Silvia Rothmund, Foto: Kilian Vitt

Seit dem 26. September 2020 steht mitten auf dem Oranienplatz in Kreuzberg ein Mahnmal in Gedenken an die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt: eine einfache graue Betonstele, inmitten einer Stahlplatte auf dem Boden. Auf einem Metallschild auf dieser Platte steht zu lesen: Für die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt. 

Unbekannte hatten es in einer Nacht- und Nebelaktion aufgestellt. Die Initiative „Wo ist unser Denkmal?“, die ein solches schon lange fordert, hat die Patenschaft übernommen und streitet seitdem für dessen Erhalt: „Rassistische Polizeigewalt ist noch immer Alltag. Menschen müssen jeden Tag Gewalt erleben – und einige überleben diese nicht. So sind 178 Menschen seit 1990 in deutschem Polizeigewahrsam ermordet worden. An all diese Menschen wollen wir erinnern und fordern Gerechtigkeit. Dafür fehlt uns der Ort, denn die Opfer von Rassismus werden nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch im öffentlichen Raum unsichtbar gemacht. Deswegen nehmen wir uns den Ort selbst …“ heißt es in einem Aufruf der Initiative.

Notwendiges Zeichen

Es ist nicht entscheidend, wer das Mahnmal aufgestellt hat. Wichtig ist nun die Auseinandersetzung damit. Wieso brauchen wir einen solchen Ort, an dem wir und insbesondere die Betroffenen von Rassismus und die Opfer von
Polizeigewalt und ihre Angehörigen gedenken und auch trauern

Werner Heck, Foto: Kilian Vitt

können? Wir brauchen einen solchen Ort, denn das Problem wird nicht nur im öffentlichen Diskurs unsichtbar gemacht – in dem es allzu oft als Einzelfall abgetan und nach einem Vorfall viel zu schnell zur Tagesordnung übergangen wird – sondern eben auch im öffentlichen Raum. Wir brauchen einen solchen Ort, an dem wir gedenken und auch trauern können, wenn inmitten unserer Gesellschaft Menschen, die nicht dem „Deutschland. Aber normal“ (wie es etwa die AfD propagiert) entsprechen, jederzeit Opfer rassistischer Gewalt werden können und solange wir befürchten müssen, dass Hanau jederzeit wieder passieren kann – auch in unserem Bezirk, der sich so viel einbildet auf seine Diversität und Weltoffenheit. Und solange wir Politiker*innen nicht verhindern können, dass viele unserer Mitbürger*innen, unserer Nachbar*innen vor den Vertreter*innen und Institutionen dieses Staates Angst haben müssen. Ein Staat, der dafür verantwortlich ist, dass Menschen, die er doch schützen soll, durch ihn selbst zu Opfern rassistischer Gewalt werden.

Nicht nur Görlitzer Park, Kottbusser Tor, Warschauer Brücke …

Die „KOP – Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt“ hat eine Chronik rassistisch motivierter Polizeivorfälle für Berlin in den Jahren 2000 bis 2021 erstellt. Sie ist 342 Seiten lang. Die KOP schreibt, dass jedoch nicht davon auszugehen ist, dass die Auflistung ein vollständiges Bild zeichnet. Denn rassistische Polizeiübergriffe kämen nur selten zur Anzeige, da regelmäßig Gegenanzeigen erfolgen oder aussagebereite Zeug*innen fehlten. Die Chancen auf Verurteilung der Polizist*innen sei gering, auch wenn Belege vorhanden sind. Die Furcht vor weiteren negativen Konsequenzen, bspw. für den Aufenthaltsstatus von Betroffenen, führe dazu, dass die Betroffenen die Vorfälle lieber auf sich beruhen ließen. Die KOP stellt fest, es sei erschreckend, „dass sich vor diesem Hintergrund eine gewisse Normalität einstellt.“ Die Betroffenen „empfinden diskriminierende Behandlung zwar nicht als gerecht, aber als üblich für deutsche Verhältnisse“ – wie beschämend! Für jeden Menschen, der migrantisch gelesen wird oder Rassismuserfahrungen hat, stellt sich also die Frage, ob er*sie – wenn Opfer einer Straftat – die Sicherheitsbehörden ruft oder ob er*sie befürchten muss, selbst erneut diskriminiert bzw. Opfer einer Straftat – womöglich begangen durch Polizist*innen – zu werden. Sogenannte „kriminalitätsbelastete Orte“, ausgewiesen in Berlin – wie bspw. der

Görlitzer Park oder das Kottbusser Tor –, bieten der Polizei die Möglichkeit verdachtsunabhängiger Kontrollen. Allzu häufig betreffen diese Personen, die allein aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbilds für die Polizist*innen Anlass zur Überprüfung bieten („racial profiling“).

Xhain – Hotspot von Racial Profiling

Unser Bezirk ist ein „Hotspot“ solcher eindeutig rassistischer polizeilicher Übergriffe. Tagtäglich werden Mitbürger*innen in unserem Bezirk allein deshalb, weil sie nicht weiß sind, anlasslos kontrolliert und verdächtigt, respektlos behandelt, wehrlos gemacht und überwältigt, zu Opfern rassistischer Polizeigewalt. Es kann und darf nicht sein, dass polizeilich als „Gefahrenzonen“ ausgewiesene Bereiche in unserem Bezirk zu NoGoAreas, ja zu Gefahrenzonen für unsere nicht-weißen Mitbürger*innen werden. Und es geht ja nicht „nur“ um Polizeikontrollen und „Schikane“, sondern auch um zahlreiche „Todesfälle“ in Polizeigewahrsam in der gesamten Bundesrepublik, die immer noch nicht aufgeklärt sind. Wir erinnern an Oury Jalloh.

Zeichen der Selbstermächtigung

Wir brauchen einen solchen Ort, ein solches Gedenkzeichen, weil es eben auch das inzwischen ist: Ein Ort, der allein deshalb, weil er nicht gnädig gewährt, sondern selbst „erobert“ wurde, Mut machen kann und macht, sich zur Wehr zu setzen, gegen die Ignoranz und das Schweigen einer weißen Mehrheitsgesellschaft, der Politik und der staatlichen Institutionen, die immer noch ignorieren, dass Rassismus und rassistische Polizeigewalt keine individuellen Verfehlungen Einzelner sind, sondern ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft und Institutionen.

In den Worten der Initiative, die mit dem diesjährigen Silvio-Meier-Preis des Bezirks ausgezeichnet wurde: „Es ist ein Ort, der auf die Schattenseiten staatlicher Gewalt, auf die Gefahren des Wegsehens und Verschweigens und auf die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit allen Formen rassistischer Gewalt aufmerksam macht. Eine offene Gesellschaft braucht solche Orte, auch und gerade weil sie unbequeme Auseinandersetzungen einfordern und den Finger in die Wunden gesellschaftlicher Selbstverständnisse legen.“

 

Silvia Rothmund kandidiert auf Platz 5 unserer BVV-Liste

Werner Heck kandidiert auf Platz 4 unserer BVV-Liste, ist bereits Bezirksverordneter und Vorsitzender im Ausschuss für Kultur und Bildung

Dieser Artikel erschien zuerst im Stachel, der bündnisgrünen Parteizeitung in Xhain.