin ein „sind die Eltern in der Mehrheit überdurchschnittlich bildungsnah, was zu einem Gutteil die Leistungen der Schüler erklärt“, die sich also nicht allein auf die Organisation und den pädagogischen Ansatz zurückführen lassen. Der größte Erfolg hat jedoch ganz klar mit dem Grundkonzept zu tun. „Eindeutig weniger Aggression“, diagnostiziert die Direktorin. „Dadurch, dass sich die Kinder in ihrer Herkunft und ihrer Sprache angenommen fühlen, haben sie mehr Selbstbewusstsein und können Konflikte souveräner lösen.“ Warum aber hat die Aziz-Nesin-Grundschule bei all den Erfolgen, im Verhältnis zu anderen Europaschulen, so wenig Zulauf? „Das liegt Eindeutig am Prestige des Türkischen, das immer noch als „Gastarbeitersprache“ ein schlechtes Ansehen hat“, erklärt die Direktorin. „Selbst einige Eltern türkischer Herkunft schicken ihre Kinder lieber auf eine Deutsch-Englische oder Deutsch-Französische Europaschule“.

Europäisch oder konfessionell?

Ob eine zu gründende Evangelische Schule wirklich attraktiv für alle Kreuzberger ist, müsste sich erst erweisen. Gerade säkular orientierte deutsche Eltern hätten nach genauerer Information von einem Engagement abgesehen, berichtet Klein-Beber. In der existierenden Europaschule dagegen wird statt Religion Ethik unterrichtet. Außerdem bildet sie in ihrer Struktur ziemlich akkurat den Bezirk ab in dem sie sich befindet und hat auch noch ansehnlichen Erfolg bei der Erfüllung ihres Bildungsauftrages. Sie könnte deshalb auch für jene Eltern und deren Kinder attraktiv sein, die meinen, den Bezirk verlassen zu müssen. Vorausgesetzt es gelingt die angesprochenen Vorurteile, wie z.B. gegen das Türkische zu überwinden.

Claas Vorhoff