Ein Interview mit dem trans Aktivist und Buchblogger Linus Giese

Stachel: Linus, bist du auf Twitter, um etwas zu verbessern?

 Linus: Ja, ich bin auf Twitter aktiv, um Leuten etwas mitzugeben, die das annehmen wollen. Aber im Radio oder in der Zeitung zu sein ist mir auch wichtig, weil ich dann direkte Reaktionen von Kunden und Kundinnen kriege. Wenn ich ein bisschen dazu beitragen kann, dass eine Mutter darüber spricht, was es bedeutet, dass der Buchhändler trans ist, oder Kinder mir hier im Laden begegnen können und Ängste oder Hürden abgebaut werden, dann ist mir das wichtig, diesen Beitrag zu leisten.

Du hast letztens ein Bild von deinem Mantel auf Twitter gepostet und gesagt, dass du dich endlich wohl genug fühlst, diesen Mantel anzuziehen, weil du davor gedacht hast, dass er zu weiblich ist. Als cis Person hat man viel Spielraum. Fehlt dir diese Freiheit?

Ich glaube schon. Wenn man mal googelt, wer die bekanntesten trans Männer aus dem englischen oder amerikanischen Raum sind, sind das alles sehr muskulöse, weiße Männer, die das Sinnbild von Männlichkeit verkörpern. Ich glaube, dass viele trans Männer überkompensieren müssen, um zu beweisen, dass sie männlich sind. Wenn ein cis Mann sich zum Beispiel die Nägel lackiert, rollen manche die Augen, aber seine Identität wird nicht in Frage gestellt. Wenn ein trans Mann sich die Nägel lackiert, wird er gefragt, ob er wirklich ein Mann ist. Ich glaube, dass es auch schwer für trans Frauen ist, nicht geschminkt zu sein oder sich die Haare kurz zu schneiden. Von außen wird darauf ganz anders geguckt, als wenn sich eine cis Frau entscheidet, eine Kurzhaarfrisur zu tragen. Ich glaube im ersten Jahr habe ich dazu geneigt, super männlich gekleidet zu sein und nicht rauszufallen. Mich interessieren aber auch Leute wie Troye Sivan. Er spielt mit seiner Kleidung und mit seinem Stil. Ich möchte kein muskulöser, super männlicher Mann werden,sondern auch Spielraum haben. Den muss ich mir erkämpfen.

Es kaufen mehr Frauen als Männer Bücher und trotzdem ist die meiste Literatur antifeministisch. Wie kommt das?

Das sind althergebrachte Strukturen. Frauen sollen mit sogenannter “Frauenliteratur” angesprochen werden, wie sie bei Thalia ausliegt, oder? Es gab im SZ Magazin ein Interview mit Viv Albertine. Sie hat gesagt, dass sie ein Jahr lang nur Bücher von Frauen gelesen hat,weil Männer ihr nichts mehr zu sagen haben. Das wird sofort als unglaublich provokativ empfunden. Dabei wird übersehen, wie viel Männer, schon haben, worum Frauen noch kämpfen müssen.

Kannst du unseren Leser*innen drei feministische Bücher empfehlen?

 Auf jeden Fall Margarete Stokowski. Mit ihren beiden Büchern Untenrum Frei und Die letzten Tage des Patriarchats. Untenrum Frei ist bei uns das meistverkaufte Buch 2018. Ich finde es zum Einstieg super und halte sie für eine ganz wichtige feministische Stimme. Dann Rebecca Solnits Die Mutter aller Fragen. Es ist eine Essayband-Sammlung. Ich finde es toll, weil sie auf Probleme wie die Sprechzeit von Frauen in Filmen aufmerksam macht. Ich glaub in „Star Wars“ haben Frauen (bis auf Prinzessin Leia) eine Sprechzeit von 63 Sekunden. Und aus Filmen, wo Frauen viel Sprechzeit haben, wird gleich ein Frauenfilm gemacht. Was mir noch gut gefallen hat, ist die Graphic Novel von Liv Strömquist, Der Ursprung der Welt. Es geht um schambesetzte Themen, wie die Periode, worüber wenig gesprochen wird. Es ist total wichtig, dass man sich nicht für etwas schämt, was zu einem gehört. Ich habe letztes Jahr ein Foto gepostet mit einem Fleck Blut in der Hose und gesagt, “auch trans Männer bluten”. Es gab ein riesen Shitstorm. Ich konnte drei Tage nicht auf Twitter. Es gab Vergewaltigungsdrohungen und ich wurde beschimpft; nicht nur von Trollen, sondern auch von Leuten, die über Bücher bloggen und aus der bürgerlichen Mitte kommen.

