Freitag, 13. März. Wir treffen uns im grünen Büro in der Dresdener, schon mit Abstand, um diese Ausgabe des Stachels vorzubereiten. Und dann geht alles sehr schnell. Noch einmal ins Möbel Olfe und in den Würgeengel, am Samstag Abend ist Schluss. Shutdown. Erst die Clubs, dann die Bars, ein paar Tage später dann auch Schulen und Kitas. Mittwoch ist im Imbiss „wrapublic“ am Oranienplatz schon um 15 Uhr nichts mehr los. Der Chef sagt, er soll gleich zu machen, höre ich. Ich bin der letzte Kunde. Am Freitag ein letztes mal ins Fitness-Studio und ins Seniorenheim zu meiner Mutter.
Sonntag, 18. März. Nichts geht mehr. Les jeux sont faits.
Die Hilfswelle rollt an
Aber die Politik steht nicht still. Allen ist bewusst, dass dieser plötzliche Entzug der Lebensgrundlagen vielen sehr schnell an die Substanz gehen wird. Gerade die vielen Klein – und Kleinst-Unternehmen – und Xhain ist voll davon – werden ohne Einnahmen schon bald nicht mehr wissen, wie sie die nächste Miete bezahlen sollen. Eine Video- und Telefonkonferenz jagt die andere. Soforthilfeprogramme werden geschnürt, Milliarden werden locker gemacht und in Woche Zwei des Shutdowns bereits ausgezahlt.
Sonntag, 5. April. Seit 2 Wochen ist jetzt alles dicht. Das Wetter ist schön. Dieser Sonntag vor Ostern wird als „kritischer Tag“ angesehen. Klappt das mit dem Ausgehverbot und den Abstandsregeln? Im Görli ist tatsächlich wenig los. Die Polizei ist da, dreht ihre Runden und greift jetzt am frühen Nachmittag nirgends ein. Auch am Ostkreuz ist es eher still. Vor McDonalds bildet sich eine Schlange, die Bockwurst vorm Bahnhof wird jetzt unter Plexiglas durchgereicht. Zurück in der Dresdener, bei „Fräulein Wild“. Der Besitzer macht noch ein wenig To – go – Verkauf. Aber eigentlich nur, weil ihm zu Hause die Decke auf den Kopf fallen würde, sagt er. Aber sonst, kein Umsatz. Seine Mitarbeiter*innen sind im Urlaub oder in Kurzarbeit. Die Hilfen sind auch bei ihm schon angekommen. Damit wird es erstmal irgendwie gehen, für zwei oder auch drei Monate. Aber es geht ihm nicht nur ums Geld. Es geht um die Begegnung. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Aus für die Kultur
Gerade die Künstler*innen hat es besonders hart getroffen. Denn Kunst braucht Kommunikation. Aber auch das Virus braucht Kommunikation. Und genau das ist fatal. Wollen wir das Virus killen, töten wir die Kunst gleich mit. Abgesehen von den großartigen kreativen Erfindungen vieler Künstler*innen im Netz liegt die Kultur im künstlichen Koma: Keine Live-Aufführung, kein Konzert, Bibliotheken geschlossen, kein poetry-slam, kein Club. Und auch kein Kino. Das kann keine virtuelle Welt und kein streaming-Dienst ersetzen.
Dennoch will Stefan Käding, der Betreiber der kleinen Kinogruppe mit Tilsiter Lichtspielen, Kino Zukunft, Freiluftkino Pompeji und – derzeit im Umbau – Intimes in Friedrichshain, nicht klagen. Zuschüsse sind da, die Miete lässt sich überbrücken, auch die Kurzarbeiterregelungen greifen. „Am Anfang war es schwierig, klare Informationen zu bekommen. Aber dann lief es,“ sagt er. Knapp 20 Leute arbeiten abwechselnd bei ihm, auch Mini-Jobber. „Die wollte ich ja nicht entlassen und sagen, na dann schauen wir mal, wenn es dann irgendwann weiter geht, stelle ich euch wieder ein. Da ist etwas gewachsen, das hat etwas mit Vertrauen, Anerkennung und Respekt zu tun.“ Viele sind weitaus schlechter dran, das ist ihm klar. „Wir arbeiten mit einem fertigen Produkt, dem Film. Anders als die Theater und alle, die live auftreten.“ Und die Hilfen haben noch längst nicht alle erreicht. Seine Sorgen gehen, jenseits der finanziellen Aspekte, in eine ganz andere Richtung. „Je länger dieser Dornröschen-Schlaf dauert, desto mehr werden sich die Menschen gewöhnen an die veränderte Art, Filme zu konsumieren. Neue Filme werden jetzt schneller online zur Verfügung gestellt. Man kann sich auch virtuell verabreden und fern voneinander einen Film gemeinsam sehen. Vielleicht erhält sich das Misstrauen bleiben gegenüber größeren Menschenansammlungen auch nach Corona. Dann bleiben die Kino-Säle leer.“
Eine Hoffnung bleibt ihm, wie er die Menschen zurück ins Kino locken kann: Jedes seiner Kinos hat sein ganz spezielles eigenes Bier.