Warum hast du das Bild auf Twitter gestellt?

 Viele wissen nicht, dass manche trans Männer noch ihre Periode kriegen. 1 Es wird ausschließend formuliert, wenn nur gesagt wird, dass Frauen ihre Periode kriegen…

… oder wenn Tampons und Binden “Damenhygiene” genannt werden.

 Genau. Und genauso bei all den Tweets zum Paragraf §218: “Frauen, die schwanger werden können”, “Schwangere Frauen”… Ich bin dann wie ein Bot, der drunterschreibt: “Vergesst die trans Männer nicht”. Ich habe schon geahnt, dass es provozierend ist, dieses Foto online zu stellen, aber ich habe gedacht, es ist wichtig. Vielleicht nehmen drei Leute daraus mit “Oh ja, auch trans Männer bekommen ihre Periode.”

Wie bist du mit dem Hass umgegangen?

 Ein Freund von mir hat sich für mich eingeloggt und ein paar Tage lang alle beleidigenden Tweets blockiert, sodass ich sie gar nicht mehr gesehen habe. Und ich habe drei Tage Pause gemacht. Es gab Zeiten, wo so etwas sehr schlimm für mich war. Ich bin gar nicht mehr zurechtgekommen. Da habe ich eine Supervision bei einer Therapeutin gemacht, die auf Hass im Netz spezialisiert ist. Es gibt nicht viele trans Menschen auf Twitter, die unter ihrem Klarnamen und dem echten Foto twittern. Ich twittere unter meinem Klarnamen, jeder weiß, was für einen Job ich habe und jeder weiß, wo die Buchhandlung ist, in der ich arbeite. Das ist schon manchmal eine Belastung, das auszuhalten.

Hast du Angst?

 Ich habe mal ein Paket bekommen: ein Bilderrahmen mit dem Foto einer Erdbeere und dem Buch “Akzeptiere deine Weiblichkeit”. Es war auch immer schwer, den Leuten verständlich zu machen, dass das nicht meine Schuld ist, dass das passiert. Als ich der Therapeutin, bei der ich die Supervision gemacht habe, gesagt habe, dass ich das alles vielleicht auch ein bisschen provoziert habe, sagte sie: “Das klären wir jetzt ein für alle mal: Egal, was du im Internet schreibst, nichts rechtfertigt diese Reaktion.” Es ist aufreibend gewesen, dass viele gesagt haben “aber bist du nicht auch ein bisschen selber Schuld?”

Es ist beeindruckend, dass du dich nicht einschüchtern lässt.

Es ging vorletztes Jahr im Dezember los. Die haben die Adresse meines Arbeitgebers veröffentlicht und Dinge geschrieben wie, man solle hier anrufen und nach meinem alten Namen fragen und ich solle am nächsten Tag besser einen Sport-BH anziehen, es könne mir etwas passieren. Da hatte ich mega Angst. Ich habe die Polizei angerufen. Abends waren Leute hier, damit ich nicht alleine bin. Mittlerweile aber habe ich verstanden, dass niemand von denen mir körperlich schaden möchte. Die wollen einfach, dass ich so viel Angst habe, dass ich nichts mehr sage. Aber letztens habe ich getwittert “Voll aufregend, ich habe einen Termin bei der Gynäkologin” und da hat mir jemand geschrieben, ich würde echten Frauen die Termine wegnehmen, weil ich mir einbilde, eine Frau zu sein. Da musste ich schmunzeln: Wenn man mich schon hasst, muss man sich ein bisschen sortieren, sonst fühle ich mich nicht ernst genommen.

Gibt es etwas, das du noch loswerden möchtest?

Es wäre wichtig, dass Menschen sich ihre Offenheit bewahren. Es ist nicht gefährlich, dass sich Dinge verändern oder festgelegte Grenzen verschwimmen, sondern kann für uns alle nur gut sein.

 

Linus‘ Blog: http://buzzaldrins.de

Interview: Rebecca Eilfort für den Stachel vom März 2019