Zu Hause bleiben
Sonntag, 12. April. Bier getrunken wird auch in Corona-Zeiten. Im Park, am Kanal, auf der Straße. Es ist warm und es liegt Unruhe in der Luft. Lockerung heißt das neue Zauberwort. Und das wird, anders als noch vor einer Woche, auch ohne wissenschaftliche Absolution bereits reichlich ausprobiert. Und dann sind da noch die, bei denen Social Distancing nicht funktioniert. Zu Hause bleiben geht nicht, wenn’s kein Zuhause gibt. Die Bereitschaft zu helfen, ist groß und sie macht erfinderisch: Gabenzäune statt Tafeln oder Pfandflaschen. Ich bin an der Spree, unterhalb der East-Side-Gallery. Auf einer Bank arbeiten sie gerade zu zweit an der zweiten Flasche Jägermeister. Abstand ist nicht. Jetzt, seit so schick und teuer gebaut wird, leben nur noch wenige hier. Der eine ist schon 10 Jahre draußen, früher hat er mal Kampfsport gemacht, jetzt ist er 39. Dort drüben kostet eine 1-Raum-Wohnung 1,5 Millionen, und er hat hier alles für sich allein, erklärt er mir und lacht. Und Corona? Das ändert für ihn nichts, was auch. Wir quatschen noch eine Weile weiter – über Covid, Moses, Gott und die Welt (schließlich ist Ostern) – aber den Schluck aus der gemeinsamen Jägermeister-Flasche lehne ich dann doch ab.
Etwas ist anders
Von allen Seiten tauchen spannende Fragen auf. Der plötzliche Stillstand zwingt uns alle zum Innehalten. Was fehlt uns jetzt und worauf können wir vielleicht dauerhaft verzichten? Der Kontakt, ja, der fehlt, der direkt Austausch, aber das neue T-Shirt muss nicht sein. Wie organisieren und bewerten wir Arbeit neu, wenn wir den ungezügelten turbo-kapitalistischen Konsum dauerhaft drosseln? Wenn wir das Hamsterrad nach der Krise nicht wieder ungebremst beschleunigen? Und wie teilen wir die Stadt neu, wenn wir auf der Bremse bleiben?
Dienstag, 14. April. Xhain geht da wieder einmal voran. Schon am letzten Donnerstag auf der Gitschiner: Der rechte Fahrstreifen ist durch Poller gegen den fließenden Verkehr abgesichert. Der Bezirk hat schnell reagiert: Der motorisierte Verkehr ist um mehr als 50% zurück gegangen und gleichzeitig steigen immer mehr Menschen auf das Fahrrad um. Das Abstandsgebot erzeugt auch eine Zeit des Umdenkens. „Ganz einfach war das nicht,“ sagt Felix Weisbrich, der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts im Bezirk. „Bei unseren Umsetzmaßnahmen haben wir viel Fassungslosigkeit erlebt, von Unmut und Protest bis zu ungläubigem Staunen und Begeisterung. Auf der Lichtenberger und der Petersburger war es ähnlich. Und es werden weitere Projekte folgen.“ Ein großer Schritt in Richtung einer gerechten Aufteilung des Straßenraums.
Die Krankheit müssen wir hinter uns lassen, so schnell wie möglich. Die Fragen, die ihr Ausbruch aufgeworfen hat, werden bleiben.
Henry Arnold für den Stachel 04/2020